Editorial / Großmachtfantasien – Der Putsch in Niger und die überschätzte Macht der Geopolitik
Just a little bit of history repeating. Wieder einmal schauen wir von oben auf ein afrikanisches Land, in dem eine Regierung von Barett-tragenden Putschisten gestürzt wird. Wieder einmal Bilder von überbesetzten Truppentransportern voller ernster Gesichter, die über vertrocknete Steppen-Pisten heizen. Wieder einmal Fernsehansprachen von schrägen Generälen. Wieder einmal Fahnenschwenker in einer staubigen Hauptstadt.
Moment mal, war das gerade eine russische Flagge da in Niamey? Da steckt doch der Kreml dahinter!
Ach ja, das gute alte (post-)kolonialistische Großmacht-Narrativ. 40 Jahre ist es her, als Kenneth Waltz dieses (erneut) in eine politikwissenschaftliche Theorie goss, um eine Erklärung für die Dynamiken in den damaligen internationalen Beziehungen zu liefern. Etwas heruntergebrochen, sagte er: Ein oder mehrere mächtige Akteure kämpfen um die Hegemonie auf dem Planeten. Der Rest: höchstens Bauern auf dem Schachbrett. Das Konstrukt entstand in der bipolaren Welt des Kalten Krieges. Sind wir da jetzt etwa wieder angelangt? Just a little bit of history repeating.
Verfolgt man einige Analysen dieser Tage, gibt es tatsächlich ausschließlich geopolitische Motive für den Machtwechsel in Niger. Da wären zum Beispiel die Uran-Minen, die Treibstoff für die Reaktoren der ehemaligen französischen Kolonialmacht liefern. Oder die zunehmende Destabilisierung der Sahel-Zone, die den Rest Westafrikas in die Krise reißt – nur um große Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa auszulösen, die die EU destabilisieren. Und dann finalement selbstredend das generelle Schwinden des heilbringenden europäischen Einflusses auf dem schwarzen Kontinent.
Cui bono? Genau, die Sowjets, pardon, die Russen. Wladimir Putin wird offenbar noch immer so viel Strategie-Genialität zugetraut, dass einige annehmen, der Kreml habe das alles von langer Hand vorbereitet.
Laut The Atlantic waren es tatsächlich aber nicht gerade viele Demonstranten, die da vor ein paar Tagen in Niamey die russisch-nigrische Solidarität gefeiert haben. „Viele der Spekulationen über das Ausmaß der russischen Beteiligung beruhen bisher auf äußerst dünnen Beweisen“, schreibt die amerikanische Zeitschrift. „Ein paar hundert Menschen bei einem Protest in einer Stadt, von denen eine Handvoll russische Flaggen tragen, in einem Land, das doppelt so groß wie Frankreich ist und in dem mehr als 25 Millionen Menschen leben.“
Dass geopolitische Interessen im Sahel und auch im Rest Afrikas mit Vehemenz vertreten werden, ist richtig. Jede politische Bewegung dort aber auf äußere Einflüsse zurückzuführen, ist nichts anderes als genau der Post-Kolonialismus, der die Welt dahin geführt hat, wo sie jetzt steht. Um es drastisch auszudrücken: Sogar sich selbst in die Scheiße reiten zu können, wird den Afrikanern einmal mehr abgesprochen.
Die Medien in Niger selbst sehen übrigens viel banalere Hintergründe für den undemokratischen Machtwechsel. Laut BBC schreibt die nigrische Zeitung L’Enquêteur, dass Präsident Bazoum geplant hatte, Putsch-General Tchiani zu feuern. Der wollte das wohl nicht akzeptieren.
„Die große Entwicklungshilfe hat nicht funktioniert, weil es auch nie das wirkliche Interesse gab, den Süden zu entwickeln, sondern immer ganz stark das Eigeninteresse eine Rolle spielte“, sagt der Historiker Thomas Spielbüchler im Tageblatt-Interview. Wie wäre es, wenn Europa nicht den 1.000. Brunnen in den Wüstensand bohrt, sondern demokratische Strukturen in Afrika aufbaut und unterstützt, die nicht direkt in sich zusammenfallen, bloß weil ein General um seinen Job fürchtet?
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Die Rolle Russlands wird hier fatalerweise heruntergespielt.
Die Anhänger der Putschisten schwenkten demonstrativ russische Flaggen. “Während des Putsches vergangene Woche sah man etliche russische Flaggen in den Händen der Protestierenden. Selbst als Demonstrierende die französische Botschaft stürmten, taten sie dies umhüllt von den Farben Russlands.”
Es dürfte auch stutzig machen, dass Jewgenij Prigoschin, Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, den Staatsstreich in Niger als gute Nachricht begrüßte und alsbald die Dienste seiner Kämpfer anbot.
Selbstverständlich gibt es keine „Beweise“ für einen „direkten“ Einfluss Russlands und/oder der Wagner Gruppe im Niger. Den gab es auch lange nicht in der Ostukraine, als Donetsk und Luhansk einen Bürgerkrieg (der keiner war), veranstalteten. Und auch in diesen Gebieten waren es bloß einige vereinzelte Bürger, die sich daran beteiligten. Heute weiß man, dass es Wagner Söldner und russische Militärs (nachlesen u.a. bei Girkin) waren, die mit eigenen Leuten, also Russen, der Welt glauben machten, es würde ein Bürgerkrieg stattfinden.
Dass also scheinbar „bloß“ ein paar hundert Menschen im Niger demonstrierten, ist keineswegs ein Beleg dafür, dass Russland resp. Wagner nicht maßgeblich am Putsch mitgewirkt haben.
Dr. Joana de Deus Pereira, Senior Research Fellow bei RUSI Europe und spezialisiert auf die Bereiche Terrorismusbekämpfung sowie Prävention und Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus, formulierte es folgendermaßen: „Der Kreml äußerte sich zwar besorgt über den Putsch und rief zur raschen Wiederherstellung von Recht und Ordnung auf, aber dass Prigoschin, der vielen als Putins rechte Hand galt, hinter den Putschisten steht, ist nicht zu übersehen.“ In ihrem lesenswerten IPG-Beitrag, der von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht wurde, begründet sie dies.
Im Übrigen wäre es spannend zu erfahren, aus welchen Gründen Präsident Bazoum seinen General Tchiani feuern wollte. Darauf wird bislang nicht in den Medien eingegangen.
Der Vorfall im Niger ist definitiv „auch“ ein geopolitisches Manöver. Es ist ein Kampf um Einfluss in Westafrika, in dem Russland sich seit Jahren einmischt. Wie die tagesschau kürzlich schrieb: „Während der Einfluss der Vereinten Nationen in Westafrika schrumpft, wächst zunehmend der von Russland.“ Und UN-Beobachter Richard Gowan vom Thinktank „Crisis Group“ in New York, sagt hierzu: „In der Sahelzone haben wir eine Reihe von Putschen gesehen, wir haben gesehen, wie Militärs näher an Moskau herangerückt sind.“ Das kommt nicht von ungefähr, sondern ist die Folge der jahrelangen „Bemühungen“ Russlands und der Wagner Gruppe, afrikanische Politiker, die sich nicht als Verfechter der Demokratie hervortun, zu „locken“. Ein lohnendes Geschäftsmodell, denn im Austausch bekommt die Söldner-Truppe zum Beispiel Verträge für den Abbau von Rohstoffen.
Nein, niemand spricht den Nigrern die Fähigkeit ab, „sich selbst in die Scheiße reiten zu können“. Nun ist es ja eine verschwindend kleine Minderheit der dortigen Bevölkerung, die „vor ein paar Tagen in Niamey die russisch-nigrische Solidarität gefeiert haben“. Das wiederum widerspricht der These bezüglich der vor genannten Fähigkeit im Artikel.
Es ist fatal, Russlands Rolle zu unterschätzen, unabhängig davon, ob Russland der Treiber ist oder die Wagner Gruppe eigenmächtig ihrem Geschäft nachgeht. Russland hat bereits dem Niger seine „Hilfe“ angeboten. Passt auch hervorragend ins Bild des vor kurzem stattgefundenen Afrika-Gipfels, der von Putin initiiert wurde.
Julia Grauvogel vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien erläutert hierzu: „“Russland braucht auf jeden Fall Afrika und verfolgt in Afrika verschiedene wirtschaftliche und geostrategische Interessen“, sagt Grauvogel. Primär gehe es um Rohstoffe, insbesondere Gold. Denn: Seit russische Devisen durch westliche Sanktionen eingefroren seien, sei Gold als Zahlungsmittel für Putin „noch wichtiger“ geworden. Putin würde im Gegenzug Waffen liefern, da Afrika auf Russland als Waffenlieferant angewiesen sei. „Mittlerweile kommt fast die Hälfte aller Waffen auf dem afrikanischen Kontinent aus Russland.“ Darüber hinaus sei es für Afrika von Interesse, die Bindung zu Russland zu nutzen, um sich „in der internationalen Politik als Akteur darzustellen, der nicht nur vom Westen abhängig ist“.“
Die Macht der Geopolitik wird also keineswegs überschätzt, wie es die Headline des vorliegenden Artikels glauben machen möchte.
„La bêtise humaine est éternelle et incommensurable!“ Macht, Geld, Gier und Ruhm! Und grenzenlose Aggressivität und gesellschaftlicher Verfall überall. Was ist mit den Menschen, die eigentlich nur in Ruhe ihr Leben durchbringen wollen und das bisschen Wohlstand und Freiheit, was ihnen gegönnt ist, behalten wollen? Die Spezies Homo sapiens müsste eigentlich in Homo imperitus umbenannt werden. Am Ende wird unser Planet überleben, aber unsere Spezies mit Sicherheit nicht!
Diese Ländern ticken wie sie eben ticken. Da sind stämme, clans und korrupte Regime am werk. Natürlich kann man der kolonialzeit bis zu den Kreuzrittern die schuld zuschieben. Die Ureinwohner amerikas haben sich schon vor Ankunft der Europäer die köpfe eingeschlagen, die Azteken ihre nachbarn versklavt. Europa sollte die „eigenarten“ der afrikanischen Länder akzeptieren, sie gewähren lassen und nur auf die eigenen Interessen schauen, wie es die russen und chinesen tun. Ändern kann man sowieso nix.