Deutschland / Grünen-Spitze tritt geschlossen zurück
Das Brandenburger Wahldebakel vom Sonntag war nur der letzte Anlass, der das ganze Ausmaß der aktuellen Krise der Grünen zeigt. Die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour ziehen nun persönliche Konsequenzen.
Es war kurz – und schmerzvoll. Für knappe drei Minuten treten die beiden Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour am Mittwochvormittag vor die Presse, um die schwerste Entscheidung ihrer politischen Karrieren bekannt zu machen: Die Grünen-Spitze tritt geschlossen zurück. Es ist eine harte Zäsur für die Partei, die nach den drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und zuletzt in Brandenburg in einer tiefen Krise steckt. Bundesweit kommen die Grünen in jüngsten Umfragen nur noch auf einstellige Werte, die Stimmung gegen sie ist so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Nouripour spricht am Mittwoch gar von der „tiefsten Krise unserer Partei seit einer Dekade“, für die das Wahlergebnis vom Sonntag in Brandenburg ein Zeugnis sei. „Es ist notwendig und es ist möglich, diese Krise zu überwinden“, betont Nouripour. Dafür brauche es Veränderung. „Wir haben heute im Bundesvorstand entschieden: Es ist Zeit, die Geschicke dieser großartigen Partei in neue Hände zu legen, und bitten deshalb Bündnis 90/Die Grünen, unsere geliebte Partei, auf dem anstehenden Parteitag in Wiesbaden einen neuen Vorstand zu wählen“, sagt der Grünen-Chef pathetisch. Ricarda Lang und Omid Nouripour wirken gefasst, konzentriert, doch die große Anspannung und Enttäuschung sind ihnen anzumerken. Dass bei diesem kurzen öffentlichen Auftritt keinerlei Fragen zugelassen sind, zeigt, dass die äußere Fassung kein stabiles Fundament an diesem Vormittag hat. Tränen soll es vor laufenden Kameras nicht geben.
Zunehmender Druck auf Parteivorsitzende
Die beiden Spitzen-Grünen geizen nicht mit Pathos und ziehen große Linien. Die Bundestagswahl im kommenden Jahr sei nicht irgendeine Wahl, sagt Ricarda Lang. „Wir entscheiden darüber, wie sich Deutschland in Zukunft entwickelt, und ein bisschen entscheiden wir auch darüber, wer dieses Land eigentlich sein will.“ Sie buchstabiert es genauer aus: „Ein Land, in dem wir bei Klimaneutralität Kurs halten und so Wohlstand und Zusammenhalt schützen, für heute und morgen. Oder ein Land, in dem sich die durchsetzen, die bei all dem nur Rückschritt wollen.“ Man wolle, dass die Grünen mit „größtmöglicher Stärke in den Wettbewerb um die Zukunft des Landes und die Zukunft Europas“ eintreten. „Jetzt ist nicht die Zeit, um am eigenen Stuhl zu kleben. Jetzt ist die Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Und wir übernehmen diese Verantwortung, indem wir einen Neustart ermöglichen“, betont die Grünen-Chefin.
Jetzt ist nicht die Zeit, um am eigenen Stuhl zu kleben. Jetzt ist die Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Und wir übernehmen diese Verantwortung, indem wir einen Neustart ermöglichen.Grünen-Chefin
Der Druck auf die beiden Parteivorsitzenden hatte sich zuletzt immer weiter aufgebaut. Das Brandenburger Wahldebakel war da nur der letzte Schuss, der das ganze Ausmaß der Krise dann für wohl alle in der Partei hörbar werden ließ. Immer häufiger war zuletzt aus den Reihen der Grünen zu hören, dass es bei der strategischen Neuausrichtung der Partei auch personelle Konsequenzen an der Parteispitze brauche. Solche Überlegungen waren selbst aus der vordersten Reihe zu hören, doch bislang nur hinter vorgehaltener Hand. Keiner wollte die Parteichefs durch öffentliche Rücktrittsforderungen beschädigen. Doch klar ist auch, dass Druck, intern wie extern, aufgebaut werden sollte, um den Parteivorstand so zu diesem letzten Schritt zu bewegen.
Neuer Vorstand im November
Schon am Dienstagnachmittag deutete sich dann an, dass eine große Entscheidung bevorstehen könnte. Vor der Fraktionssitzung der Grünen im Bundestag herrschte eine beinahe gespenstische Stimmung. Deutlich weniger Abgeordnete als gewöhnlich waren vor der Sitzung anzutreffen. Und aus denjenigen, die zu Gesprächen bereit waren, sprach große Enttäuschung und auch Ratlosigkeit über die Konsequenzen aus dem miserablen Brandenburger Wahlergebnis. Bei Letzterem zumindest gibt es nun mehr Klarheit bei den Grünen: Als eine weitreichende Konsequenz nimmt der Bundesvorstand geschlossen seinen Hut und macht den Weg frei für Neuwahlen beim Parteitag der Grünen vom 15. bis 17. November in Wiesbaden.
„Sie können sich vorstellen, dass diese Entscheidung uns nicht leicht fällt, aber wir treffen sie aus Überzeugung“, sagt Ricarda Lang bei der Verkündung am Mittwochvormittag. „Sie kann ein Baustein sein für die strategische Neuaufstellung dieser Partei. Und diese braucht es.“ Ein Baustein. Weitere dürften Folgen.
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