Wirtschaft / Grüner Antrieb für grüne Industrie: Pilotprojekt will Wasserstoff in Luxemburg herstellen
Auf Pipelines aus dem Ausland warten oder selbst Pionierarbeit leisten? Ab 2026 soll im Süden Luxemburgs Wasserstoff hergestellt werden, ganz ohne CO2-Emissionen, um die Dekarbonisierung der Industrie voranzutreiben.
Der Antrieb der Zukunft steht am Montagmorgen im Schatten der Vergangenheit. Unter den ehemaligen Hochöfen von Belval hat das Unternehmen Sales-Lentz einen Bus geparkt. „Zero Emission“ steht in großen Buchstaben auf dessen Scheibe, „Inspired by Nature“, und – noch größer: „Hydrogen“. Ein Wasserstoff-Bus. Ein Wasserstoff-Bus? Gab es das nicht schon einmal? Richtig, bereits vor knapp 20 Jahren fuhren deutsche Wasserstoff-Busse in einem Pilotprojekt durch die Straßen von Luxemburg-Stadt. Allein, deren Verbrennungsmotoren waren nicht emissionsfrei. Die neuen Wasserstoff-Busse hingegen sollen gänzlich ohne CO2-Ausstoß funktionieren. Ihr Kraftstoff: grüner Wasserstoff aus luxemburgischer Produktion.
Der Antrieb der Zukunft, er soll neben öffentlichen Verkehrsmitteln vor allem die hiesige Industrie in die klimaneutrale Zukunft führen. Das ist das ambitionierte Ziel des Projekts „Luxembourg Hydrogen Valley“ (LuxHyVal), eine Kooperation der Universität Luxemburg mit einem Konsortium aus öffentlichen und privaten Akteuren. Wasserstoff made in Luxembourg – mithilfe von Wind- und Solarkraft. Ein Novum im Großherzogtum. Beim offiziellen Launch des Projektes weht deshalb neben einer viel zu kalten Junibrise auch eine ordentliche Portion Pioniergeist zwischen den alten Hochöfen. „Wir sitzen hier in den Überbleibseln der Stahlindustrie“, sagt Bradley Ladewig, Koordinator, Professor und Inhaber des Paul-Wurth-Lehrstuhls für Energieverfahrenstechnik an der Uni Luxemburg. Rektor Jens Kreisel pflichtet ihm bei: „Es gibt keinen besseren Ort, um dieses Projekt vorzustellen.“
Ein europäisches Netzwerk
Die ökologische Transition von Industrie und Wirtschaft ist eine der größten Herausforderungen, vor der viele Staaten aktuell stehen. Weg von fossilen Brennstoffen und Treibhausgasemission, hin zu Klimaneutralität. Bei der luxemburgischen Strategie zur Dekarbonisierung der Industrie spiele Wasserstoff eine wichtige Rolle, sagt Wirtschafts- und Energieminister Lex Delles (DP). „Wenn wir es heute nicht schaffen, Wasserstoff nach Luxemburg zu bringen, haben wir morgen ein Problem.“ Ein Thema, so wichtig, dass Luc Frieden (CSV) es vergangene Woche in seiner Rede zur Lage der Nation angesprochen hat: „Es ist wichtig, dass Luxemburg an ein internationales Wasserstoff-Netzwerk angeschlossen ist“, sagte der Premier vor der Chamber. Minister Delles hat kürzlich im Rahmen der Staatsvisite in Belgien Gespräche mit der belgischen Energieministerin zu diesem Thema geführt. Der luxemburgische Netzbetreiber Creos hat zusammen mit dem belgischen Fernleitungsbetreiber Fluxys eine Absichtserklärung unterzeichnet, um den Transport von Wasserstoff ins Großherzogtum zu garantieren.
Von einem europäischen Netz träumen sie auch bei LuxHyVal. Man wolle Meilensteine setzen und zu den „First Movers“ gehören, so Projektkoordinator Ladewig. „Da entsteht eine ganz neue Energieindustrie für Europa“, sagt Claude Seywert, Geschäftsführer des Energieunternehmens Encevo. Dessen Tochterfirmen Enovos und Luxenergie spielen eine zentrale Rolle im LuxHyVal. Bis zum Jahr 2026 soll in Niederkerschen eine vollständige Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff entstehen. Von der Produktion von Wind- und Solarenergie bis zum industriellen Nutzen. Das Herz der Anlage bildet ein Elektrolyseur, der mithilfe von Strom aus erneuerbaren Energien Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff teilt. Der gewonnene Wasserstoff soll dann vor Ort komprimiert und dosiert werden. Die ersten Abnehmer gibt es gleich nebenan: die Glasfabrik des Unternehmens Guardian Glass und ein Depot von Sales-Lentz.
Aufbauhilfe für die Ukraine
Die luxemburgische Industrie verbraucht jedes Jahr etwa 450 Tonnen Wasserstoff. „Im europäischen Vergleich ist das eher wenig“, sagt Ladewig. Der Grund: Luxemburg habe keine Raffinerie, „die größten Verbraucher von Wasserstoff in der Welt“. LuxHyVal soll täglich 1.750 Kilogramm produzieren können, zwischen 500 und 600 Tonnen pro Jahr. Was die Industrie übrig lässt, fließt in die Mobilität. Sam Sales, Geschäftsführer von Sales-Lentz, kann sich vorstellen, zukünftig 40 Prozent seiner Flotte mit Wasserstoff zu betreiben. Der Vorteil gegenüber Elektrofahrzeugen: eine größere Reichweite und eine geringere Anfälligkeit bei niedrigen Temperaturen.
Die Pläne von LuxHyVal sind konkret. Die Finanzierung ist noch nicht ganz. Insgesamt soll das Projekt 39 Millionen Euro kosten. Acht Millionen Euro stammen aus dem Clean Hydrogen Joint Undertaking, einer öffentlich-privaten Partnerschaft der Europäischen Union. Den Rest sollen Unternehmenspartner beisteuern – und der luxemburgische Staat. Wirtschafts- und Energieminister Delles hat dafür im Mai einen Gesetzentwurf vorgelegt, um einen allgemeinen rechtlichen Rahmen für Staatshilfen in der Wasserstoff-Industrie zu schaffen, von Wasserstoff-Mobilität über Produktion bis hin zu Transport.
Auch wenn die luxemburgische Industrie direkt von LuxHyVal profitieren könnte, verstehen seine Macher es in erster Linie als Forschungs- und Entwicklungsprojekt. Ziel ist es nicht, Luxemburg in Sachen Wasserstoff autark zu machen. Im Gegenteil: LuxHyVal soll das Großherzogtum im Spiel halten und dabei helfen, Kompetenzen zu entwickeln. Man wolle die Ergebnisse im Kleinen studieren, so Ladewig, um dann das Wissen in ein größeres europäisches Netzwerk einfließen lassen zu können. Bestenfalls sollen dann in ganz Europa Wasserstoff-Produktionsstätten nach luxemburgischem Vorbild entstehen. Aus diesem Grund, so der Projektkoordinator, werde das Forschungsinstitut LIST einen sogenannten „digitalen Zwilling“ des gesamten Prozesses erstellen. Ein virtuelles Modell, nach dessen Vorbild in der Tschechischen Republik und der Ukraine weitere grüne Wasserstoff-Ökosysteme entstehen sollen. „Das ist unser kleiner Beitrag zum Wiederaufbau der Ukraine“, sagt Ladewig.
Drei Fragen an Prof. Bradley Ladewig, Koordinator LuxHyVal
Tageblatt: Luxemburg will Teil eines internationalen Wasserstoff-Netzes werden. Warum müssen wir ihn selbst herstellen?
Bradley Ladewig: In Zukunft werden wir Wasserstoff importieren. Aber – und das ist ein wichtiger Punkt – wir können nicht warten. Meiner Meinung nach wird es noch zehn Jahre dauern, bis wir Pipelines haben werden, die Wasserstoff transportieren, der aus Rotterdam oder Antwerpen importiert wird. Das ist noch weit in der Zukunft. Und wenn wir darauf warten, werden wir unsere Dekarbonisierungsziele nicht erfüllen. Die Industrie wird nicht bereit sein und die Arbeitskräfte auch nicht. Es ist wichtig, dass wir jetzt starten. Der Zeitrahmen für das Projekt ist fünf Jahre, für die Infrastruktur mindestens zehn. Das könnte uns lange genug überbrücken, bis Wasserstoff über Pipelines zu uns kommt.
Was sind die größten Herausforderungen bei einem Projekt wie LuxHyVal?
Die Finanzierung ist ein großes Thema, aber sie ist nicht unmöglich. Wir haben uns über verschiedene Kanäle beworben und wir hoffen, bald eine nationale Förderung von der luxemburgischen Regierung bekommen zu können. Der andere wichtige Punkt sind die Regulierungen. In Luxemburg gibt es aktuell wenige Anlagen, die Wasserstoff benutzen. Eine Produktionsstätte gibt es überhaupt nicht. Wenn wir also etwas Neues vorschlagen, wie zum Beispiel einen Elektrolyseur in Luxemburg zu bauen, genehmigen die Behörden so etwas zum allerersten Mal. Das führt immer zu Verzögerungen. Deshalb wollen wir weit im Voraus mit ihnen zusammenarbeiten und sie in die Planung einweihen, um Regulierungsprobleme wie zum Beispiel in Bettemburg zu vermeiden. Dort gibt es eine Wasserstoff-Tankstelle, der immer noch die letzten Genehmigungen fehlen, um in Betrieb gehen zu können. Diese Art von Verzögerung wollen wir verhindern.
Was sind die nächsten Schritte für LuxHyVal?
Wir bereiten gerade ein Geschäftsmodell vor. Das Unternehmen muss eine letzte Investitionsentscheidung treffen. Das wird wahrscheinlich Enovos sein, Teil der Encevo-Gruppe. Das ist ein entscheidender Schritt. Wir müssen nicht nur zeigen, dass wir heute die Investition tätigen und das Ding bauen können, sondern auch, dass wir es zehn Jahre gewinnbringend betreiben können. Da sind wir gerade dran: Wir versuchen die zusätzliche Unterstützung zu bekommen, die wir brauchen. Auf der anderen Seite ist das Land, das wir benutzen wollen, verfügbar und die Endnutzer sind bereit, den Wasserstoff zu empfangen – ohne große Umbauten in ihren Fabriken oder Einrichtungen vornehmen zu müssen. Wenn diese letzte finanzielle Entscheidung gefallen ist, können wir sehr schnell loslegen.
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