Festival / Gudde Wëllen Open Air: Gegen den Lärm. Eine Fiktion.
Anstatt der üblichen Festival-Berichterstattung hat sich das Tageblatt entschieden, einen erhitzten (und nicht ganz ernst zu nehmenden) Leserbrief über den von Lydie Polfer (DP) verurteilten Lärm auf dem Kirchberg zu veröffentlichen.
Liebes Tageblatt,
Vor vier Jahren habe ich mich entschieden, den lauten, rauen Süden des Landes zu verlassen und mich inmitten des wunderbar menschenleeren, herrlich öden Kirchbergviertels niederzulassen.
Tagsüber kriege ich, weil ich selbst arbeite, nur wenig mit von all den wuselnden Bankern, die in der Mittagspause in überteuerten Restaurants eine überteuerte Flasche Rotwein mit dem lauwarmen Mittagstisch kippen – und abends ist es hier so schön ruhig und verlassen, dass es mir manchmal so vorkommt, als wäre ich der letzte Mensch auf Erden. Ein bisschen wie Will Smith in „I Am Legend“. (Nur so am Rande: Wenn man der letzte Überlebende ist, muss man wenigstens keine doofen Witze über die Ehefrau ertragen und sich nicht überlegen, ob es nicht doch besser wäre, eine Anger Management Therapie zu machen).
Anyway, ich schweife ab. Mein Viertel wurde nämlich, liebes Tageblatt, in den letzten Tagen Opfer einer Attacke – einer Lärmattacke, wenn du es genau wissen möchtest. Frau Polfer, eine feinfühlige DP-Politikerin, hatte glücklicherweise am letzten Mittwoch während einer Pressekonferenz darauf reagiert und sich entschieden dagegen ausgesprochen, dass in den kommenden Tagen die lärmende Bande des linksversifften Lokals De Gudde Wëllen das Amphitheater im „Parc central“ neben der Coque während sage und schreibe vier Tagen bespielen würde.
Dass die Stadt Luxemburg selbst dem Event eine Zusage erteilt hatte – sonst hätte das Festival ja keineswegs stattfinden können – und eine solche Aussage seitens der Bürgermeisterin also arg widersprüchlich ist, fand ich nicht so schlimm. Menschen, auch Politiker, machen Fehler, man muss nur den Mut haben, diese einzugestehen und kann dann auch ruhig mal zurückrudern.
Da ich wegen des Lärms eh nicht schlafen konnte, habe mich also entschieden, liebes Tageblatt, der Sache auf die Spur zu gehen. Investigativer Journalismus, wenn du magst. Ich hatte vor, mich als Feind unter die Menge an Hippies oder Hipsters (oder wie auch immer man diese Kulturfreaks heute nennt) zu schleusen.
Stell dir vor, die Musik war, an jenem hitzigen Samstagnachmittag, so laut, dass ich große Schwierigkeiten hatte, als ich an der Coque vorbeischlich, das Amphitheater überhaupt einmal zu finden. Als ich dann doch irgendwann – ich war noch 100 Meter entfernt vom Gelände – eine Basslinie hörte, dachte ich wieder, was Frau Polfer doch für eine tolle, mutige Politikerin ist und wie schön und beruhigend es ist, jemanden zu haben, der solch hedonistische Events eindämmen möchte.
Auf dem Gelände selbst waren anfangs nur sehr wenige Menschen – die meisten dieser Junkies waren wohl noch zu verkatert vom Vortag. Entgegen der Kirchberger Norm trug niemand ein Kostüm oder eine Krawatte, es gab viele dieser bunten exotischen Hemden, die nach arbeitslosen Kulturschaffenden schrien. Auf der Bühne pluckerten trendige Elektrosounds, während die Sängerin von Aili irgendwas gegen Geld und den Kapitalismus sang. Auf Japanisch. War eigentlich nicht so übel, musste ich mir eingestehen. Vor so wenigen Menschen wäre ich gar nicht aufgetreten – das lohnt sich doch gar nicht.
Das Gleiche galt für den Auftritt von David Numwami, der ganz in seiner Musik aufging – ein bisschen erinnerte der französische, sehr soulige Elektropop an Nummern wie Metronomy –, sich mit seinem Mikro unter das (immer noch spärliche) Publikum mischte und sich auf dem Boden wälzte. Gutes Konzert, muss man sagen, aber bei so viel Aufwand für so wenig Menschen merkt man dann doch, dass diese Leute bei der Wirtschaftskunde gepennt haben.
Ich entschied, meine Camouflage auf die Spitze zu treiben und bestellte mir, trotz meiner Abneigung gegenüber dem Alkohol oder allem, was diese Hedonisten als Spaß bezeichnen, einen Long Drink. Der kostete 12 Euro, was ich trotz der Tatsache, dass es keine Eintrittsgebühren gab, recht üppig fand. Ich fragte mich, wie sich die Kleinverdiener im Kulturbetrieb das überhaupt leisten konnten. Aber vielleicht dealen die ja alle und verdienen sich so ein bisschen etwas dazu. Die Pasta, die ich mir später gönnte, ging für stolze 14 Euro über den Tresen, dafür war die Portion aber immerhin sehr klein.
Als ich mich, bereits leicht angetrunken, bei einem blonden Hippie beschweren wollte und fragte, ob er wisse, wo sich der Organisator dieses Festivals herumtreibe, meinte dieser gutaussehende Hipster, der Organisator stehe vor mir. Etwas erstaunt fragte ich ihn, ob es hier Usus wäre, dass man den Menschen etwas ins Glas mischt – weil so fühlte es sich an, dieser Rausch konnte doch kaum ausschließlich vom Gin sein. Er meinte nur frech, es könne durchaus sein, dass in meinem Cocktail etwas Alkohol wäre. Schnell wechselte ich das Thema und meinte geheimnistuerisch, es wäre mir doch etwas rätselhaft, dass das Festival trotz des Einwandes von Frau Polfer überhaupt stattfinden durfte.
Er erklärte mir, man habe einen Kompromiss gefunden, so einiges umgeplant und versprochen, mit der Live-Musik um 23 Uhr aufzuhören. Danach gäbe es nur noch ein kurzes DJ-Set und dann würde man die Menschen auch schon um 1 Uhr nach Hause schicken. Er fügte hinzu, man würde hier auch respektvoll mit der Lärmsituation umgehen und das Festival so planen, dass die Nachbarschaft nicht gestört werde.
Ich sagte ihm nicht, dass ich 23 Uhr als reichlich spät empfand – ich liege meistens um 21 Uhr mit einem Gutenacht-Tee im Bett. Auch verriet ich ihm nicht, dass ich bereits letztes Jahr einen empörten Beschwerdebrief an die Gemeinde geschickt hatte, weil mir das Festival viel zu laut war und ich es zudem unverantwortlich fand, während einer Pandemie überhaupt noch Konzerte oder anderes unwichtiges Kulturgedöhns zu planen.
Recht hatte er schon, so laut klang das hier alles gar nicht. Aber der Schein trügt und ich bin mir sicher, dass die armen Menschen, die auf einen Kilometer wohnen – ganz in der Nähe gibt es in der Tat kaum Häuser oder Appartements –, Ohrenstöpsel nutzen mussten und sich ausschließlich schreiend verständigen konnten. Zumal das anschließende Konzert der türkischen Band Lalalar mit ihrer Mischung aus türkischem Folk und dunklen Elektrosounds dann doch immer mehr Festivalgänger begeisterte. Ich erwischte mich gar dabei, ein bisschen mit dem Kopf zu wippen – das war sicherlich der Effekt dieses Gin-Gebräus.
Um diese These empirisch zu verifizieren, bestellte ich mir vorsichtshalber noch einen Drink. Und siehe da, wegen dieses Teufelszeuges wurde ich bei der letzten Band, die Amami (oder so ähnlich) hieß, auf einmal so sehr in den Sog dieser pulsierenden, hypnotischen Songs gezogen, dass ich ganz vorne tanzte – zum ersten Mal in meinem Leben. Glücklicherweise sah mich niemand von meinen Arbeitskollegen (Freunde habe ich Gott sei Dank keine).
Aber den Beweis hatte ich jetzt: Alkohol verleitet zu unvorsichtigem und verwerflichem Verhalten. Erschrocken, ja geradezu entsetzt über meine Tanzschritte, verließ ich das Gelände, ging nach Hause und kochte mir einen Ernüchterungstee. Es bleibt zu hoffen, liebes Tageblatt, dass Frau Polfers Einschüchterungsversuche ihre Früchte tragen und endlich mal (noch mehr) Ruhe auf dem Kirchberg herrscht. Diese Totenstille wäre ein wunderbarer Vorbote für die kommenden Wahlen – und eine gute Metapher für Frau Polfers Partei.
Mit besten Grüßen,
Ein wütender Leser
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Dieses Festival der Krachmacherei gehört in die europäische Kulturhauptatadt. Frau Polfer wird hoffentlich diesen Krach nächstes Jahr nicht mehr zulassen.
Auch wenn der wütende Leser zu bedauern ist (der Umzug vom Regen in die Traufe) – ein Gutes hat der Lärm: endlich mal wieder etwas heftig Amüsantes zu lesen! Nur schade, dass es so selten passiert, habe schon lange darauf gewartet.
Wir hatten Zeltik in Düdelingen gestern, um 22 Uhr war es ruhig.
Scheint doch zu funktionieren.