Theater / Gutes Blut, schlechtes Blut: „Die Laborantin“ von Ella Road in einer Inszenierung von Fábio Godinho
Ella Roads kurz vor dem Pandemieausbruch uraufgeführte Gesundheitsdystopie ist eine bitterböse Analyse einer Leistungsgesellschaft, in der Menschen zunehmend hinter Bewertungen verschwinden. Schade nur, dass die Sci-Fi-Elemente in der Mitte des Stücks zu sehr einem klassischen Beziehungsdrama weichen.
In der beklemmend real wirkenden dystopischen Welt von „Die Laborantin“ reicht ein Bluttest aus, um Auskunft über mögliche Erbkrankheiten, Gendefekte und die Wahrscheinlichkeit psychischer oder körperlicher Erkrankungen zu geben. Ein bisschen wie bei einer ersten Rohfassung von Facebook – wer sich an David Finchers „The Social Network“ erinnert, weiß, dass Zuckerberg und Konsorten das Programm einst schrieben, um Kommilitoninnen nach ihrem Aussehen zu bewerten – wird das Testergebnis auf einer Gesundheitsskala von 0 bis 10 ausgewertet.
Ein gutes Rating bedeutet womöglich, wie für die titelgebende Laborantin Bea (Rosalie Maes) und ihren Partner Aaron (Daniel Mutlu), eine brillante Zukunft; eine niedrige Bewertung verdunkelt hingegen sowohl den beruflichen wie auch den privaten Horizont. So wirbt Schauspieler Paul Robert in einem der zahlreichen Cameo-Videoauftritte, die das Stück regelmäßig unterbrechen, auf einer Art Dating-Plattform um die Gunst potenzieller Partner, gibt aber zu bedenken, dass er nur eine 5,4 ist.
Bea stellt diese Gesundheitsdiktatur erst dann infrage, als sich ihre beste Freundin Char (Lis Dostert) als 2 entpuppt – und kommt durch diesen Vorfall auf die Idee, Testergebnisse zu fälschen, einerseits, weil ein Nebenverdienst im späten Kapitalismus nie schaden kann, andererseits aber auch als selbstermächtigender rebellischer Gestus, der es ihr erlaubt, den Eindruck zu erhalten, ein klein wenig aus diesem gesundheitstotalitären Universum, in dem Menschen mit niedrigen Werten als „Subs“ diskriminiert werden, auszubrechen.
„Die Welt ist nicht gesund“
„Zu viel Liebe, zu wenig Dystopie“, urteilte jemand nach der Vorführung am Sonntag – und resümierte damit genau die Bedenken, die mir während des Stücks durch den Kopf geisterten. Tatsächlich verliert Autorin Ella Road auf halbem Weg (pun intended) ihre eigene Dystopie ein bisschen zu sehr aus dem Blick, sodass das Stück streckenweise wie ein Beziehungsdrama und immer weniger wie eine Sci-Fi-Dystopie wirkt.
Laut Science-Fiction-Theoretiker Darko Suvin definiert sich eine Fiktion als Science Fiction, wenn sie ein „novum“ beinhaltet. Ein solches „novum“ bezeichnet eine wesentliche Änderung in Bezug zur Wirklichkeit, in der der Text verfasst wurde – wie z.B. die Existenz von geklonten Menschen oder eben eines globalen Gesundheitsratings. Ist dieses „novum“ jedoch nicht stringent, sondern eher nebensächlich, weil es keine dauerhaften Auswirkungen auf das Leben der fiktionalen Figuren hat, streitet Suvin dem Text seine generische Angehörigkeit zur Science Fiction ab.
Nebensächlich ist das „novum“ in Roads „Laborantin“ zwar definitiv nicht, trotzdem ist es schade, dass sich die Figuren etwas zu sehr in Beziehungsproblematiken verzetteln. Das mag realistisch sein – in einer dystopischen Welt redet man ja wohl auch nicht ständig nur über die dystopischen Elemente –, nimmt dem Text aber die Chance, gesellschaftspolitisch noch relevanter zu sein, auch wenn die vielen Intermezzi auf die sozialen Auswirkungen des Gesundheitsratings eingehen.
Dies ist umso bedauerlicher, da gegen Ende des Texts, dank einer interessanten Handlungswende, ethische Fragen aufkommen, die es Road erlauben, Parallelen zwischen dem Gesundheitsimperativ unserer Leistungsgesellschaft, der bei Rechtsradikalen so beliebten Eugenik und der bei Rassisten geschätzten Phrenologie eines Cesare Lombardo zu ziehen.
„Unser Kind könnte ein Sub sein“
Verstärkt wird dieser Eindruck eines zu großen Fokus’ auf die Beziehung durch das meist starke, streckenweise aber etwas eintönige Spiel der beiden Hauptdarsteller, durch das das Interesse an der Beziehung zwischen den beiden zeitweilig abflacht – zudem wirkt die Tennyson-Intertextualität oftmals etwas bemüht und redundant, auch wenn sie in der finalen Handlungswendung wieder sinnvoll erscheint.
Dass Fábio Godinho stets mit seinen „Usual Suspects“ zusammenarbeitet, verleiht seinem Werk eine gewisse Kohärenz – so zeigt sich auch diesmal, wie bereits bei dem auch in Avignon aufgeführten „Sales Gosses“ oder bei Romain Buttis „Erop“, das die vergangene Spielzeit des Théâtre du Centaure beendete, sein Bruder Marco für die Bühne verantwortlich, die musikalische Kreation übernimmt wie bei „Erop“ Nigji Sanges.
Das Resultat kann sich durchaus sehen lassen. Das Bühnenbild trägt mit dem klinischen Weiß einer Art überdimensionierten Smartphone-Ablagefläche auf der linken Seite und der minimalistischen Innenarchitektur eines bourgeoisen Interieurs die Handschrift von Marco Godinho, die Musik unterstreicht die Handlung atmosphärisch und unaufdringlich. Nichtsdestotrotz dürften sich die Zuschauer*innen, die Godinhos Inszenierungen kennen, auf etwas zu vertrautem Terrain fühlen – weswegen man sich für eine seiner nächsten Inszenierungen wünscht, der junge Schauspieler und Regisseur würde sich aus seiner Komfortzone herauswagen und Neuland begehen.
Info
Weitere Vorstellungen der Koproduktion des Staatstheaters Mainz und der Théâtres de la ville de Luxembourg heute und morgen im Kapuzinertheater um 20.00 Uhr.
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