/ Häusliche Gewalt: Polizei muss im Schnitt zweimal am Tag eingreifen
Am Mittwoch stellte Gleichstellungsministerin Taina Bofferding (LSAP) den Bericht des „Comité de coopération entre les professionnels dans le domaine de la lutte contre la violence“ vor. Die Zahlen über die häusliche Gewalt seien im Vergleich zu den Vorjahren stabil, aber insgesamt immer noch viel zu hoch, so die Ministerin.
Im letzten Jahr hat das Großherzogtum die Konvention von Istanbul über die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ratifiziert. Man mache Fortschritte bei dem Thema, das aber leider noch immer von vielen Tabus belastet sei, so Taina Bofferding. Im Bericht des nationalen Ausschusses über die häuslische Gewalt für das letzte Jahr wurde festgehalten, dass die Polizei 739 Mal eingreifen musste. Das sei eine Steigerung von 3,36% im Vergleich zum Vorjahr. In 231 Fällen wurde eine sogenannte Fernhaltemaßnahme („expulsion“) ergriffen. 2017 waren es 217. Die Ordnungshüter mussten also monatlich im Durchschnitt rund 62 Mal wegen häuslicher Gewalt eingreifen. Pro Monat wurden fast 20 Hausverweise gezählt.
Und auch die Gerichte hatten genug zu tun. Insgesamt landeten 869 Dossiers auf dem Tisch der Staatsanwaltschaft in Luxemburg (634 Fälle) und in Diekirch (235 Fälle). Am Gericht in der Hauptstadt kümmern sich acht Richter ausschließlich um diese Fälle. Die Richter und die Staatsanwaltschaft begleiten jeden Fall auch mittel- und langfristig. Sie arbeiten in diesem Zusammenhang eng mit den Betreuungseinrichtungen und Hilfsorganisationen zusammen, betonte Laurent Seck vom hauptstädtischen „Parquet“.
Die Sanktionen, die verhängt werden können, sind vielfältig. Sie reichen von einer einfachen Verwarnung über eine Verwarnung mit Auflagen (z.B. eine psychologische Betreuung, eine Alkohol- oder Drogenentzugskur …) bis hin zu langen Gefängnisstrafen.
Die Opfer zuerst
Wird ein Fall von häuslicher Gewalt festgestellt, gilt die allererste Sorge den Opfern. Sie werden in der Regel innerhalb von 24 Stunden nach der Polizei-Intervention von Mitarbeitern des „Service d’assistance aux victimes de violence domestique“ oder SAVVD (eine Abteilung von „Femmes en détresse“) kontaktiert. Die Polizei informiert zuvor die SAVVD im Rahmen der „expulsion“. Psychologen und Sozialarbeiter versuchen den betroffenen Familien dann mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, beraten die Opfer, begleiten sie bei Verwaltungsgängen, zur Polizei usw.
Eine besondere Aufmerksamkeit komme den Kindern zugute, so Olga Strasser vom SAVVD. Deshalb kooperiere man auch eng mit den Betreuungsstrukturen für Minderjährige. Sechs Personen, davon eine Psychologin, arbeiten beim Hilfsdienst. Die Dauer der Hilfe sei von Fall zu Fall unterschiedlich, so Olga Strasser. Im letzten Jahr seien 127 Familien im Rahmen eines Hausverweises vom SAVVD kontaktiert worden.
„Riicht eraus“, eine Anlaufstelle des Roten Kreuzes
Neben den Opfern gibt es aber auch die Täter. Wolle man weiteres Unheil vermeiden, müsse man sich auch um sie kümmern, sagt Taina Bofferding. Das übernimmt dann oft „Riicht eraus“. Die Anlaufstelle des Luxemburger Roten Kreuzes für gewalttätige Menschen hat als Ziel, die Gewalt in Beziehungen zu reduzieren. Ein speziell ausgebildetes Team informiert die Täter, hört ihnen zu und unterstützt sie beim Kampf gegen ihre gewalttätigen Handlungen. Im Fall eines Hausverweises hat der Täter sieben Tage Zeit, um sich bei „Riicht eraus“ zu melden. Tut er es nicht, versucht die Hilfsorganisation ihn zu erreichen – informiert aber zugleich die Behörden über die Passivität des Verwiesenen.
„In 77% der Fälle konnte 2018 ein Kontakt hergestellt werden“, erklärt Laurence Bouquet von „Riicht eraus“. Ziel sei es unter anderem, den Opferschutz durch vorbeugende Maßnahmen zu erhöhen. Die Anlaufstelle gibt dann auch potenziellen Tätern die Möglichkeit, sich bei ihr zu melden. Im Falle einer Beratung findet während sechs Monaten einmal pro Woche eine Sitzung mit der betroffenen Person statt, so Laurence Bouquet weiter. Die Hilfe wird in sieben Sprachen angeboten.
„Häusliche Gewalt ist kein Kavaliersdelikt“, so Taina Bofferding. Sensibilisierung und Vorbeugung seien das A und O im Kampf gegen häusliche Gewalt, unterstrich die Gleichstellungsministerin. Auch müssten die geschlechtlichen Stereotypen bekämpft werden. In diesem Zusammenhang sei eine Studie an der Universität Luxemburg in Ausarbeitung. Sie sei gespannt auf die Resultate.
Wie funktioniert eine Fernhaltemaßnahme?
Eine „expulsion“ fängt immer mit einem Polizeieinsatz an. Nachbarn, Passanten oder die Opfer selbst kontaktieren in der Regel ein Kommissariat und melden einen Fall von häuslicher Gewalt. Zuerst wird eine genaue Analyse der Lage durchgeführt, so Kristin Schmit von der Polizei. Ist der Täter bekannt? Musste man bereits in dem betroffenen Haushalt eingreifen? Sind Alkohol- oder Drogenprobleme bekannt? So die üblichen Fragen. Parallel werden Beamte zum Tatort geschickt. Dort verschaffen sich die speziell geschulten Polizisten zuerst ein Bild der Lage. Sind Kinder dort? Haben das Opfer und/oder der Täter getrunken? Ist ein Krankenwagen notwendig? Ist der Täter bewaffnet? Vor Ort wird versucht, die Lage zu beruhigen. Der Täter wird dann zwecks Befragung mit aufs Revier genommen. Wird ein Fall von schwerer häuslicher Gewalt festgestellt, verfassen die Polizisten einen Bericht, der sofort an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wird. Diese entscheidet dann, ob der Täter das Haus verlassen muss oder nicht.
Bei einer Fernhaltemaßnahme spielt es des Weiteren eine Rolle, ob die Wohnung dem Täter gehört oder nicht. Die Polizeistreife begleitet diesen dann zur Wohnung, wo er seine Sachen packen kann. Danach muss er sämtliche Schlüssel der Polizei aushändigen und das Haus oder die Wohnung umgehend verlassen. Ein Hausverweis dauert mindestens 14 Tage, kann aber auf drei Monate verlängert werden. Der Verwiesene bekommt ein Dokument, wo er Informationen über die Fernhaltemaßnahme, seine Pflichten und seine Rechte findet. Auch die Opfer werden informiert. Das Info-Blatt wird in 13 Sprachen gedruckt, erklärt Kristin Schmit. Ein Hausverweis kann eine Polizeistreife während einer ganzen Schicht beschäftigen. Denn für die strafrechtliche Verfolgung muss noch ein weiterer Bericht angefertigt werden, so Schmit.
Statistiken
Im letzten Jahr gab es 739 Polizeieinsätze wegen häuslicher Gewalt. 231 Fernhaltemaßnahmen wurden ausgesprochen. Die provisorische Bilanz von diesem Jahr weist 165 „expulsions“ aus. Die Zentren mit den meisten Einsätzen waren 2018 Esch/Alzette (288), Luxemburg (168) und Diekirch (97). Die Gemeinden mit den meisten Interventionen waren indes Luxemburg (143), Esch/Alzette (68), Differdingen (57) und Düdelingen (40). In den meisten Fällen war körperliche Gewalt der Grund für den Hausverweis (168 Fälle), gefolgt von Morddrohungen (55) und Beleidigungen (53). Es wurden aber auch 6 Totschlagsversuche und ebenso viele Drohungen mit einer Stichwaffe gezählt.
Die meisten Fälle von häuslicher Gewalt werden am Wochenende registriert. Die Monate, in denen 2018 die meisten Anrufe wegen häuslicher Gewalt bei der Polizei eingingen und die meisten „expulsions“ beschlossen wurden, waren der Dezember (77 Einsätze/28 Verweise), der Juli (71/28) und der April (70/26). 66% der Opfer waren im letzten Jahr Frauen, 34% Männer. Bei den Tätern waren fast 67% Männer. 2018 erfolgten 155 Urteile gegen Täter von häuslicher Gewalt. Was die Staatsbürgerschaft oder das soziale Umfeld betrifft, so ist laut Ministerin Bofferding kein Trend auszumachen: „Das Phänomen betrifft uns alle.“
Volle Frauenhäuser
In den 14 Tagen bis drei Monaten, die eine Fernhaltemaßnahme dauert, haben die Opfer die Möglichkeit, das Haus oder die Wohnung der Gewalt zu verlassen und sich eine neue Bleibe zu suchen. Denn häufig sind sie nicht die Besitzer der Immobilie, so die Verantwortliche eines Frauenhauses. Sie können provisorisch in einer Unterkunft für Personen in Not unterkommen. Dort wird ihnen geholfen, eine Lösung für ihre Lage zu finden.
Nun ist es aber so, dass diese Heime hierzulande quasi voll sind. Auch sei die Unterbringung in den Frauenhäusern keine optimale Lösung, weil die Opfer aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen werden, sich verletzlich fühlen und unter einem Mangel an Selbstvertrauen leiden. Besonders schlimm sei die Lage, wenn Kinder im Spiel sind, so eine Sozialarbeiterin. Denn oft müssen die betroffenen Frauen wieder bei Null anfangen. Aber viele Opfer haben kein Geld. Die Verwaltungsprozeduren sind teilweise immer noch lang. Mit der Folge, dass viele Frauen länger in der Übergangsunterkunft bleiben als eigentlich vorgesehen. Das wiederum führt zu einem Engpass.
Zwei Empfehlungen und eine Kampagne
Das „Comité de coopération entre les professionnels dans le domaine de la lutte contre la violence“ hat zwei Empfehlungen an die Regierung formuliert. Sie haben vorrangig als Ziel, die statistische Erhebung der Fälle zu verbessern, um sich ein klareres Bild über das Phänomen zu machen. Auch die Betreuung der Opfer soll dadurch optimiert werden. So schlägt der Ausschuss die Schaffung einer Beobachtungsstelle („Observatoire“) vor. Sie soll die Fälle unter die Lupe nehmen Sie soll als Aufgabe bekommen, die Ursachen, die zur häuslichen Gewalt geführt haben, die Verfolgung der Täter sowie die Betreuung der Opfer zu untersuchen.
Das Gleichstellungsministerium hat zudem eine neue Sensibilisierungskampagne ins Leben gerufen. Durch eine Broschüre, Plakate und eine neue Internetseite (www.violence.lu) soll auf die verschiedenen Formen der Gewalt (körperlich, psychisch, sexuell, Mobbing und Stalking, Zwangsheiraten, erzwungene Abtreibungen, Genitalverstümmlungen …) aufmerksam gemacht werden. Die Opfer und Personen, die Kenntnis über häusliche Gewalt in ihrem Umfeld haben, werden aufgerufen, die Vorfälle zu melden.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar von René Hoffmann.
- Roland Breyer, ein Leben im Dienst der Gemeinde - 17. September 2020.
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- Klimafreundliche Mobilität - 13. September 2020.
Alles gett hei op tageblatt.lu kommentéiert. Just desen Artikel net. Firwat ?
Abbe, ech fannen et onerhéiert datt nach emmer déi Gewalt ausgeübt gett, a muenchmol mat dem Doud vun der Fra ennegt. Mee wann ech dann rem un déi „gewalt“eg Kommentaren denken, da verstinn ech villeicht wisou esouvill reell Gewalt doremmer ass. Helleft do Opklärung an der Schoul .. zu all Zort Gewalt ?