20 Jahre Gewaltschutzgesetz / Konferenz zum Thema häusliche Gewalt: „Täterarbeit ist aktiver Opferschutz“
Die eigenen vier Wände und die Familie bedeuten für viele ein Rückzugsort und Sicherheit. Doch wenn genau derjenige, der einem eigentlich am nächsten steht, Gewalt anwendet, wissen viele Opfer erst mal nicht weiter. Deswegen besteht seit 2003 in Luxemburg das Gewaltschutzgesetz, das damals für einen Umbruch gesorgt hat.
Häusliche Gewalt kommt in allen Gesellschaftsschichten vor und kann somit jeden treffen. Im vergangenen Jahr musste die Polizei 978-mal aufgrund von häuslicher Gewalt ausrücken, also im Schnitt fast dreimal täglich. Das ist ein Plus von 60 Fällen im Vergleich zu 2021. Seit 2003 hat Luxemburg das sogenannte Gewaltschutzgesetz, um die Opfer besser zu schützen und den Tätern sofort etwas entgegensetzen zu können. Durch die Wegweisung werden die Täter für 14 Tage ihrer Wohnung verwiesen. Die Hausschlüssel müssen sie der Polizei aushändigen. Um auf die Entwicklung des Gesetzes in den letzten 20 Jahren zurückzublicken, hat das Ministerium für Gleichstellung von Frauen und Männern am Mittwoch eine Konferenz mit anschließender Diskussionsrunde organisiert.
Häusliche Gewalt sei keine Privatsache, sondern ein gesellschaftliches Problem, sagte Gleichstellungsministerin Taina Bofferding (LSAP). Das Gesetz von 2003 habe zu einem Paradigmenwechsel geführt, da von da an die Täter die Wohnung verlassen mussten und nicht mehr die Opfer. Die Täterarbeit sei auch einer der Faktoren, die zu einer Verbesserung der Situation führten. Es sei wichtig, die verschiedenen Tätertypen zu verstehen und sie noch mehr in die Verantwortung zu nehmen. „Weniger Täter bedeuten auch weniger Opfer“, so die Ministerin.
Täter begleiten, Opfer schützen
Für Justizministerin Sam Tanson („déi gréng“) ist es wichtig, die Thematik immer wieder in der Öffentlichkeit zur Sprache zu bringen. Der Gesetzestext sei in der Vergangenheit immer wieder angepasst worden. In Zukunft sollen die Täter noch besser begleitet und die Opfer noch besser geschützt werden. Hier nannte die Politikerin das Beispiel von elektronischen Fußfesseln, deren möglicher Einsatz in solchen Fällen noch geprüft werden müsse. Henri Kox („déi gréng“), Minister für Innere Sicherheit, ging auf die hohe Dunkelziffer ein und die dadurch zu lösenden gesellschaftlichen Herausforderungen. Zudem müsste den zukünftigen Polizisten in ihrer Ausbildung die richtigen Instrumente mit auf den Weg gegeben werden, um später solche Situationen richtig meistern zu können. Bei ihrer Ankunft an Ort und Stelle wüssten sie schließlich nicht, was gerade hinter der Tür passiere.
Wiederholungstäter waren das Hauptthema im weiteren Verlauf der Veranstaltung. Kriminologin Bettina Riederer, Mitglied des deutschen Zentrums für Kriminologie und Polizeiforschung, ging auf die Perspektiven von Täterarbeit im Kontext von häuslicher Gewalt und auf das Paradigma von Opferschutz ein. Häusliche Gewalt gehe von dem Menschen aus, die die Opfer am liebsten haben und von dem sie es am wenigsten erwarten. Weiter ging sie auf die vier Formen häuslicher Gewalt ein. Die ökonomische Gewalt bezieht sich auf den Entzug von finanziellen Mitteln. Strukturelle Gewalt bedeutet die Einschränkung von sozialen Interaktionen. Das heißt, das Opfer wird von der Außenwelt isoliert und ständig kontrolliert. Psychische Gewalt bildet langfristig die meisten Narben und ist nur schwer messbar. Physische Gewalt umfasst alle Formen von Misshandlungen. Mit dem Satz „Täterarbeit ist aktiver Opferschutz“, schloss Riederer ihre Präsentation ab.
Bei der Diskussionsrunde mit sieben Experten wurden die verschiedenen Sichtweisen aus dem System dargelegt. Für Laurent Seck von der Staatsanwaltschaft ist die Wegweisung ein gutes Mittel in Sachen häuslicher Gewalt, denn private Verhaltensweisen würden an die Öffentlichkeit „gezerrt“. Tätern wie Opfern würde ein Spiegel vorgehalten. Täter müssten beispielsweise Freunden oder der eigenen Mutter erzählen, dass sie ihre Frau geschlagen haben. Anne Metzler von der Vereinigung Taboo gab zu bedenken, dass auch schwere Fälle von häuslicher Gewalt immer noch durch das Raster fallen würden. Wenn ein Opfer sich traue, etwas zu sagen, dann hoffe es, dass endlich alles vorbei ist. Doch das sei nicht der Fall. Oft würden sich die Betroffenen an die Vereinigung wenden, weil es Probleme mit dem System gab.
Laut Dan Biancalana (LSAP), Präsident der Kommission für innere Angelegenheiten und Gleichstellung zwischen Frauen und Männern, würden sich die Opfer eher an Hilfestellen und Dienste wenden als an staatliche Institutionen. Für Laurence Bouquet vom Dienst „Riicht eraus“, eine Anlaufstelle für Täter von häuslicher Gewalt, müsse noch früher mit der Präventionsarbeit angesetzt werden. In ihrem Schlusswort ging Isabelle Schroeder vom Gleichstellungsministerium darauf ein, dass die Gesetzgebung weiter gestärkt werden müsse. Der Täter müsse weiter in die Verantwortung genommen werden. Seit 20 Jahren würden sie daran arbeiten, jedem Opfer eine Stimme zu geben. „Jeder Betroffene muss wissen, dass es Hilfe gibt“, so Schroeder abschließend.
Zahlen und Fakten
1.712 Menschen wurden im Jahr 2021 Opfer von häuslicher Gewalt. Über 60 Prozent der Leidtragenden waren Frauen. Die Polizei hat insgesamt 1.365 Gewalttäter registriert. Die Problematik besteht in allen Gesellschaftsschichten. Der „Service d’assistance aux victimes de violence domestique“ (SAVVD) hat im vorletzten Jahr 327 Beratungsgespräche und 3.304 Telefonate geführt, um Opfer von Gewalt zu unterstützen.
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