Editorial / „Have a little pride“
Wenn wir am Wochenende in Esch die Pride-Flaggen zur queeren Hymne „I am what I am“ von Gloria Gaynor schwingen, können wir uns glücklich schätzen: Dafür, dass zivilgesellschaftliche Organisationen in Luxemburg mindestens seit den 1970er-Jahren Räume für LGBTQIA+-Menschen schaffen; dass progressive Politiker*innen in der Abgeordnetenkammer früher wie heute keine noch so hitzige Debatte scheu(t)en, um die Rechte marginalisierter Personengruppen zu stärken oder auch dafür, dass luxemburgische EU-Abgeordnete queerfeindlichen Hardliner*innen in Brüssel unermüdlich die Stirn bieten.
Dankbarkeit gilt jedoch auch Privatpersonen, die im Alltag ein Zeichen für die Sichtbarkeit von LGBTQIA+-Menschen setzen: Sie sind es, die sich in den Kommentarspalten in den sozialen Netzwerken und in Blogs mit schreibwütigen ADR-Politiker*innen und ihren Anhänger*innen streiten. Oder auch durch das offene Ausleben ihrer sexuellen Orientierung, beziehungsweise ihrer Geschlechtsidentität, Menschen ermutigen, zu sich zu stehen. Dasselbe gilt für Kulturhäuser und Bildungseinrichtungen, die Anti-Gender-Bewegungen den Mittelfinger zeigen, indem sie Diversität und Aufklärung großschreiben.
Für all jene sollten wir Gloria Gaynor kurz leiser drehen und eine Runde Standing Ovations einlegen, denn Aktivismus jeglicher Art erfordert mentales Durchhaltevermögen. Das eigene Seelenwohl und Leben für eine bessere Gesellschaft aufs Spiel zu setzen, ist keine Selbstverständlichkeit – und darf auch nicht als solche missverstanden werden.
Beängstigend ist die aktuelle Situation von LGBTQIA+-Menschen allemal: In Deutschland brennen Regenbogenfahnen, angezündet von Rechtsextremen. Unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verlieren lesbische Mütter in Italien rückwirkend das Sorgerecht für ihre Kinder. In Ungarn müssen Bücher zu LGBTQIA+-Themen in Klarsichtfolie verkauft werden und die Weitervermittlung queerer Inhalte an Minderjährige ist verboten. Zu Recht sorgen sich auch Vertreter*innen der Vereinten Nationen: In der Organisation spitzen sich die Grabenkämpfe bezüglich der Rechte von Frauen und queeren Personen zu – ganz zum Wohlwollen der queerfeindlichen Regierung Russlands, die sich dadurch neue Allianzen erhofft. Andernorts stehen auf Homosexualität weiterhin Haft- und Todesstrafen.
In manchen Nationen herrscht also Stillstand im Hinblick auf LGBTQIA+-Rechte, andere legen unter der Führung rechter Parteien den Rückwärtsgang ein. Ein erschreckend großer Teil der Gesellschaft unterstützt Mächte, welche die Hetze gegen queere Personen instrumentalisieren, um von wahren Missständen abzulenken. Die Untergrabung hart erkämpfter Menschenrechte wird so zunehmend gebilligt. Letztere betreffen nicht nur LGBTQIA+-Menschen. Zumal manche von ihnen selbst rechts wählen und sich gegen Teile der Communitys stellen.
Doch das Karussell der Sündenböcke dreht sich schnell: Hass, Hetze, Ausgrenzung gegen eine Bevölkerungsgruppe weitet sich oft wie ein Laubfeuer aus. Schon allein wer selbst nicht in der Frontreihe enden will, sollte umso stärker gegen jede Form der politischen und gesellschaftlichen Diskriminierung vorgehen. Auch wenn nicht jede Lebensweise der eigenen entspricht und genderneutrale Schreibweisen einem ein Dorn im Auge sind. Am Ende geht es um Gerechtigkeit. Oder um es sinngemäß mit dem US-Philosophen John Rawls zu sagen: „Eine Gesellschaft ist nur so gerecht, wie es die Situation derjenigen ist, denen es am schlechtesten geht.“
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