Luxemburg / Hetze à la ADR: Warum das „Lügenpresse“-Narrativ gefährlich ist
Die Presse lügt: So der erste Reflex der Verschwörungstheoretiker, wenn ihre Weltansicht kritisiert wird. Die ADR ist Luxemburgs einzige Partei, die diese Parolen übernimmt und verbreitet. Auch der Abgeordnete Fred Keup geht zum Lügenpresse-Angriff über. Eine Analyse.
Der Ausdruck „Lügenpresse“ wird zum Lieblingswort der Verschwörungstheoretiker. Berichtet ein Presseorgan unangenehme Wahrheiten, die das eigene Narrativ nicht unterstützen oder Fehler aufdecken, ist der Begriff griffbereit. Der Escher Schwurbler-Wortführer Sacha Borsellini hat sich jüngst über fehlenden objektiven, sachlichen und investigativen Journalismus beschwert. Die Gründe: die staatliche Pressehilfe – und im Falle des Tageblatt die Verbindung zur Gewerkschaft OGBL.
Dabei kopiert der 27-Jährige eins zu eins die neue Medienschelte des ADR-Abgeordneten Fred Keup. Der Politiker hat am Wochenende auf Facebook die Hypothese aufgestellt, das Tageblatt versuche, die Covid-Proteste mit „reißerischen Artikeln“ zu schwächen, weil sich die Gewerkschaften – aus Furcht, von „Schwurbler/innen“ gekapert zu werden – nicht mehr auf die Straße trauten. „Das Tageblatt ist Teil von Editpress und gehört dem OGBL“, schreibt der Abgeordnete.
Die Forderungen der ADR nach neutralem und objektivem Journalismus findet Luc Caregari, Generalsekretär der Luxemburger Journalistenvereinigung „Association luxembourgeoise des journalistes professionnels“ (ALJP), suspekt – „vor allem aus der politischen Ecke, in die die ADR gewandert ist“. Der Partei gehe es eher um eine Gleichschaltung der Presse. Dabei hänge der Wahrheitsgehalt einer Zeitung nicht davon ab, wem sie gehört. Denn: „Egal wem das Medium gehört, die Journalisten sind dem Deontologie-Kodex verpflichtet“, sagt Caregari. Wenn eine Zeitung Lügen verbreite, dann sei der Presserat dafür zuständig und nicht ein Politiker.
Keup versuche ziemlich subtil, das Narrativ der Lügenpresse so zu drehen, dass es auf die Eignerschaft des Mediums zeigt. „Wenn man seine Argumentation bis zu Ende denkt, ergibt es keinen Sinn“, meint der Generalsekretär. Es gehöre zur Medienkompetenz, zu wissen, wer hinter einer Zeitung stehe. „Es ist nun mal so, dass das Tageblatt dem OGBL gehört und es auch zum Selbstverständnis der Zeitung gehört, eher linksorientiert zu sein – und das wissen die Leser auch“, sagt Caregari.
Man müsse sich fragen, wer ein Interesse darin habe, kritisch berichtende Medien als Lügenpresse darzustellen. Das seien normalerweise die Menschen, die in den normalen Medien nicht so dargestellt werden, wie sie sich das wünschen – „und darunter fällt auch Fred Keup“, sagt der Journalist. Parteikollege und Abgeordneter Roy Reding hatte einen Tageblatt-Journalisten einer Telegram-Chatgruppe zum Fraß vorgeworfen. Die öffentliche Empörung war groß. So groß, dass sogar Keup sich von Reding distanzierte. Er meinte in einem RTL-Interview: „Ich bin auch der Meinung, dass Roy Reding Fehler gemacht hat.“ Daran erinnert sich Keup heute offenbar nicht mehr.
Klassische rechtsextreme Medienschelte
Die Argumentation in Fred Keups Text ist laut Piraten-Abgeordneter und Medienkommissionsmitglied Sven Clement eine klassische rechtsextreme Medienschelte. „Mann muss nicht mit allem, was die Medien machen, einverstanden sein, aber zu versuchen, die Glaubwürdigkeit der Medien zu untergraben und ihnen zu unterstellen, dass sie bewusst lügen, ist problematisch“, sagt Clement. Die ADR positioniere sich so als einziger Wahrheitshüter. Dass es eine Verschwörung gebe, die Wahrheit versteckt werden müsse. „Es ist das klassische ‚die Elite entscheidet über euch‘“, sagt Clement.
Dabei gehöre die ADR selbst zu dieser Elite. „Es ist immer wieder eigenartig, wenn Roy Reding sich als Mensch des kleinen Mannes ausgibt“, sagt Clement. Das treffe bei der ADR aber nur auf Jeff Engelen zu. Die anderen drei Abgeordneten hätten noch keinen Tag arm gelebt. Die meisten Journalisten sind laut Clement sozioökonomisch viel näher bei den Menschen, die die ADR zu vertreten behauptet, als bei denen „von dort oben“.
Trotzdem: Bei einem Teil der Bevölkerung existiere ein Vertrauensbruch gegenüber den Medien. Die Frage sei, wie groß und dauerhaft. Die Debatte um eine mögliche Impfpflicht spiele in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle. „Ich habe das Gefühl, dass sich die Medien dort gerade etwas selbst ins Bein schießen“, meint der Abgeordnete. „Es wurden in den vergangenen Tagen viele Beiträge veröffentlicht, die immer nur eine Schlussfolgerung zuließen: ‚Es geht nicht ohne Impfpflicht.‘“ Die Debatte würde auf eine Ja-Nein-Diskussion runtergebrochen. „Du bist eine gute Person, wenn du für eine Impfpflicht bist, und schlecht, wenn du das nicht bist“, sagt Clement. Solche gefühlte Vereinfachungen würden in einer Medienlandschaft das bereits angeschlagene Vertrauen zerstören.
Man könne die Medien also definitiv kritisieren – aber zu behaupten, dass sie alle lügen, weil die Regierung sie bezahlt, sei schlicht falsch. Dies kann laut Clement brandgefährliche Konsequenzen haben, die „noch gefährlicher werden, wenn die Politiker Öl darauf schütten“.
Die Gefahr des Lügenpresse-Narrativs
Ein rezentes Beispiel zur Entwicklung im Anfangsstadium: Eine Tageblatt-Fotografin wurde am Montagabend in Esch während eines „Corona-Spaziergangs“ von einer überschaubaren Gruppe von Impfgegnern angepöbelt: Sie würde für die „Lügenpresse“ arbeiten und solle verschwinden, hieß es. Niemand wurde handgreiflich. Die Fotografin entfernte sich aber nach diesem Vorfall vom Escher Rathausplatz. „Genau hier liegt die Gefahr – wenn man anfängt, die Medien kategorisch als Lügenpresse oder als unglaubwürdig zu kategorisieren. Dann wird es auch legitim, die Medien abzuschaffen oder Journalisten anzugreifen“, sagt die Politologin und Rechtspopulismus-Expertin Léonie de Jonge gegenüber dem Tageblatt. „Als Nächstes werden Journalisten dann mit Steinen beworfen oder ein Fenster wird zerstört.“
Eine:r dieser Pöbler hat am selben Abend stolz im Online-Dienst Discord mit diesem Vorfall geprahlt: „Ganz sériöen Journalismus…da schecken se kleng Mädecher fir hir Liggepress.“ Der Post erntet Zustimmung in Smiley-Form. Eine Person schreibt: „Journalisten verhaalen sech wei Raaten, wann d’Luucht un geht. Seier quiekend zereck an de Schied.“
Der Vergleich der Journalisten mit einer Ratte ist laut de Jonge eine Art der Dehumanisierung. „Was macht man mit Ungeziefer? Das vernichtet man, das muss man loswerden“, sagt de Jonge. Die Menschen würden nicht aufpassen, was Worte bewirken können – vor allem in den sozialen Medien. „Es ist nicht verwunderlich, dass Menschen in einer Discord-Gruppe so etwas sagen, wenn Abgeordnete Sachen sagen wie das, was Keup und andere ADR-Politiker von sich geben“, erklärt die Politologin.
Wenn eine ganze Partei die Medien kategorisch als unglaubwürdig betitelt, dann handele es sich dabei um Verschwörungstheorien. „Man kann Medien kritisieren, und das ist auch wichtig, aber man darf nicht kategorisch alle Medien und Journalisten infrage stellen“, sagt de Jonge.
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Man hat ja bei Herrn Trump gesehen wohin das führt,Sturm aufs Kapitol usw.
Dann tut (die Politiker) endlich was dafür, dass man ausserhalb der beruflichen Aktivität nicht gezwungen wird zusätzlich noch mit seinen Mitmenschen klarzukommen. Problem der ganzen EU gelöst. Ruhebereich Privatsphäre Erholung Energie aufladen Fehlanzeige.