Lokalgeschichte / Vor 95 Jahren fuhr erstmals eine Tram zwischen Esch und Kayl
Vor genau 95 Jahren ist erstmals eine Tram zwischen Esch und Kayl gefahren. Es soll eine der schönsten Teilstücke der „Minettstram“ gewesen sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen Individualverkehr und Busse interessanter, der Betrieb der Straßenbahn wurde eingestellt. Eine Suche nach den Spuren der ehemaligen Strecke.
Lange Zeit war sie nur ein Traum: eine Straßenbahn, die die aufstrebenden Gemeinden im Süden Luxemburgs miteinander verbindet. Eine elektrische Tram, die Industriearbeiter zu ihren Betrieben bringen kann.
Eine erste Initiative wurde um das Jahr 1900 gestartet, verlief jedoch erfolglos. Erst zehn Jahre später stimmte das Luxemburger Parlament einem Gesetzesvorschlag zu, ein Tram-Netz zwischen Differdingen und Düdelingen, über Esch/Alzette und Rümelingen, zu errichten.
Im Jahr 1914 entsteht dann, in Zusammenarbeit mehrerer Gemeinden, der „Syndicat des tramways intercommunaux du canton d’Esch-sur-Alzette“ (TICE). Mission war der Bau und das Betreiben eines Straßenbahnnetzes. Der Streckenverlauf wurde festgelegt. Die Bauarbeiten begannen und Material wurde bestellt. Der Erste Weltkrieg machte den Gemeinden jedoch einen Strich durch die Rechnung. Es fehlte an allem. Der Bau musste unterbrochen werden.
Auch nach dem Krieg dauerte es weiter, bis das Tram-Projekt wieder richtig anlief. Am 29. Mai 1927 war es schließlich so weit: Die erste Strecke, von Esch/Alzette nach Petingen, wurde feierlich in Betrieb genommen. Kurz darauf, am 14. August 1927, also vor genau 95 Jahren, folgte der Start der Linie Esch – Kayl, die später bis nach Düdelingen und Rümelingen verlängert wurde.
Tramlinien von 53,7 Kilometern
„Dass diese elektrischen Bahnen die weitere Entwicklung des industriereichen Kantons Esch von der größten Bedeutung sind, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden“, berichtete die „Luxemburger Illustrierte“ damals. „Wir wünschen dem jungen Unternehmen ein volles Gedeihen: Mögen längs der gesamten Strecke Beamten- und Arbeiter-Wohnhäuser entstehen, nur Einfamilienhäuser mit möglichst großen Gärten.“
Insgesamt entstand ein Netz aus vier interkommunalen und mehreren lokalen Linien, mit einer Gesamtlänge von 53,7 Kilometern. Zum Vergleich: Die heutige Tram-Strecke in Luxemburg-Stadt beträgt rund 8 Kilometer.
Der Bahnhof von Esch war das Herz des Straßenbahn-Netzes und stellte systematisch eine Endstation dar, was zur Folge hatte, dass es sich eigentlich um zwei getrennte Netze handelte: dem auf der Seite von Differdingen und dem auf der Seite von Düdelingen. Das Hauptdepot für die Flotte von 25 Triebwagen und fünf Anhänger befand sich in Esch. Die Triebwagen hatten eine Kapazität von 54 Plätzen, davon 24 Sitzplätze. In den Anhängern gabt es Platz für 42 Personen, davon 18 Sitzplätze.
Keine Feier des 30. Geburtstags
Den Zweiten Weltkrieg überstand die „Minettstram“ relativ unbeschadet. Dennoch sollte sie nicht mehr besonders lange weiterrollen. In den Folgejahren wurde eine Strecke nach der anderen eingestellt. Die Tram galt nicht mehr als attraktives Fortbewegungsmittel. Man setzte lieber auf Busse und Privatautos. Die Strecke von Esch nach Rümelingen und Ottange (F) wurde 1950 eingestellt. Die Strecke Kayl – Düdelingen war 1954 an der Reihe. Am 22. September 1956 rollte die allerletzte Tram von Kayl zurück nach Esch. Die Feier des 30. Geburtstags blieb der Strecke verwehrt.
Die komplette Infrastruktur wurde danach zügig abgebaut, das Roll-Material verschrottet. Die Jahre überstanden hat, abgesehen von Fotos und Erinnerungen, nur wenig. Triebwagen oder Anhänger sind keine erhalten geblieben. Auch das ehemalige Hauptdepot in Esch wurde abgerissen – es galt, Platz zu machen für ein neues Busdepot. 2008 verschwand auch das Wort „Tram“ aus dem Namen des Gemeindesyndikats. Es heißt nun „Syndicat pour le transport intercommunal de personnes dans le canton d’Esch-sur-Alzette“.
Auch auf der letzten Strecke, auf der damals eine Tram unterwegs war, sind nur Spuren geblieben. Wer heutzutage zwischen Esch und Kayl nach den Überbleibseln der Tram sucht, braucht einen scharfen Blick.
Startend vom Escher Bahnhof überquerten die Trams erst den Norbert-Metz-Platz, und fuhren dann unter der Eisenbahn-Brücke „Ronn Bréck“ hindurch. In Neudorf folgte die Tram der langen, langsam ansteigenden Straße in Richtung Kayl. An einigen Häuserwänden sind heute noch kleine Spuren der Tram zu sehen: kleine Halter, an denen einst die Kabel für die Straßenbahn festgemacht waren.
Beim Verlassen der Stadt Esch folgte die Tram, den Berg hinauf, weiter der Straße, drehte dann jedoch leicht nach rechts. Ihre Trasse verlief nun eine Zeit parallel zur Straße, etwa 20 Meter links unter der Straße (rue de Rumelange). Zum Spazieren eignet sich der Weg nicht mehr. Er ist komplett zugewachsen.
„E richtegt Gerabbels a Geknupps“
Kurz bevor die Straße zum letzten Stück ihrer Steigung ansetzt und den „Kayler Poteau“ erreicht, biegt die Trasse der Straßenbahn nach rechts ab. Es ist der Beginn einer großen S-Kurve, die der Tram wohl half, die starke Steigung zu bewältigen.
Die Tram fuhr nun quer durch das ehemalige Minett-Abbaugebiet. Früher gab es hier, wie auf den Fotos gut zu erkennen ist, keinen einzigen Baum. Wie eine Fahrt durch eine Mondlandschaft muss es sich angefühlt haben. Vielen Fahrgästen ist zudem der Lärm in Erinnerung geblieben: Ein „Gerabbels a Geknupps“ soll die abenteuerliche Fahrt zu bieten gehabt haben.
Schön beschrieben wurde das Fahrgefühl von Pierre Biltgen in der Broschüre „Interesseveräin Quartier-Neiduerf 40 Joer; Esch/Uelzecht 1957-1997“: „Ween an de Joeren 1927 bis 1956 mat dem Tram gefuer as, erénnért sech nach un dat geféierlescht Wackelen vun de Ween an dat onheemlecht Quiitschen vun de Rieder, un déi rout Fielswänn, déi bedrolech no laanscht Fénsteren gezu sin. (…) Et hat dach och séi Reiz, wann een op deenen hélzenen Bänken hin a hir gerutscht as, Oder, wann ee stoe huet mussen, sech un de liedernen Gréffer verbassen huet mussen upaken.“
Außerhalb von Esch verläuft die ehemalige Strecke der Straßenbahn heute teilweise neben einem Fußweg (ausgehend von der rue de la Source). Erst links des Weges, dann rechts. Wer gut zwischen das Gebüsch, vor allem rechts neben dem Weg, schaut, der kann die Schlacken erkennen, die zu einem kleinen Hügel von etwa einem Meter aufgeschüttet worden waren, um für eine gerade Schienen-Strecke zu sorgen.
Wo Spazierweg und Trasse aufeinandertreffen
Auch erkennbar ist der eine oder andere Strommast von damals. Der obere Teil wurde zwar abgeschnitten. Das Fundament der Masten wie auch die untersten paar Zentimeter sind jedoch oftmals erhalten. Meist von Moos und Gebüsch überwuchert.
Schlussendlich treffen sich Spazierweg und Tram-Trasse. Weiter geht es dann – ziemlich unbequem – über die Schlacken des alten Weges. Gut erkennbar sind an diesem kurzen Abschnitt erneut die Fundamente einiger Strommasten.
Über einen hohen aufgeschütteten Schlackenhügel fuhr die Tram weiter in den Wald. Auch zu Zeiten der Tram standen hier bereits Bäume. Darunter viele Tannen, die damals extra angepflanzt wurden, zur Nutzung in den Mienen.
Nach dem Durchqueren des kleinen Wäldchens führte der Weg die Straßenbahn dann kurz durch Felder und Wiesen bis hin zu einer kleinen Materialbude für eine Weiche. Die steht heute noch, ganz verloren und zugewachsen, neben der alten Tram-Strecke. Bei diesem Schuppen trennte sich die Tram in zwei Linien. Die eine fuhr geradeaus weiter nach Kayl, die andere bog rechts ab, nach Rümelingen.
Abenteuerliche Fahrt in Richtung Tal
Wir folgen der Linie nach Kayl: Kurz nach dem höchsten Punkt des „Kayler Poteau“, vor der heutigen Straßenkreuzung, überquerte die Tram die Straße. Auf dem Feld auf der anderen Seite ist die alte Trasse immer noch gut sichtbar, doch nur für den, der weiß, was er sucht: Die ehemalige Tram-Strecke trennt das sich heute dort befindende Feld in zwei Teile. Wie eine Schneise mit Bäumen und Büschen zieht sie sich hindurch. Bei genauem Hinschauen wird auf dem ersten Teil des Feldes der Schlackenhügel erkenntlich, auf dem die Tram einst fuhr. Der Grund eignete sich wohl nicht zum Anbau von Getreide und er verwilderte. Rechts neben der ehemaligen Tram-Strecke führt heute ein Spazierweg entlang.
Nach und nach grub sich der Weg der Tram ein und es ging abwärts. Weiter führte ihn sein Weg in den Wald. Um einen zu schnellen Abstieg zu vermeiden, fuhr die Straßenbahn damals, in einer weiteren langen S-Kurve, am Berghang entlang, hinab in Richtung Tal. Teils sehr abenteuerlich. Teils fällt das Gelände neben der Strecke schroff, um zehn, zwanzig Meter in die Tiefe. Die ehemalige Trasse ist heute noch gut erkennbar, doch komplett zugewachsen.
Einmal aus dem Wald heraus, schlängelte sich die Tram, links von der aktuellen Straße, weiter den Berg hinab durch Felder und Wiesen. Heute zeigen Bäume und Sträucher, wo die Strecke einst verlief. Aufgeschüttete Hügel aus Schlacken eignen sich nicht für Landwirtschaft. Ausgehobene Gräben auch nicht. Kurz vor der Ortschaft überquerte die Tram dann die Straße erneut und fuhr rein, rechts von ihr nach Kayl.
Am Ortseingang von Kayl findet sich dann eine Erinnerung an die ehemalige Straßenbahn. Auf einem bereits leicht verblichenen Schild wird erklärt, dass hier früher mal eine Tram vorbeifuhr. Einen Plan, irgendwann wieder eine Tram zwischen Esch und Kayl fahren zu lassen, gibt es nicht.
Quellen
Inspiration und Quellen für diesen Bericht sind die beiden Bücher „De Minettstram – Die Geschichte der Interkommunalen Trambahnen im Kanton Esch“ (Paul Bohnert, Raymond Dhur, Jules Eck und Prosper Raunen, Editpress 1985) und „De Minettstram – fréier an haut“ von Bus 34 asbl, 2010) sowie der Minettstram-Bericht der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Für die geschichtlichen Fotos geht ein großer Dank an Arsène Pennartz, Präsident der Vereinigung Bus 34, der uns Zugang zu seinem Privatarchiv gewährt hat. Die Bilder aus dem Sommer 2022 stammen von Ania und Christian Muller.
Die Haltestellen der Linie Esch – Kayl
Esch/Gare
Esch/Norbert-Metz-Platz
Esch/Unterführung Neudorf
Esch/Neudorf
Kayler Poteau/Scheitelpunkt
Kayl/op der Klaus (Friedhof)
Kayl/Brücke
Kayl/Altrescht (Kreuzung rue de l’Ecole – rue du Commerce)
Kayl/Abzweigung nach Tetingen
Kayl/Scherr
und weiter über Johannisberg
bis nach Düdelingen/Greisendahl (Terminus)
Das könnte Sie auch interessieren:
Thillenberg: Vor 40 Jahren wurde die letzte Mine in Luxemburg geschlossen
Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg unter dem Schifflinger Stahlwerk
Auf den Spuren der Quelle der Alzette
350 Jahre Schleifung der Escher Stadtmauer
Ein Museum für Lokalgeschichte in Audun-le-Tiche
- Elektroautos haben ihren Marktanteil in Luxemburg weiter ausgebaut - 10. Januar 2025.
- Die Zahl der Firmenpleiten ist 2024 deutlich gestiegen - 9. Januar 2025.
- Die Inflationsrate ist im Jahr 2024 deutlich zurückgegangen - 9. Januar 2025.
Mär Diddelenger gi just mat engem Hallefsaz ernimmt.