/ Hi, my name is Ju-Cha: Generalstaatsanwaltschaft stellt Register vor und wähnt sich auf der sicheren Seite
Flucht nach vorne: Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft in den vergangenen Wochen in die Kritik geraten ist, lädt sie die Presse ein, um ihre Sicht der Dinge zu erklären. Die Botschaft: Nichts geheim, alles legal.
Wenn die Generalstaatsanwaltschaft zu einer außerordentlichen Pressekonferenz lädt, dann handelt es sich um Staatsaffären in der Größenordnung eines „Bommeleeër“-Dossiers. Am Freitag jedoch hat sie die Presse geladen, weil sie selbst in den Fokus der Öffentlichkeit geraten ist.
Seit einigen Wochen ist sie in der Kritik, wegen Unklarheiten im Umgang mit personenbezogenen Daten. Die schweren Vorwürfe stehen im Raum, dass sowohl die Existenz als auch der Umgang mit den gesammelten Daten rechtswidrig ist.
„Es ist an der Zeit, Stellung zu beziehen“, sagt Generalstaatsanwältin Martine Solovieff. „Bis jetzt hatten wir noch nicht die Möglichkeit, unseren Umgang mit dem Datenschutz vorzustellen.“ Als Präambel führte sie an: „Wir können nicht von den Bürgern verlangen, dass sie sich an das Gesetz halten, wenn wir es selber nicht tun.“
Was folgte, war ein zweistündiges Plädoyer, in dem sie gemeinsam mit dem stellvertretenden Generalstaatsanwalt Jeannot Nies klarstellen wollte, dass man sich peinlich genau an die Gesetze halte. Die beiden zentralen Botschaften: Es gibt „keine geheimen Datenbanken“ und auch kein „Casier bis“. Und zweitens: Sämtliche Datenbanken haben eine gesicherte Rechtsgrundlage. Dabei musste Jeannot Nies gestehen, dass es in der Geschichte Luxemburgs Phasen gab, in der die gesetzliche Grundlage für das Register der Justiz nicht gegeben war. Etwa zwischen 1991 und 1994, als eine großherzogliche Verordnung ausgelaufen war – die Exekutive schlicht vergessen hatte, die Verordnung zu verlängern.
Hier gibt es eine Parallele zur Geschichte des Polizeiregisters: Zwischen 1997 bis 2004 bestand ebenfalls keine gesetzliche Basis dafür, weil die damalige Regierung ebenso vergessen hatte, die gesetzgebende Verordnung zu verlängern. Doch seit dem Datenschutzgesetz von 2002 stehe das Register der Justiz auf einem gesicherten Fundament. Und auch mit dem neuen Datenschutzgesetz von 2018 sei die Rechtsgrundlage gesichert, so der stellvertretende Generalstaatsanwalt.
Deutsche versus französische Schule
Das sehen nicht alle so. Stefan Braum, Juraprofessor an der Universität Luxemburg, hatte in den vergangenen Wochen behauptet, dass das Datenschutzgesetz von 2018 weder explizit die Existenz eines personenbezogenen Registers bei Justiz und Polizei noch Umgang und Nutzung mit den Daten autorisiere. Kurzum: Für Braum sind die Datenbanken illegal.
Nies widersprach gestern dieser Auffassung. Allerdings nicht, indem er gegen Braum in den Ring stieg und die Argumentation des Juraprofessors zu widerlegen versuchte. Sondern indem er einen Joker zog. Braum würde das Datenschutzgesetz nach deutscher Lesart interpretierenen, einer Lesart, die sich von der französischen unterscheide. Aufgrund der „schweren Geschichte Deutschlands“ habe sich dort eine spezifische Schule gebildet, die sehr genau sämtliche Befugnisse des Staates definiere.
Die luxemburgische Rechtsprechung stehe allerdings in der Tradition der französischen Schule, die weniger explizit vorgehe und auch indirekt Dinge regele. Ergo ist das Datenschutzgesetz für Nies als Rechtsgrundlage „self-standing“. Die Rechtsgrundlage genügt, zusätzliche Texte braucht es nicht. „Das hat auch der Staatsrat in seinem Gutachten so gesehen“, unterstreicht Nies.
Das stimmt. Was er nicht erwähnt: Nies ist selbst Mitglied des Staatsrats und stützt sich somit auf ein Gutachten, das er mitverfasst hat. Die Datenbank der Justiz trägt den liebevollen Namen Ju-Cha, eine Abkürzung für „Justice chaîne pénale“. Ju-Cha ist das Gehirn der Justiz. Es erfasst sämtliche strafrechtlichen Akten, die die Staatsanwaltschaft gesammelt hat: von der ersten Begegnung einer Person mit der Polizei bis zum Urteil. Ju-Cha weiß alles.
„Doch“, Nies ballt eine Faust und klopft die folgenden Worte auf den Tisch: „Es handelt sich nicht um ein Personenregister.“ Man führe kein namentliches Register. Nies lässt jedoch durchblicken, dass es im Digitalzeitalter ein Leichtes ist, alles über eine Person in einer Datenbank zu erfahren, ohne dabei auf Details einzugehen. Denn letztlich sei das Wissen über vergangene Taten oder Verdachtsfälle mitentscheidend, ob eine Ermittelung eingeleitet wird oder eben nicht. Wenn etwa eine Person zum dritten Mal beim Stehlen erwischt wird, geht die Staatsanwaltschaft anders vor als bei einem Einzelfall.
Insgesamt erfasst das System aktuell die Daten von über 650.000 Personen, wobei es sich dabei mehrmals um dieselbe Person handeln kann. Eine „Querverbindung“ zum Polizeiregister gäbe es dabei nicht. Die Staatsanwaltschaft führe eine autarke Datenbank. „630 Personen haben Zugriff auf die Daten“, so Nies weiter. Es gäbe 69 unterschiedliche Zugangsberechtigungen. Nicht jeder könne alles einsehen.
Ju-Cha vergisst nie!
Doch wie lange werden diese Daten eigentlich in Ju-Cha gesammelt? Zwischen zwei und drei Jahren. Dann müssen sie archiviert werden. Doch eine Spur in der Datenbank bleibt. „Und definitiv gelöscht werden sie nie“, ergänzt Nies. Denn sämtliche Daten könnten mit der richtigen Motivation wieder aus dem Archiv gekramt werden. Will heißen: Einmal in Ju-Cha, immer in Ju-Cha.
Genau darin sehen Datenschützer ein Problem: Die Europäische Gesetzgebung sehe ein „Recht auf Vergessen“ vor. Das luxemburgische Datenschutzgesetz von 2018 ermöglicht es den Behörden jedoch, die Informationen so lange zu bewahren, wie sie es für nötig halten. Das Gesetz fordert demnach die Behörden auf, sich selbst Regeln zu geben.
Für Juraprofessor Braum ist das ebenfalls problematisch. Justiz und Polizei könnten nicht selbst darüber bestimmen, wie sie mit den Daten der Bürger umgehen wollen. Zudem sei sowohl der Umfang der Sammlung als auch die Dauer nicht verhältnismäßig und würde weit über das Ziel hinausschießen.
Die Generalstaatsanwaltschaft sieht das nicht so. Sofern die Parlamentarier jedoch der Braum’schen Lesart folgen würden, sei das auch in Ordnung.
Die moralische Prüfung der Justiz
Und dann war da noch die Frage nach der Nutzung von Ju-Cha bei Bewerbungsgesprächen. Auslöser der gesamten Geschichte um den umstrittenen Umgang mit Daten war die Episode um einen jungen Mann, der im September 2018 bei einem Bewerbungsgespräch mit Informationen konfrontiert wurde, die nicht im offiziellen „Casier“ standen
Nies gestand gestern, mit dem Fall selbst betraut gewesen zu sein. Für ihn wie auch für die Generalstaatsanwältin sei es ein vollkommen normaler Vorgang gewesen. „Wir müssen doch wissen, ob es sich um ehrliche Personen handelt“, so Nies.
Dafür reicht das „Casier“ offenbar nicht, die Bewerber werden in Ju-Cha gescreent, um zu sehen, wie sie es so mit der Justiz haben. „Wir sind halt ein spezieller Verein.“ Im Gespräch werden sie dann nach möglichen Vorfällen befragt. „Wenn jemand die Vorfälle verneint, wissen wir, dass er gelogen hat und nicht ehrlich ist“, so die simple Erklärung von Solovieff. Man beziehe sich auf das Attaché-Gesetz sowie auf die Grundlagen des Statuts für die Staatsbeamten. „Es kann sein, dass das nicht richtig ist, aber bis jetzt hat noch niemand Beschwerde eingelegt“, so Nies. Wenig später schiebt er hinterher: „Och mir hunn d’Wourecht net geparkt!“
Lesen Sie dazu auch das Editorial von Robert Schneider.
Return to sender: (Nicht) Geheime Register und ein offener Brief
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sollen, oder sollen mer net alles glewen wat dei doten verzapen?
Besser net!