Konzert / Hilfe, mein Kind hört Yung Hurn! Ist das sexistischer Müll oder große Kunst?
Der österreichische Rapper Yung Hurn tritt am Freitag im Atelier auf. Die einen vergöttern ihn als Dadaisten, Schauspieler Lars Eidinger und Maler Daniel Richter sind Fans. Andere werfen dem Österreicher blanken Sexismus vor. Texte wie „Sie hat Wichse auf ihrem G’sicht, sie braucht Zewa“ helfen da nicht, das Urteil zu entkräften.
Yung Hurn macht es einem sehr leicht, wenn man einfach nur seine Musik feiern will: Die Hooks sind fast so eingängig wie Schlager, bei den Samples und Beats zieht er alle Register zwischen Dido und Crazy Frog und die Texte sind beim ersten Hinhören so herrlich blöd wie die von Helge Schneider. Yung Hurn gehört zur ersten Generation der sogenannten Cloud Rapper in Europa, Wiener Untergrund seit 2014. Seit dem Krochatape mit Lex Lugner ist einiges passiert, inzwischen hat er seine Runde auf dem Parkett der Pariser Haute Couture gedreht und ist bei der Show von Vetements aufgetreten. Neben Wanda und Bilderbuch ist er eines der großen Exportprodukte der österreichischen Musikszene. In einer Sendung des Musikmagazins „Tracks“ bei Arte siedelt er seine Inspiration zwischen Tame Impala, den Beatles und Falco an. Kurz, Yung Hurn schöpft aus einer reichen Musiktradition – und er trifft mit Musik und Texten den Zeitgeist.
Yung Hurn macht es einem weniger leicht, wenn man in seinem Werk nach belastbaren Aussagen sucht – nach Dingen, die nicht nur ernst gemeint sein könnten, sondern es tatsächlich sind. Seine Fans tun Zeilen wie „Ich bin so tief in ihr’m Hals, ja, Baby, sie schluckt, und sie lacht dann“ als Ironie ab, aber Ironie braucht einen Bezug zu einer unironischen Wahrheit, um ihr subversives Potenzial entfalten zu können. Diese Komponente fehlt bei Yung Hurn, es gibt keine Interviewaussage und kein Handeln, die als Gegengewicht zu den Texten herhalten könnten. Allerdings ist das natürlich nur die erste Ebene: Auch die Verweigerung eines klaren Statements kann Teil der Performance sein, weil sie dem Zuhörer das wohlige Gefühl der Sicherheit nimmt, auf der „richtigen Seite“ zu stehen. Kunst soll auch zum Zweifeln anregen. Nur: Wollen wir nach Till Lindemann wirklich noch darüber grübeln, ob jemand wirklich Sexist ist, oder ob das eine ironische Haltung ist?
Neue Authentizität
Die Frage kann hier nicht beantwortet werden. Denn natürlich ist die Kunst frei und kein Künstler muss sich für seine Arbeit rechtfertigen, weil ein anderer ein mieses Drecksschwein ist. Ein Gesinnungstest für Künstler existiert Gott sei Dank ebenfalls nicht. Yung Hurns Schaffen begann in einer Zeit, in der Rap sein Authentizitätsgehabe ablegte und man nicht mehr aus Long Beach, der Bronx oder zumindest aus Offenbach am Main kommen musste, um die für die Vermarktung notwendige „Street Credibility“ mitzubringen. Rapper konnten sich nun über ihr eigenes Image lustig machen, neue Kunstfiguren basteln – Yung Hurn hat einen fiktiven älteren Bruder namens K. Ronaldo als Alter Ego – und ihr Themenspektrum erweitern. Diese ästhetische Freiheit heißt aber auch: Der Rap als „Folklore aus dem dunklen Teil der Stadt“ (Prezident) funktioniert nicht mehr – Rap ist nun Mitte der Gesellschaft und muss sich den Fragen aus der Mitte der Gesellschaft stellen.
Einige Rapper im deutschsprachigen Raum, etwa Fatoni und Edgar Wasser, aber auch Gzuz und die 187-Straßenbande, reagieren auf diese Entwicklung mit einer Art neuer Authentizität: Sie stehen für das, was sie rappen – sei das nun der Kampf für Gleichberechtigung oder kriminelle Geschäfte. Dafür lassen sie sich anfeinden, kritisieren und feiern. Ihre Haltung ist ihre Marke. Yung Hurn macht das Gegenteil: Seine Marke ist die Nicht-Haltung, Tracks wie „Nein“ oder „Ok cool“ sind in der Hinsicht programmatisch, er macht musikalischen Dadaismus.
Diese Flucht in die Beliebigkeit profitiert davon, dass die Welt dazu neigt, bei Künstlern asoziales Verhalten eher zu verzeihen als bei normalen Bürgern. „Bei manchen Künstlern – Künstlerinnen nicht mitgemeint – hat man das Gefühl, sie haben irgendwann eine magische Grenze überschritten, jenseits derer ihre Bewunderer ihnen jeden erdenklichen Fehler verzeihen“, schreibt die Kolumnistin Margarete Stokowski im Spiegel über einen anderen Österreicher – den Literaturnobelpreisträger Peter Handke. Wer aber alles zur Kunst hochjazzt und sich keinen Deut mehr um Rechtfertigungen schert, der verkennt auch, dass Kunst eine wichtige Rolle bei der Entstehung gesellschaftlicher Normen erfüllt. „Das Leben imitiert die Kunst viel mehr als die Kunst das Leben“, schrieb Oscar Wilde schon 1891 in seinem Essay „Der Verfall der Lüge“.
Wer sich selbst ein Bild zum Stand der Kunst im deutschsprachigen Rap machen will, der sollte vielleicht am Freitagabend im Atelier vorbeischauen. Tickets sind noch zu haben – und vielleicht gewinnt der eine oder andere der Show von Yung Hurn ja eine Erkenntnis ab, die über „Sie hat Wichse auf ihrem G’sicht, sie braucht Zewa“ hinausgeht.
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