US-Wahl / „Hillbilly Explosion“: Zwei Bücher erklären Donald Trumps Aufstieg aus unterschiedlicher Perspektive
J.D. Vance kommt aus sozial schwierigen Verhältnissen und schrieb vor einigen Jahren ein Buch über seine Herkunft. Heute ist er als Politiker ein rechter Hardliner und Kandidat für die US-Vizepräsidentschaft. In „Hillbilly-Elegie“ ist einiges über die Wählerschaft von Donald Trump und über die Ursachen von Trumps Aufstieg zu erfahren. Allerdings gibt das journalistisch-politische Meisterwerk „Die Abwicklung“ von George Packer darüber noch viel mehr Aufschluss.
Ein Zwölfjähriger sitzt in einem Gerichtssaal im US-Bundesstaat Ohio. Gerade wird über das Sorgerecht für ihn verhandelt. Um ihn herum sitzen Männer und Frauen in Jogginghosen und mit ungepflegten Haaren. Sie sind Zeugen und Angehörige. Die Richter und Anwälte hingegen tragen Anzüge – Menschen, die der Junge bisher nur im Fernsehen gesehen hat und die auch anders sprechen als seine Familie und er. „Die Menschen, die dieses Gericht betrieben, waren anders als wir. Die Menschen, die vor diesem Gericht erscheinen mussten, waren es nicht.“ So heißt es in dem Buch „Hillbilly-Elegie“ von J.D. Vance. Ich hatte das Buch kurz nach seinem Erscheinen auf Deutsch im Jahr 2017 gelesen. Es hieß im Untertitel „Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise“. Der Autor war bis dahin wenig bekannt, er war für viele ein unbeschriebenes Blatt. Mit seinem Buch lieferte er jedoch einen wichtigen Beitrag dafür, die Ursachen des Aufstiegs von Donald Trump vom Milliardär zum US-Präsidenten zu verstehen – an dessen Seite J.D. Vance mittlerweile für die Präsidentschaftswahl am 5. November als „Running Mate“, als möglicher Vize-Präsident, antritt.
Aufgewachsen war J.D. Vance unter sogenannten Hillbillys – unter Hinterwäldlern, wie man auf Deutsch sagen würde – im US-Bundesstaat Ohio in dem von der Stahlindustrie geprägten Rust Belt. Seine Mutter war drogen- und medikamentenabhängig, sein Vater ein Alkoholiker, der die Familie früh verließ. Das Buch spielt zur Zeit, als in den abgelegenen Gegenden des Appalachen-Gebirges die sogenannte Opioid-Krise einsetzte, der unzählige Menschen zum Opfer fielen. Sie waren von Schmerzmitteln abhängig geworden. Geboren als James Donald Bowman und aufgewachsen in der Industriestadt Middletown, erlebte J.D. Vance den wirtschaftlichen Niedergang und den Abstieg der Menschen in Ohio und den angrenzenden Bundesstaaten. „Amerikaner nennen sie Hillbillys, Rednecks oder White Trash“, schreibt er. „Ich nenne sie Nachbarn, Freunde und Verwandte.“
Das ganze Land war wie eine Art Walmart geworden
Seine Familie mütterlicherseits stammte ursprünglich aus Kentucky. Aufgewachsen ist Vance, übrigens der Familienname seiner Mutter, wegen deren Drogensucht bei den Großeltern. Ihm gelang schließlich der Ausstieg aus dem von Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie einem Teufelskreis von Gewalt, Drogen und Alkohol geprägten Milieu der weißen Unterschicht. „Ich war eines dieser Kinder mit einer trostlosen Zukunft. Ich hätte mich beinahe der tiefsitzenden Wut und Verbitterung ergeben, die alle in meinem Umfeld erfasst hatte“, schreibt der Autor. J.D. Vance studierte, nachdem er von 2003 bis 2007 bei den US-Marines gedient hatte und auch in den Irakkrieg gezogen war, Philosophie und Politikwissenschaft an der Ohio State University sowie Jura an der Elite-Universität Yale.
Seine Professorin war Amy Chua. Die Autorin des Bestsellers „Battle Hymn of the Tiger Mother“ ermutigte ihn dazu, seine „Memoiren“ zu schreiben. J.D. Vance wurde Rechtsanwalt und arbeitete für ein Investmentunternehmen aus der Gruppe des milliardenschweren Investors, IT-Unternehmers, unter anderem PayPal-Gründers, und rechtsgerichteten Libertären Peter Thiel – und wurde damit selbst einer der Anzugträger, die er in seinem Buch beschreibt. Vance, der nach der Scheidung seiner Eltern den Familiennamen seiner Mutter angenommen hatte, wechselte als Partner in die von AOL-Gründer Steve Case ins Leben gerufene Investmentfirma Revolution LLC.
Autobiografie und Sozialreportage in einem
Sein Buch ist eine Autobiografie als Aufsteigerstory und zugleich eine beeindruckende Sozialreportage, die einem viel über die weiße Arbeiterschaft und über den Aufstieg von Donald Trump zum US-Präsidenten 2016 erklärt. Ebenso steht darin, wie es dazu kam, dass in der „Working Class“ der Hass auf das politische Establishment so anschwoll, dass sie gegen die eigenen Interessen zu wählen bereit war. Es ist einerseits das Porträt einer Gesellschaft, die sich später in ihrem Hass auf das politische Establishment blindlings hinter einem populistischen Rattenfänger scharte und ihm ergeben dabei folgt, möglicherweise einen autoritären Staat zu errichten. Der Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 kann als erste Eskalation – eine Art von „Hillbilly Explosion“ – zu deuten sein oder kann ein Warnschuss für etwas noch viel Schlimmeres auf dem Weg zu einem amerikanischen Faschismus gewesen sein – eine Art Vorstufe zur Hölle für die US-Demokratie oder gar der Prolog eines nahenden Bürgerkrieges.
Kürzlich wurde J.D. Vance, verheiratet mit der indischstämmigen Juristin Usha Chilukuri, und vom Protestantismus zum Katholizismus konvertiert, auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee zu Donald Trumps Kandidaten für die Vizepräsidentschaft auserkoren. Er wurde also von einem vehementen Trump-Gegner zu einem Unterstützer des Ex-Präsidenten, den er vor einigen Jahren noch als ungeeignet für das Amt des Staatsoberhauptes, als „zynisches Arschloch wie Nixon“ und als „Amerikas Hitler“ bezeichnete.
Es musste also mehr als ein harmloser Gesinnungswandel gewesen sein, den Vance vollzog, der sich nach Trumps Abwahl 2020 bei Vance umso stärker abzeichnete. In „Hillbilly-Elegie“ hatte er noch deutlich den Verlust des American Dream beschrieben und zugleich dessen Verwirklichung anhand seines eigenen Werdegangs trotz aller Widerstände nachgezeichnet. Das Buch wurde von der New York Times als eines der sechs besten Bücher bezeichnet, um Trumps Sieg zu verstehen. Die Washington Post nannte ihn „Stimme des Rust Belts“ und The New Republic einen „Lieblings-White-Trash-Erklärer der liberalen Medien“. Sowohl die New York Times als auch CNN engagierten ihn als Kommentator. Zunehmend rückte er von seiner Kritik an Trump ab. Er sagte über ihn: „Er war ein großartiger Präsident.“ J.D. Vance kandidierte schließlich 2022 bei den US-Senatswahlen für Ohio. Damals sagte Trump: „J.D. küsst meinen Hintern, so dringend will er meine Unterstützung.“ J.D. Vance, nach wie vor unterstützt von seinem Förderer Peter Thiel, gewann die Wahl und wurde Senator.
Der deutsche Journalist, Schriftsteller und Verleger Klaus Bittermann verglich die „Hillbilly-Elegie“ sogar mit Didier Eribons „Retour à Reims“ (2009): Der französische Soziologe und Schriftsteller untersucht darin die Homophobie und den Rassismus seines eigenen Herkunftsmilieus, der nordfranzösischen Arbeiterschaft, in Verbindung mit dem Widerspruch zwischen linkem Selbstverständnis und rechtem Wahlverhalten. Doch dagegen hat Vance bereits in seinem Buch eine andere Richtung eingeschlagen. Wenn er zum Beispiel erzählt, wie er früher in einem Betrieb für Fliesen gearbeitet hat und über einen Kollegen namens Bob und dessen schwangere Freundin berichtet, die kaum wirklich Lust auf die Arbeit hatten, dann wird ersichtlich, dass wiederum J.D. Vance nicht wirklich Sympathie mit den beiden hatte. Zusammen mit einem Kollegen stoppte er die Zeit, die Bob auf der Toilette verbrachte. Später schreibt J.D. Vance: „Schließlich wurde Bob entlassen.“ Er zeigt keine Empathie, stattdessen lässt er sich über die vermeintliche Faulheit der Arbeiter aus, und er betrachtet sie durch die Brille eines Aufsteigers. Dabei hatte er im Gegensatz zu vielen nicht-weißen US-Amerikanern und Immigranten sozioökonomisch einen klaren Vorteil. In diesem Sinne schenkt er den wahrhaft Abgehängten der US-Gesellschaft keine Aufmerksamkeit.
Der Großteil derer sind woanders zu finden: Die Anfangsszene von „Hillbilly-Elegie“ erinnert mich an ein Erlebnis, das ich im Jahr 2000 in New York hatte, kurz vor der US-Präsidentschaftswahl zwischen Al Gore und George W. Bush, als ich eines Abends die Sitzungen des New York City Criminal Court besuchte. Die Verhandlungen des auch „Night Court“ genannten Gerichts in Manhattan sollen noch heute von fünf Uhr nachmittags bis ein Uhr nachts stattfinden. Unvergesslich bleibt dem Rezensenten, wie gelangweilte, Kaugummi kauende Anwälte durch die Akten ihrer Mandanten blätterten, manche mit den Füßen auf den Tischen, und wie die Angeklagten einer nach dem anderen, einer verschlafener und abgerissener als der andere, den Gerichtssaal betraten und vor den Vorsitzenden des Schnellgerichts geführt wurden: kleine Diebe und Dealer, Schläger und Betrüger, die meisten von ihnen sogenannte People of Color oder Latinos. Das Urteil des Richters nahmen sie ohne Murren hin; genauso stumm wie ihre Schlips tragenden Pflichtverteidiger.
Im Vergleich zu „Hillbilly-Elegie“ bietet der Besuch eines Night Court eher einen Querschnitt der New Yorker Unterschicht. Ein Blick auf die Angeklagten zeigt die „Abgehängten“ der US-Gesellschaft, die wahrlich Chancenlosen, während es in Vances Buch vor allem um die Landbevölkerung geht.
Mehr als Vance oder andere Autoren hat der Journalist George Packer mit seinem 2013 erschienenen Buch „Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika“ ein Kaleidoskop der amerikanischen Gesellschaft geliefert. In seinem aus längeren Erzählungen und kurzen biografischen Skizzen sowie weiteren literarischen Elementen bestehenden Sachbuchs – in dieser Kategorie wurde „The Unwinding“, so der Originaltitel, mit dem National Book Award ausgezeichnet – geht es um das Ende eines Vertrages, „der besagte, dass, wenn du hart arbeitest, wenn du ein guter Bürger bist, es einen Platz für dich geben wird, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht wirst du ein sicheres Leben haben, werden deine Kinder die Chance auf ein besseres Leben haben, sondern du wirst sozusagen als ein Bestandteil des nationalen Gefüges wahrgenommen werden“.
„Die Abwicklung“ ist sowohl ein Bild des Niedergangs, das der Autor anhand einiger Porträts zeichnet, als auch der amerikanischen Identitätskrise. Packer verwendet eine Reihe Biografien berühmter Persönlichkeiten wie die des Ex-Generals und Ex-Außenministers Colin Powell, des Rappers Jay-Z und der Fernseh-Ikone Oprah Winfrey. Doch es sollten nicht nur Prominente sein, die Packer porträtierte. Mehrfach wurde das rund 500-seitige Sachbuch mit John Dos Passos’ „USA-Trilogie“ von Anfang der 1930er Jahre verglichen. In den drei Romanen hatte Dos Passos ein Panorama der amerikanischen Geschichte von der Jahrhundertwende bis zur Weltwirtschaftskrise entworfen.
Packer erzählt etwa die Geschichte von Dean Price, dem Sohn einer strenggläubigen Familie im einst von Landwirtschaft und Tabakindustrie geprägten Bundesstaat North Carolina. Ein ums andere Mal wird Price schikaniert – vom tyrannischen Vater, vom Arbeitgeber – und desillusioniert. Doch hartnäckig versucht er sein Glück als Unternehmer, erlebt Pleiten und beginnt von neuem. Er ist ein spezifisch US-amerikanisches Stehaufmännchen. Eines Tages entdeckt er Biodiesel und sucht sein Heil darin. Der Autor, Journalist beim Magazin The New Yorker, zeichnet sich durch seinen einfühlsamen Zugang zu Menschen wie Price aus. Die Recherche ist dabei seine größte Stärke. Er hat dafür Arbeiter und Angestellte getroffen, die sich abstrampeln und immer wieder auf die Schnauze fallen. Der heute 64-jährige Kalifornier, dessen Eltern beide Wissenschaftler an der Stanford University waren, blickt in seiner Langzeitbeobachtung weder auf sie herab noch idealisiert er sie. Er ist mit ihnen auf Augenhöhe. Doch er betreibt keine nüchterne Analyse. Er erscheint bisweilen sogar wütend; sein Zorn aber mündet nicht in einem polemischen Pamphlet. Manche Schlussfolgerung mag banal erscheinen. Manchmal verallgemeinert Packer, aber er trifft fast immer den Punkt.
Geisterstädte hier, Orte der Gier dort
Er beschreibt Orte wie Tampa in Florida, wo die geplatzte Immobilienblase aus gesichtslosen Siedlungen Geisterstädte machte und tausende Leute ihre Häuser verloren, die Wall Street als Ort der Gier, wo Trading-Algorithmen über Gedeih und Verderb entscheiden, oder das Silicon Valley als Hort des amerikanischen Mittelstandes. Seine Themen reichen von der Deindustrialisierung, der Wirtschafts- und Finanzkrise bis zur sozialen Krise als deren Folge. Libertäre Individualisten wie Peter Thiel, für den Demokratie eher ein Störfaktor ist, werden ebenso porträtiert wie Jeff Connaughton, ein Anwalt sowie einstiger Wahlkampfhelfer und Spendensammler von Joe Biden.
Packers Blick auf die Demokratische Partei ist ernüchternd. Barack Obama stellt er ein schlechtes Zeugnis aus. Unter Bill Clinton verdreifachte das wohlhabendste Prozent der Gesellschaft seinen Anteil am nationalen Einkommen, es war eine Phase der Umverteilung hin zu „einer vererbbaren Ungleichheit, die das Land seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr gesehen hatte“, während die Mehrheit bei Walmart billigen Ramsch aus Bangladesch kauft. „Das ganze Land war wie eine Art Walmart geworden.“ Nach Worten des Autors verlor die US-Gesellschaft das, was sie immer zusammengehalten hatte: den Glauben an eine gemeinsame Zukunft. Der deutsche Journalist Arthur Landwehr behandelt diesen Kampf um die amerikanische Identität in seinem jüngst erschienen Buch mit dem bezeichnenden Titel „Die zerrissenen Staaten von Amerika“.
Packer beobachtet ein „Unwinding“ der Gesellschaft, eine Abwicklung wie die eines Seils von der Spule. So schreibt er: „Das Schuhgeschäft hatte zugemacht, die Rollläden vor der Apotheke waren heruntergelassen, die Restaurants waren geschlossen. Nur ein paar Leute waren überhaupt auf den Bürgersteigen.“ Die Mittelschicht, einst Wachstumsmotor der Wirtschaft und Rückgrat der Gesellschaft, verliert zunehmend an Boden. Die sozialen, politischen und ökonomischen Strukturen verfallen. „Niemand kann mit Sicherheit sagen, wann die Abwicklung begann“, schreibt Packer. Sicher ist, dass der gesellschaftliche Zerfall nicht erst mit dem Finanzcrash 2008 begonnen hat, sondern Ende der Siebzigerjahre, als die Zentren der Städte verödeten, die Wirtschaft stagnierte und die Inflation die Amerikaner verunsicherte. Es war die Zeit der Ölkrise und der Anfang der Deindustrialisierung.
Damals wurde Newt Gingrich erstmals ins Repräsentantenhaus gewählt. Der republikanische Politiker veränderte und zerstörte den politischen Debattenstil in Washington: „Er gab ihnen Senfgas und sie setzten es gegen jeden denkbaren Feind ein, auch gegen ihn selbst“, so Packer, der in einem Kurzportrait Gingrich als einen Vorläufer der Tea Party darstellt. Ebenso wenig schmeichelhaft werden der frühere Citigroup-Chef und demokratische Finanzminister Robert Rubin sowie die Selfmade-Woman und Talkshowkönigin Oprah Winfrey, die es zur reichsten Frau der USA brachte, und der Unternehmer und Walmart-Gründer Sam Walton, der für den Niedergang zahlloser mittelständischer Handwerksbetriebe verantwortlich gemacht wird, gezeichnet. Sie stehen für das Establishment, eine Elite, die umstandslos von der Politik in die Wirtschaft und wieder zurück wechselt.
Die Geschäfte und Schulen, die Kirchen, Spielplätze, Obstbäume – es war alles weg
Viel sympathischer sind dagegen eine demokratische Senatorin, die sich für strenge Regulierungen des Finanzmarktes einsetzt, oder eine Restaurantbesitzerin. Ausführlich schildert Packer das Schicksal einer Fabrikarbeiterin, Tochter einer Drogenabhängigen und allein erziehende Mutter von drei Kindern. Tammy Thomas aus Ohio hat ihren Job in der Autobranche durch den Niedergang der Stahlindustrie im Rust Belt verloren. Dennoch gelingt es ihr, zu studieren und sich für die Community in der von Einwohnerschwund befallenen und zur Crime City heruntergekommenen Stadt Youngstown als Sozialarbeiterin zu engagieren. „Block für Block verfiel die Innenstadt, die Zerstörung beschleunigte sich“, heißt es an einer Stelle. Von Thomas’ altem Viertel war nichts mehr übrig geblieben. „Die Geschäfte und Schulen, die Kirchen, Spielplätze, Obstbäume – es war alles weg.“
Oder die Motelbesitzerin Usha Patel aus Tampa, die durch die Immobilienkrise in die Zwangsvollstreckung getrieben wird. Gerade die Benachteiligten lassen sich nicht unterkriegen. Packer attestiert ihnen den Willen zum Weitermachen. Sie geben nicht auf. Der Autor verwebt diese einzelnen Porträts von ganz unterschiedlichen Menschen aus allen Bevölkerungsschichten, von bekannten und unbekannten Amerikanern, in seiner Collage zu einem großen Gesamtbild. Die Frage, warum es schließlich zur Erosion der Gesellschaft kam, bleibt jedoch unbeantwortet.
„Das Auseinanderdriften bringt Freiheit, mehr als die Welt je zuvor gewährt hat“, schreibt Packer. „Es ist die Freiheit, sich neu zu erfinden.“ Nach dem Scheitern kommt der Neuanfang. „Mit der Freiheit schafft die Abwicklung ihre eigenen Illusionen, denn all diese Versuche, diese Träume sind flüchtig wie Seifenblasen, sie zerplatzen, sobald sie die konkreten Umstände berühren. (…) Die Gewinner entschweben wie riesige Luftschiffe“, schreibt Packer, ein gelungenes Bild, „und die Verlierer fallen tiefer und tiefer, und manche kommen niemals an.“ Packer schreibt im subjektiven Stil des New Journalism. „Die Abwicklung“ ist ein multiperspektivisches Bild einer Nation, in der der gesellschaftliche Konsens verloren gegangen ist und die immer größer werdende Einkommens- und Vermögensungleichheit das soziale Fundament untergraben hat – und trotzdem appelliert es an den inzwischen hohl klingenden Slogan von Barack Obama: „Yes, we can.“
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