/ „Ich brauche kein Mitleid“: Ein offenes Gespräch über Brustkrebs mit einer Betroffenen
Im Brustkrebsmonat Oktober organisiert das Ettelbrücker „Centre hospitalier du Nord“ (CHdN) am 15. Oktober einen Tag, um die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Eine Begegnung mit Nicole Quintus, einer Betroffenen, die sehr offen über die Krankheit spricht, die ihr Leben umgekrempelt hat, der Frauenärztin Dr. Renate Kalweit, dem Onkologen Dr. Frank Jacob sowie den beiden „Breast Care Nurses“ Joëlle Leclerc und Tina Bastin im Nordspital.
Nicole Quintus ist sicherlich kein Einzelfall, wenn sie sagt, dass sie eigentlich wegen Zeitmangels, bedingt durch ihre Arbeit, eine Mammografie-Untersuchung verpasst hat. “Ich war 2018 sehr wohl in der ‚Mammo‘, doch eigentlich sollte ich auf Anraten meiner Ärztin kurze Zeit später noch einmal zu dieser Untersuchung. Ein Rat, dem ich aus dem bereits erwähnten Grund nicht nachkam.”
Wenig später spürte sie einen Knubbel in ihrer linken Brust. Was folgte, waren eine schlaflose Nacht, Arzttermine, Untersuchungen – und vor allem eine quälende Wartezeit. Was wenn, fragte sie sich. Nach wenigen Wochen kam dann die Diagnose: Brustkrebs. Nach drei Operationen, einer Chemotherapie und aufgrund eines weiteren Befundes wurde schließlich auf Wunsch der Patientin eine beidseitige Mastektomie (Brustentfernung) durchgeführt. Monate später ging es Nicole wieder gut.
Heute möchte sie vor allem dabei helfen, zum Thema Brustkrebs zu sensibilisieren, junge Frauen aufzuklären und Tabuthemen zu brechen. „Die Nachricht, dass es sich um einen ziemlich aggressiven Tumor handelte, schlug mir zuerst einmal die Beine unter dem Körper weg. Aufgrund der Befunde wurde noch vor der OP eine Chemotherapie vorgenommen.“
„Ich wollte meine innere Ruhe“
Als es dann auf die OP zuging, fasste Nicole Quintus einen Entschluss, den ihr Onkologe, Dr. Frank Jacob, und ihre Gynäkologin, Dr. Renate Kalweit, auch heute noch ins Staunen versetzen. “Als die Rede von einer Mastektomie war, beschloss ich, mir die beiden Brüste entfernen zu lassen. Ich hatte Angst, dass sich mit der Zeit eventuell auch in der zweiten Brust ein Tumor bilden könnte. Es war eine Entscheidung, die ich gemeinsam mit meinem Partner und meinen beiden Söhnen (12 und 23 Jahre alt) getroffen habe. Es war beileibe kein einfacher Entschluss, doch ich wollte meine innere Ruhe haben. Es war mir überaus wichtig, dass sowohl ich wie auch meine Familie sich damit auseinandersetzten und alle meine Entscheidung mittrugen,” so Nicole Quintus dem Tageblatt gegenüber.
Mitte des Jahres wurde sie im CHdN operiert. Sie beschreibt das Team, das sie dort behandelt hat, unter anderem als fürsorglich, liebevoll, herzlich und freundschaftlich.
„Ich denke mehr an die anderen …“
Und heute? Wie sieht der Alltag von Nicole Quintus nach dem Krankenhausaufenthalt aus? „Anfangs war es alles andere als leicht. Die Chemotherapie hatte natürlich ihre Spuren hinterlassen. Vor allem die Blicke anderer machten mich platt. Ging ich einkaufen, nahm ich meine Söhne mit, die mich von den bemitleidenden Blicken ablenken sollten.“ Leider, so Nicole Quintus weiter, gebe es auch Bekannte, die plötzlich mit ihr und ihrer Familie auf Distanz gingen. „Mit der Zeit habe ich gelernt, wer wirklich zu mir stand und mir nicht nur falsches Mitleid bekunden wollte.“
Nicole Quintus, die sehr viel Sport treibt, spricht überaus offen darüber, wie sie sich heute selbst sieht. „Mein Oberkörper ist nicht schön anzusehen. Wenn ich vor dem Spiegel stehe, denke ich weniger an mich als an die anderen. Ich mache mir dann Gedanken darüber, wie abstoßend mein Oberkörper auf andere wirken könnte, wenn ich z.B. in einem Umkleideraum eines Fitness- oder Sportzentrums bin. Ich habe mir in Zwischenzeit etwas einfallen lassen, um meine Narben auf dem Brustkorb in der Umkleide bedecken zu können.“ Auf die Frage, ob sie wieder zum Schwimmen geht, sagt sie: „Nein, dazu bin ich noch nicht bereit.“
In puncto Partnerschaft gebe es keine Berührungsängste. “Ich würde zwar lügen, wenn ich behaupten würde, es gebe keine Änderungen, was das Sexualleben anbelangt, doch wir hatten im Vorfeld meiner OPs alles genau besprochen, was uns heute in unserer Beziehung viel hilft.“
Zum Thema Brustaufbau möchte Nicole Quintus zu diesem Moment nur so viel sagen: „So ein Wiederaufbau ist ein enormer Aufwand und erfordert erneut mehrere Eingriffe. Dazu kommen noch die Risiken, denen man sich aussetzt. Zu diesem Zeitpunkt ist es für mich jedenfalls kein Thema.“
Dr. Renate Kalweit hakt da ein: “Es gibt viele Frauen, die sich für einen plastischen Wiederaufbau der Brust entscheiden, wenn es unmöglich ist, die erkrankte oder operierte Brust zu erhalten. Oft entscheiden sie sich aber erst Jahre nach der OP zu diesem Schritt.“
Apropos Mammografie
In den letzten fünf Jahren sind in der internationalen Literatur mehrere Studien und Kommentare erschienen, die für das Mammografie-Screening ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis aufzeigen: zu viele Überdiagnosen, also im Screening gefundene Tumoren, die zu Lebzeiten nicht auffällig geworden wären, Therapien ohne Vorteil für die Behandelten („Übertherapien“) und eine im Verhältnis dazu geringe Senkung der Brustkrebssterblichkeit.
Dr. Renate Kalweit weiß natürlich um diese Studien und die Diskussionen um Sinn oder Unsinn des Mammografie-Screenings. “Im Moment überwiegt bei diesen Untersuchungen aber noch das Positive. In Zweifelsfällen können wir auch auf das Ultraschall- oder das IRM-Verfahren zurückgreifen. Jede Frau ab 50 Jahre sollte sich periodisch untersuchen lassen, in manchen Fällen (familiäre Vorbelastung) sollte man dies bereits ab dem 40. Lebensjahr tun.”
Seit Jahren wird zudem viel über die Antihormonbehandlung bei verschiedenen Krebsarten gesprochen. Viele verschiedene Hormone steuern wichtige Vorgänge im Körper, etwa den Blutzuckerspiegel, die Fortpflanzung oder das Wachstum. Manche Tumore wachsen unter dem Einfluss von Hormonen. Diese Abhängigkeit der Krebszellen ist der Ansatzpunkt der (Anti-)Hormontherapie: Körpereigene Hormone werden ausgeschaltet, um die Ausbreitung eines Tumors zu hemmen und die Folgen zu lindern.
Zum Schluss noch …
Als sich unser Treffen mit Nicole Quintus dem Ende zuneigt, gibt sie uns noch einige Ratschläge und Fragen mit auf den Weg. „Jeder sollte sich ernsthaft Gedanken über seine Ernährung und seinen Bewegungsmangel machen. So wenig fettige Nahrung und so viel Bewegung wie möglich sind überaus wichtig in puncto Krebs-Vorbeugung.“ Und weiter: „Warum gibt es keine Strahlentherapie im Norden des Landes? Warum steht bei einer Brustentfernung nicht gleich ein plastischer Chirurg mit am OP-Tisch? Es gibt für mich im Nachhinein viele offene Fragen.“
Beim Hinausgehen aus dem CHdN dreht sie sich noch einmal um und sagt: „Ich möchte noch hinzufügen, was für einen wunderbaren Arbeitgeber ich habe, der sich regelmäßig bei mir gemeldet und nach mir erkundigt hat. Das gibt einem viel Stärke und das Gefühl, dass man dazugehört. Leider ist das nicht überall so selbstverständlich.“
Tumorboard
In jedem Fall (nicht nur bei Bruskrebs) beraten sich auch in Luxemburg eine ganze Reihe von Fachleuten im sogenannten „Tumorboard“. Diese Expertengruppe setzt sich zusammen aus dem behandelnden Arzt, einem Onkologen, einem Strahlentherapeuten, einem Nuklearmediziner, einem Radiologen, einer „Breast Care Nurse“ und einem Koordinator, die gemeinsam diagnostische und therapeutische Entscheidungen treffen. Aktuelle Studien aus dem Ausland zeigen, dass Patienten, die im Rahmen von Tumorboards betreut werden, signifikante Überlebensvorteile haben.
Zum ersten Mal im CHdN
Heute organisiert das „Centre hospitalier du Nord“ zum ersten Mal einen „Broschtkriibsdag“, dies in Zusammenarbeit mit dem „Centre Baclesse“ aus Esch, dem Gesundheitsministerium, dem Nationalen Gesundheitslaboratorium, der Vereinigung Europa Donna, den onkologischen Sportsgruppen, der „Fondation Cancer“, Omega 90 sowie mit der Unterstützung des „Luxembourg Institute of Health“.
Das genaue Programm finden Sie unter www.chdn.lu.
450 Neuerkrankungen jährlich
Brustkrebs (auch Mammakarzinom genannt) ist mit über 400 Neuerkrankungen jährlich die häufigste Krebserkrankung bei in Luxemburg lebenden Frauen (bei einem Prozent aller Fälle sind Männer betroffen) und macht mehr als ein Drittel der onkologischen Neuerkrankungen bei der weiblichen Bevölkerung aus. Brustkrebs ist bei Frauen außerdem die Todesursache Nummer eins unter den Krebserkrankungen. Dies schreibt die „Fondation Cancer“ auf ihrer Webseite.
Wir wollten genauere Zahlen zum Thema Brustkrebs haben, doch die letzte verfügbare Statistik stammt unverständlicherweise aus dem Jahr 2014. Der Ettelbrücker Onkologe Dr. Frank Jacob schätzt, dass die Zahl der Neuerkrankungen im vergangenen Jahr landesweit bei rund 450 und die der durch Brustkrebs hervorgerufenen Todesfälle bei etwa 100 lag. Was das CHdN anbelange, so habe man 2013 genau 68 Patientinnen mit Brustkrebs behandelt, drei Jahre später lag diese Zahl bei 73. 2018 wurden im CHdN insgesamt 88 Fälle registriert, in diesem Jahr waren es bis zum 9. August bereits 50.
Heute sind diverse Risikofaktoren für Brustkrebserkrankungen bekannt. Die meisten lassen sich jedoch nicht beeinflussen: Das Risiko nimmt mit dem Alter zu. So treten beinahe 80 Prozent aller Brustkrebserkrankungen bei Frauen ab 50 Jahren auf. Darum sind alle Frauen im Alter zwischen 50 und 69 Jahren aufgefordert, sich im Rahmen des Programms zur Früherkennung von Brustkrebs alle zwei Jahre einer Mammografie zu unterziehen.
Für Frauen, die bereits einmal an Brustkrebs erkrankt waren, besteht ein drei- bis vierfach erhöhtes Risiko, erneut ein Mammakarzinom zu entwickeln. Rund 20 bis 30 Prozent aller Brustkrebserkrankungen treten bei Frauen auf, bei denen eine familiäre Vorbelastung besteht. Nur ein kleiner Teil der Brustkrebserkrankungen (5 bis 10 Prozent) ist erblich bedingt. Weitere Risikofaktoren sind mit dem persönlichen Lebensstil verbunden: regelmäßiger, wenn auch nur moderater Nikotin- und Alkoholkonsum, Übergewicht und Bewegungsmangel. Auch die Pille kann das Risiko erhöhen.
Mögliche Symptome sind Knoten in der Brust, verhärtete Lymphknoten unter den Armen, Hautauffälligkeiten im Brustbereich wie Rötungen oder Schwellungen, Veränderungen der Größe und der Form der Brust. Knochenschmerzen, Übelkeit, Appetit- und Gewichtsverlust, Gelbfärbung der Haut, Kurzatmigkeit, Husten, Kopfschmerzen, Doppeltsehen und Muskelschwäche weisen häufig auf einen bereits metastasierten Krebs hin.
Neues Berufsbild: „Breast Care Nurses“
Partnerschaftliches Einbeziehen der Patientinnen in die Therapieentscheidung durch eine individuelle und verständliche Beratung und die fachkompetente Begleitung über den gesamten Behandlungsprozess. So werden die Hauptziele der „Breast Care Nurses“ (BCN) beschrieben.
Schon seit 20 Jahren existiert der Beruf in Australien, in Luxemburg hingegen erst seit wenigen Jahren. „Wir sind im Moment sechs an der Zahl für ganz Luxemburg“, erklärt Tina Bastin, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Joëlle Leclerc seit dem 1. Juni Pflegeexpertin für Brusterkrankungen im CHdN ist.
Als Mitglieder des therapeutischen Teams begleiten sie Betroffene mit gezielter Beratung und Informationen zu den Therapie-Abläufen sowie zu Aspekten wie der Operation, dem Aufwachraum, der Pflegestation, Nuklearmedizin usw. Sie stehen den Patienten ebenfalls zur Seite, um sie zu den Inhalten der Diagnostik und der Therapie aufzuklären.
Die BCN sind Teil eines großen Teams, das sich u.a. aus Ärzten, Pflegenden, Psychoonkologen, Physiotherapeuten, Sozialarbeitern und Ernährungsberatern zusammensetzt. Ihre Ausbildung zur BCN haben Joëlle Leclerc und Tina Bastin an der Fachhochschule in Münster bzw. in Essen gemacht. Grundvoraussetzung ist neben der Pflegeberufsausbildung eine langjährige Erfahrung in einer Chirurgie-Abteilung.
Die Kontaktdaten der beiden „Breast Care Nurses“
Joëlle Leclerc, Tel.: 81 66 61 21-3, E-Mail: joelle.leclerc@chdn.lu
Tina Bastin, Tel.: 81 66 61 21-4, E-Mail: marie-tina.bastin@chdn.lu
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Die Betroffenen brauchen kein Mitleid, aber Mitgefühl!