Interview / „Ich möchte mit richtig guten Leuten gut arbeiten“: Eva Mattes über ihre Arbeit als Schauspielerin
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Eva Mattes bei der Probe von „S wie Schädel“ nach Texten von Navid Kermani
Als „Tatort“-Kommissarin Klara Blum kennt man Eva Mattes aus dem Fernsehen. Die herausragende Schauspielerin, die im Theater und Film mit einigen der bedeutendsten deutschen Regisseure gearbeitet hat, gastierte letzte Woche (zusammen mit Roberto Ciulli) im Kapuzinertheater mit „S wie Schädel“, einem Stück mit Texten von Navid Kermani. Ein Gespräch.
Tageblatt: Sie kommen aus einer Künstlerfamilie: Ihre Mutter war Schauspielerin und Tänzerin, Ihr Vater war Komponist und Dirigent, und mit zwölf Jahren standen Sie erstmals auf der Bühne. Erinnern Sie sich an Ihren ersten Kontakt mit dem Theater?
Eva Mattes: Ich erinnere mich, dass ich noch sehr klein war und meine Mutter auf der Bühne sah, wobei ein Schuss fiel und ich dann furchtbar geschrien habe, worauf meine Mutter mich aus dem Zuschauerraum rausgeholt hat. Meine Mutter spielte Theater in der „Kleinen Komödie“ in München, als ich zwölf Jahre alt war und als sie mal ihre Gage abholte, hat sie mich ins Büro mitgenommen, wo der Direktor mich gefragt hat, was ich mal werden möchte. Darauf habe ich geantwortet: Schauspielerin. Als das Theater ein paar Monate später ein sechsjähriges Mädchen für ein Stück brauchte, habe ich – obschon ich schon zwölf war – mir ein rosa Kleidchen angezogen und mit Zöpfen auf sechsjährig gemacht, habe etwas vorgesprochen und wurde gleich engagiert. Und seitdem habe ich nicht mehr aufgehört, zu arbeiten – bis heute. Ich wusste auch von Anfang an, dass ich diesen Beruf ernsthaft machen wollte. Ich möchte mit richtig guten Leuten gut arbeiten. So ist es dann auch passiert. Ich habe irgendwann ganz genau ausgewählt. Durch Michael Verhoeven, mit dem ich mit 16 Jahren den Anti-Vietnamkriegs-Film, „o.k.“ gemacht habe, war ich gleich in der richtigen Schiene, und ab da war es eigentlich immer so.
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Wenn Sie von guten Leuten, herausragenden Regisseuren reden, fallen einem im Film Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog, Helma Sanders-Brahms, Michael Verhoeven, Roland Klick, Percy Adlon ein und im Theater Peter Palitzsch, Wilfried Minks, Heiner Müller, und in erster Linie natürlich Peter Zadek, der gewissermaßen Ihr Lieblingsregisseur war.
Ich habe so viel von Peter Zadek gelernt, er hat mir so viele Freiheiten gegeben im Spielen, im Erfinden. Durch ihn habe ich erfahren, dass ich Fantasie habe, dass ich einfach nur spielen darf, dass ich meiner Intuition vertrauen kann, dass ich meinem Instinkt folgen kann. Das war großartig – das war für mich wie eine Offenbarung. Er hat einfach immer sehr genau zugeschaut. Er hat einfach alles gesehen, und er hat uns Schauspieler wochenlang in Ruhe gelassen. Er hat selten etwas gesagt. Manche Schauspieler sind auch nicht damit zurechtgekommen, dass er nichts sagte. Bei „Antonius und Cleopatra“ (1994) haben wir schon nach einer Woche einen Durchlauf durch das ganze Shakespeare-Stück gemacht. Das hat sechs Stunden gedauert. Er wollte mal wissen: Was sehe ich? Wie geht das? Wie sieht das in der Praxis aus? Was machen die? Um seine Fantasie anzuregen, zu schauen, in welche Richtung kann ich die lenken? Er hat schon ein bisschen gelenkt, aber sehr vorsichtig. Das hat mich sehr geprägt, und dadurch bin ich sehr selbstständig geworden als Schauspielerin.
Peter Zadek ist oft vorgeworfen worden, dass er seine Schauspieler manipuliert habe. Aber es war doch genau das Gegenteil: Er wusste genau, was er wollte, und hat bloß abgewartet, bis die Schauspieler es selbst herausgefunden haben.
Genau. So ist es. Er hat sehr genau besetzt, und das würde ich nicht Manipulation nennen. Ich kann das am besten am Beispiel von Angela Winkler als Hamlet erklären. Er hat gesagt: Es interessiert mich nicht, eine Frau zu sehen als Hamlet, aber es interessiert mich, die Fantasie von Angela Winkler zu Hamlet zu sehen. Das interessierte ihn. Oder Eva Mattes und Gert Voss als Antonius und Cleopatra. Wie treffen die zusammen? Was gibt es da für Momente, wo sie aufeinanderprallen, wo Harmonie ist oder Streit oder Aggression? Antonius und Cleopatra waren ja auch ein kämpferisches Paar. Das ging dann meistens auch auf, weil er es auch schon so besetzt hat. Damit etwas passiert – wie auch immer. Manchmal hat er auch die Inszenierung nicht gemacht, wenn er nicht die richtige Besetzung hatte. Oder er hat so lange gewartet, bis er die richtigen Leute zusammen hatte.
Zur Person
Eva Mattes (1954), Deutsch-Österreicherin, ist u.a. eine Schauspielerin, Synchronsprecherin, Hörbuch- sowie Hörspielsprecherin. Sie gilt seit den 1970er-Jahren als wichtige Darstellerin des „Neuen Deutschen Films“, ist aber auch am Theater bekannt. Wer den „Konstanzer Tatort“ schaut, kennt sie vor allem als Kommissarin Klara Blum.
Als ich Ihr Buch „Wir können nicht alle wie Berta sein“ gelesen habe, ist mir aufgefallen, dass Sie über Ihr Privatleben genauso viel berichten wie über ihr Leben als Schauspielerin. Das eine ist genauso wichtig wie das andere, das eine scheint das andere zu beeinflussen und zu nähren. Ist es Ihnen schon vorgekommen, dass Sie sich so intensiv in eine Rolle hineingesteigert haben, dass sie sich auf Ihr Privatleben abgefärbt hat?
Ja. Als ich Fassbinder in dem Film „Ein Mann wie Eva“ (Regie: Radu Gabrea) gespielt habe, bin ich so in die Rolle dieses Mannes geschlüpft, dass ich völlig in ihr aufgegangen bin. Ich hatte zu dieser Zeit auch kaum Privatleben. Wir haben nur drei Wochen gedreht, und das ging bis spät in die Nacht – danach kam ich nach Hause, habe geschlafen, und dann war ich schon wieder drei Stunden in der Maske. Als dann der Film beendet war, wusste ich überhaupt nicht mehr: Wer bin ich denn jetzt eigentlich? Ich habe mich im Spiegel angeschaut und mich gefragt: Wer ist diese Frau? Die kenne ich gar nicht, und es hat wirklich lange gedauert, bis ich wieder zu mir gefunden habe, bis ich wieder ein Kleid angezogen habe und mich irgendwie wieder schön fand. Gerade in Probenprozessen ist man so beschäftigt mit der Rolle, dass man fast eine andere Identität einnimmt.
Ich bin viel mit Tagträumen beschäftigt. Ich stelle mir ständig bestimmte Sachen vor und träume mich so weg, dass ich plötzlich furchtbare Angst habe oder mir die Tränen runterlaufen, oder dass ich laut lachen muss.Schauspielerin
Ich erinnere mich, als ich „Antonius und Cleopatra“ geprobt habe und einmal am Wochenende zu Hause war, dass ich eine Bolognese-Soße gekocht habe und gleichzeitig innerlich mit dem Monolog beschäftigt war, in dem Cleopatra über Antonius’ Tod weint. Als ich dabei den Topf umrührte, merkte ich, dass mir auf einmal Tränen in die Bolognese tropften. Aber ich bin auch ganz viel mit Tagträumen beschäftigt. Ich stelle mir ständig bestimmte Sachen vor und träume mich so weg, dass ich plötzlich furchtbare Angst habe oder mir die Tränen runterlaufen, oder dass ich laut lachen muss, weil die Geschichten in meinem Kopf einfach mit mir durchgehen.
Ein anderer Aspekt Ihrer Arbeit ist der politische. 1981 haben Sie mit einer Reihe bedeutender Schauspieler, Sänger und Kabarettisten eine Veranstaltung mitorganisiert, die sich „Künstler für den Frieden“ nannte. Und Ihre Liederabende und die Aufführung mit Roberto Ciulli nach Texten von Navid Kermani, „S wie Schädel“, stehen ebenfalls im Zeichen der Aufklärung und Kritik.
Theater kann nicht in dem Sinne politisch etwas verändern. Aber man kann schon Zeichen setzen, so wie wir das auch mit unserem Stück „S wie Schädel“ versuchen. Man kann etwas verändern, von mir zu dir. Von mir zum Nächsten. Wie ich mit meinem Nachbarn oder mit dem Menschen, den ich auf der Straße treffe, umgehe. Wie ich Menschen begegne, das kann eine Winzigkeit verändern. In der Stimmung zum Beispiel des anderen. Wenn jemand gerade sehr traurig oder unglücklich ist und ich lächle ihn auf der Straße an, dann kann das bei ihm etwas bewirken. Ich habe das schon erlebt, dass sich Leute bei mir bedankt haben, weil ich sie angelächelt habe.
Eine Reflektion über das Leben, das ganz schön grausam istSchauspielerin
Es ist toll, dass es jemandem dadurch besser geht und er das dann auch weitergeben kann. Ich kann die große Politik nicht verändern. Es ist heute sogar schwierig, wenn die Massen auf die Straße gehen. Die verändern kaum etwas. Aber damals, zur Zeit der Friedensbewegung, hat es vielleicht etwas bewirkt. Heute sieht die Sache etwas anders aus. Bei „S wie Schädel“ haben wir uns vorgestellt, zwei übriggebliebene Menschen auf einem Planeten zu sein, die sich fragen: Was war da eigentlich? Eine Reflexion über das Leben, das ganz schön grausam ist.
Ergänzend hierzu empfiehlt sich das Interview mit Navid Kermani, erschienen im Tageblatt vom 15. Januar.
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