Gerson Rodrigues redet Klartext / „Ich will nicht, dass die Leute auf mich draufhauen“
Zwischen Genie und Wahnsinn. Gerson Rodrigues ist der wohl umstrittenste Nationalspieler der jetzigen Generation, aber auch einer der talentiertesten. Der 25-Jährige nimmt im Tageblatt-Interview kein Blatt vor den Mund. Ein Gespräch über Erfolg, Neid, Träume, Geld und die Suche nach Anerkennung.
Tageblatt: Die Nations League ist für Luxemburg ein Wettbewerb, der mit viel Hoffnung verbunden ist. Welche Ziele hat sich die Mannschaft gesteckt?
Gerson Rodrigues: Unsere Ziele sind ganz einfach zu erklären. 2018 haben wir in der Nations League gut gespielt, aber wir haben die entscheidenden zwei Spiele gegen Weißrussland verloren. Es reicht nicht mehr, nur gut zu spielen, wir müssen punkten und den nächsten Schritt machen. Wir alle haben ein gutes Niveau erreicht und jetzt ist der Moment gekommen, diese Qualität in Zählbares umzusetzen. Die Ansprüche haben sich geändert.
Nach sechs Monaten in der Türkei bei MKE Ankaragücü sind Sie zu Dynamo Kiew zurückgekehrt und haben dort sofort mit starken Leistungen überzeugt. Wie sieht Ihre Zukunft aus?
Dazu kann ich aktuell noch nicht viel sagen. Ich fühle mich derzeit wohl in Kiew, wir haben einen neuen Trainer, der mir vertraut. Die Zukunft wird zeigen, was passiert.
Der neue Dynamo-Trainer Mircea Lucescu scheint Ihnen gutzutun.
Er ist eine Legende. Seine Titelsammlung spricht für sich. Aber wir sind erst am Anfang. Ich hoffe, er versteht, wie er mit Spielern wie mir umgehen muss. Er hatte in der Vergangenheit bei Shakhtar Donetsk mit sehr viel Brasilianern zu tun. Er hat ein Händchen für südländische Spieler, und das ist gut für mich.
Bei Ankaragücü wurde Ihr Vertrag nach einer Auseinandersetzung im Training aufgelöst. Was steckt dahinter?
Ich bin nicht damit einverstanden, dass verschiedene Medien in Luxemburg geschrieben haben, dass ich vom Verein rausgeschmissen wurde. Das ist eine klare Fehlinformation und das werde ich mir nicht mehr gefallen lassen. Verschiedenen Journalisten werde ich nie wieder auf eine Frage antworten. Die Trennung ist friedlich verlaufen. Man muss aber wissen, dass MKE Ankaragücü nicht in der Lage war, die Hälfte des Leihbetrags von 600.000 Euro an Dynamo Kiew zu zahlen. Der Verein war einfach nicht seriös und hat deshalb auch schon etliche Mahnungen von der FIFA bekommen. Der Konflikt mit meinem ehemaligen Teamkollegen wurde als Grund genommen, die Zusammenarbeit zu beenden. Dabei war es nicht mehr als eine kleine Auseinandersetzung, wie sie im Training eigentlich regelmäßig passieren.
Die Berichterstattung über diese Trennung hat Sie offensichtlich sehr verärgert.
Ja, sie hat mich wütend gemacht. Wir Nationalspieler vertreten Luxemburg im Ausland. Ich erziele Tore gegen Shakhtar Donetsk und nicht gegen den F91 Düdelingen. Ich verlange nicht, dass wir deshalb besser behandelt werden oder von der Presse beschützt werden. Ich verlange jedoch, dass die Wahrheit ans Licht kommt und nicht geschrieben wird, dass ich gefeuert wurde. Das ist schlecht für mein Image und das tut mir weh, weil ich immer nach Luxemburg blicke. Meine Familie und meine Freunde sind hier. Mein Lebensmittelpunkt ist weiterhin Luxemburg und ich fühle mich hier wirklich unglaublich wohl.
Wenn es Sie so sehr ärgert, warum reagieren Sie nicht auf diese vermeintlich falsche Berichterstattung?
Ich habe für mich entschieden, nicht darauf zu reagieren, weil ich wusste, dass mich Dynamo Kiew zurücknehmen wird und ich keine Probleme haben werde, einen neuen Verein zu finden. Aber auch, weil ich ein aufbrausender Charakter bin und ich wahrscheinlich wütend geworden wäre, wenn ich eine Richtigstellung per Telefon eingefordert hätte. Ich habe es gelassen und versucht, meine Antwort auf dem Platz zu geben. Ich versuche immer nett und freundlich zu sein und verlange einfach nur, dass man nicht auf mich draufhaut.
Fühlen Sie sich öfter ungerecht behandelt?
Nein, eigentlich nicht. Ich fühle mich zu Hause in Luxemburg und jeder weiß, dass ich bisher keinen einfachen Weg hatte. Es ist einfach nicht schön, irgendwo zu lesen, dass ich gefeuert wurde, obwohl es nicht stimmt. Meine Freunde und die Familie lesen das ja auch. Ich finde, dass über meine Mitspieler aus Kiew teilweise ausgeglichener in ihren heimischen Medien berichtet wird. In meinem Fall wird mehr über diese Trennung geschrieben als über meine Tore in der Ukraine und der Türkei. Trotzdem finde ich nicht, dass ich ungerecht behandelt werde. Ich habe aber ein gewisses Image, das ich mir auch selbst zuzuschreiben habe.
Welches Image meinen Sie?
Ich hatte nicht die beste Außendarstellung. In meiner bisherigen Karriere gab es viele Ups und Downs. Mittlerweile spiele ich aber bei einem der größten Vereine Europas und habe dort Erfolg.
War Ihr Charakter in Ihrer bisherigen Karriere von Vor- oder Nachteil?
Beides. Hätte ich einen einfacheren Charakter, wäre ich vielleicht schon weiter in meiner Karriere. Auf der anderen Seite denke ich, dass mein Charakter mir auch dabei geholfen hat, da zu sein, wo ich jetzt bin. Viele Spieler haben es im Ausland versucht und sind relativ schnell nach Luxemburg zurückgekehrt. Ich bin jetzt seit drei Jahren Profi, dabei sind einige Leute davon ausgegangen, dass ich es nicht schaffen würde. Ich habe mehr Disziplin, als manche glauben. Ich weiß aber auch, dass mein Charakter nicht immer sehr hilfreich ist. Ich muss lernen, mich zu zügeln und meine Emotionen in positive Energie umzuwandeln. Und das habe ich auch schon teilweise geschafft.
Was hat Sie zum Umdenken gebracht?
Ich habe in den vergangenen Jahren gesehen, dass wegen meines Charakters meine Karriere ins Stocken geraten ist. Heute weiß ich, dass Disziplin und Pünktlichkeit sehr wichtig sind und dass ich auch mal zuhören kann, ohne sofort zurückzuantworten. Während meiner Zeit bei Jubilo Iwata habe ich sehr viel dazugelernt. Die Japaner sind sehr diszipliniert und das hat auf mich abgefärbt. Ich befinde mich noch immer in einem Lernprozess, und der geht täglich weiter.
Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen neidisch auf Ihren Erfolg sind?
Ich weiß nicht genau, wie ich das einschätzen soll. Keiner hat an mich geglaubt und heute fragen sich die Leute: Wie ist Gerson Rodrigues dort gelandet, wo er heute ist? Warum hat er das Gehalt, das er heute hat? Keiner versteht das. Ich bin ja anscheinend nicht der seriöseste und vorbildlichste Spieler. Wie kann es sein, dass gerade so einer Erfolg hat? Fußball ist Arbeit. Ich wäre nicht dort, wo ich heute bin, wenn ich nicht an meiner Einstellung, meinem Körper und meinen Füßen gefeilt hätte. Je größer man wird, desto mehr Fans bekommt man, aber auch mehr Leute, die einen hassen. Ich spüre aber auch, dass die Menschen in Luxemburg mögen, was ich tue.
In den sozialen Netzwerken kann man Ihr Leben auf Bildern und Videos verfolgen. Zeigen Sie gerne, was Sie besitzen?
Es geht nicht darum, zu zeigen, was ich habe. Ich will meine Träume erfüllen. Kürzlich habe ich mir zwei neue Autos gekauft. Eines davon wollte ich schon immer haben. Ich habe meiner Mutter als kleines Kind gesagt, dass ich mir diese spezifische Auto kaufen werde, wenn ich es kann. Jetzt habe ich es getan, auch um meiner verstorbenen Mutter zu zeigen, dass ich meine Träume erfüllen werde. Es ist aber auch eine Message an die Jugend. Ich hatte als Kind nicht viel, und heute fahre ich Lamborghini. Jeder sollte an sich glauben und versuchen, mehr aus seinem Leben zu machen. Es muss sich nicht jeder an mir orientieren. Der Weg kann auch schneller und geradliniger zum Ziel führen, als es bei mir der Fall war. Ich bin auch erst 25 Jahre alt und es ist mir bewusst, dass mein Weg nach oben und nach unten führen kann. In ein Loch werde ich allerdings nicht mehr fallen. Die Rahmenbedingungen sind zu gut dafür. Ich muss mich einfach nur auf den Fußball konzentrieren. Daneben versuche ich, einige Geschäftszweige aufzubauen, um mich finanziell abzusichern.
In welchem Geschäftsbereich sind Sie tätig?
Ich denke darüber nach, ein Hotel, Restaurants und Lounge Bars zu eröffnen. Auch eine Sportmarke schwebt mir als Idee vor. Alle diese Ideen werde ich in Luxemburg umsetzen. Das ist mein Land, mein Zuhause, hier fühle ich mich wohl und vertraue Menschen, die die Geschäfte für mich leiten können.
Gibt es viele Menschen, die von Ihrem Erfolg profitieren wollen?
Wenn man Geld hat, kommen auf einmal neue Leute auf dich zu. Das ist bei mir nicht der Fall, ich hatte schon immer dieselben Freunde. Zu diesem Kreis gehören eine Handvoll Menschen. Man kann sich aber auf der anderen Seite nicht jedem verschließen, nur weil man Erfolg hat. Ich habe meine Erfahrungen gemacht und musste entscheiden, wer gut und wer schlecht für mich ist. Wenn einer den gleichen Weg einschlagen will und Hilfe dabei braucht, kann ich ihn aber auch nicht abwehren. Ich helfe zum Beispiel gerade meinem Capoeira-Trainer Pelezinho. Ich habe ein paar Hundert Kleider und Essen gespendet für seine Hilfsaktion im Kongo. Das sind die Dinge, die mich auf dem Boden der Tatsachen halten.
Haben Sie manchmal Probleme damit, nicht abzuheben?
Bevor ich abhebe, versuche ich abzubremsen (lacht). Ich hatte als Kind nicht viel und daran muss ich in diesen Momenten zurückdenken. In meiner Jugend hatte ich keinen Menschen, der mich gebremst hat, das ist wohl auch der Grund, warum ich so lange gebraucht habe, um etwas zu erreichen. Ich bin ohne Vater aufgewachsen. Er hätte vielleicht etwas mehr Strenge in die Erziehung bringen können. Meine Mutter war eher fürsorglich.
Welche Träume haben Sie noch?
Sportlich gibt es keine Grenzen für mich. Ich will in naher Zukunft bei einem ganz großen europäischen Verein spielen. Aber momentan konzentriere ich mich auf Dynamo. Privat will ich Sachen erreichen, die ich immer schon mochte, wie zum Beispiel Chef sein und mein eigenes kleines Imperium aufbauen. Ich wollte nie für einen arbeiten, sondern immer mein eigener Herr sein. Diese Einstellung hat mir jedoch früher Ärger eingebracht. Ich wollte nie zuhören und immer das tun, auf was ich gerade Lust hatte. Ein anderes Ziel ist es, bessere Lebensbedingungen für meine Familie zu schaffen, der es nicht immer ganz gut ging. Das geschieht Schritt für Schritt. Ich gebe, was ich geben kann. Das war der Wunsch meiner Mutter, und den will ich auch erfüllen.
- Analyse zur Nations League: Direkter Abstieg vermieden, aber die Fragen bleiben - 20. November 2024.
- Die Underdogs wollen zeigen, was sie draufhaben - 9. November 2024.
- Fola-Trainer Ronny Souto: „Die Devise muss es sein, an jedem Tag unser Maximum zu geben“ - 26. Oktober 2024.
Emmer un dech gleewen, an weider schaffen,dann kann et bis zu den Topteams goen, vill Erfollech weiderhinn
Also de Gerson ass jo e ganz gudde Spiller, mee wann een mat där Leeschtung schonn e Lamborghini kafen kann an sech en „Imperium“ opbauen kann, et deet mer leed, mee dann verstinn ech d’Welt awer rem net méi.