Esch / Ihnen wird die Wohnung gekündigt, in der das „Abrisud“ unterkommen soll
Tracol Immobiliers hat 60 Personen den Mietvertrag gekündigt. Sind sie alle draußen, will die Gemeinde das Haus 9 in der rue de la Fontaine kaufen und dort das „Abrisud“, eine Notunterkunft für Obdachlose, einrichten. Rund 30 Personen wohnen noch in dem Gebäude – und fürchten um ihre Zukunft.
Acht Bewohner des Hauses haben sich am Freitagmorgen vor dem Rathaus versammelt. Mitglieder der Oppositionsparteien LSAP und „déi Lénk“ sowie der Gewerkschaft OGBL sind gekommen, um sie zu unterstützen. Während hinter ihnen die ersten Standbetreiber auf dem Weihnachtsmarkt den Glühwein für die Mittagsbesucher wärmen, sind sie überhaupt nicht in Weihnachtsstimmung. Sie wissen nicht, ob sie an Heiligabend überhaupt noch ein Dach über dem Kopf haben werden.
Die Gemeinde Esch will in dem Haus, in dem sie zum Teil seit zehn oder 18 Jahren leben, das „Abrisud“ unterbringen. Also die Notunterkunft für Obdachlose, die sich derzeit in Containern in der rue Berwart befindet. Das Projekt würde von Familienministerin Corinne Cahen unterstützt, hatte Bürgermeister Georges Mischo (CSV) in der Gemeinderatssitzung gesagt. Die Kündigung hatten die rund 60 Bewohner des Hauses am 29. April 2019 im Briefkasten.
„Dass wir ausziehen sollen, damit Obdachlose in dem Haus unterkommen können, haben wir erst im November durch die Presse erfahren“, sagt Claudia Eischen, die von den 30 verbleibenden Bewohnern des Hauses zur Sprecherin gewählt wurde. Vier Familien haben sich mittlerweile eine Wohnung gekauft, während drei andere anderweitig untergebracht werden konnten. Die Übriggebliebenen sind verzweifelt.
Mangel an Respekt
Eischen empfindet es als einen Mangel an Respekt, auf die Straße gesetzt zu werden, damit andere unterkommen können. „Wir sind auch Menschen mit Familien. Das ist nicht gerecht“, sagt sie.
Claudine Eischen war, wie sie angibt, dreimal im Rathaus und bat darum, mit einem Verantwortlichen zu sprechen. Dreimal wurde sie abgewiesen. Die Sekretärin notierte ihren Namen und versprach, ihr Anliegen an die Sozialschöffin, Mandy Ragni („déi gréng“), weiterzugeben – sie würde sich melden.
Das tat sie tatsächlich – und vertröstete die Mutter auf einen Rückruf vom Ersten Schöffen, Martin Kox. „Das war vor drei Wochen. Seitdem warten wir“, sagt Eischen. Dabei habe sie keine Zeit zu verlieren, denn sie weiß: Wenn sie keine Unterkunft findet, landet sie auf der Straße.
Eine Frau, die mit einem kleinen Mädchen vor der Gemeinde steht, erzählt, dass sie eigentlich schon im September hätte ausziehen müssen. Das Auszugsdatum hängt davon ab, wann die Bewohner den Mietvertrag unterschrieben haben. Von Tracol wurde ihr eine neue Wohnung angeboten, die jedoch nichts mit ihrer jetzigen zu tun habe. „Es war ein Zimmer ohne Fenster. Ich würde nicht einmal meinen Hund dort leben lassen“, sagt sie. Hinzu kommt, dass sie Pflegemutter für das Mädchen ist und ihre Lebensumstände regelmäßig von Behörden kontrolliert werden. „Würde ich in solch eine Wohnung ziehen, würden sie mir die Kleine sofort wegnehmen.“
Doppelte Miete
Neben Familien mit Kindern leben laut Claudine Eischen auch ältere Menschen in dem Haus, darunter eine Frau im Rollstuhl und ihr Ehemann. „Wir wissen alle nicht, wohin.“ Die aktuellen Mietpreise auf dem Markt sind für sie alle nicht bezahlbar. Familie Dos Santos lebt seit zehn Jahren in dem Haus in der rue de la Fontaine. „Wir haben immer alle Rechnungen bezahlt und hatten nie ein Problem“, sagt Gaio Dos Santos.
Tracol hat der fünfköpfigen Familie ebenfalls eine Wohnung angeboten. Die Miete für drei Zimmer lag bei 1.800 Euro. Derzeit zahlen sie die Hälfte. Hinzu kommt eine Abrechnung der Immobilienfirma, die die Familie nicht zahlen will. „Darauf stehen 420 Euro für das Putzen, die Sicherheit und die Überwachung.“ Von diesen Diensten habe nie jemand im Haus etwas gesehen.
Auch die Rechnung, um den Müll zu entfernen, den die bereits ausgezogenen Familien hinterlassen haben, wurde auf die verbleibenden Hausbewohner aufgeteilt. „Wir haben uns alle geweigert, das zu zahlen“, sagt Claudine Eischen aufgebracht.
Der befristete Arbeitsvertrag der 33-jährigen Helene Gomiz ist gerade ausgelaufen. Sie hat zwar an anderer Stelle einen neuen bekommen, hier wurde ihr allerdings vor Ablauf der Probezeit gekündigt. Ihr Mann hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Die jungen Eltern leben mit ihren fünf und zwei Jahre alten Kindern in einer Einzimmerwohnung. „Wir suchen eine neue Wohnung, aber es ist sehr schwer“, sagt sie. Denn um zu mieten, brauchen beide Elternteile einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Auch sie hätte laut Kündigung bereits bis Ende September 2019 ausziehen müssen.
Als die Bewohner am Freitag das Gespräch mit den Verantwortlichen aufsuchen, ist zuerst niemand vorzufinden. Als Schöffe André Zwally auftaucht, kontaktiert er Mandy Ragni, die ihm versichert, sie sei in 20 Minuten da. Kurze Zeit später trifft die Sozialschöffin ein und setzt sich mit den Hausbewohnern an einen Tisch.
Gemeinde ist noch nicht Besitzer
„Die Gemeinde hat das Gebäude noch nicht gekauft, der Besitzer ist Tracol“, stellt Ragni gleich zu Beginn klar. „Die Gemeinde wird dieses Haus nicht kaufen, solange die Bewohner nicht woanders untergebracht wurden.“ Ob Esch dieses Gebäude aber nun kauft oder nicht, ändere nichts daran, dass die Bewohner ausziehen müssen.
Die Gemeinde wolle mit Sicherheit keine Menschen auf die Straße setzen, um dann Obdachlose dort unterzubringen, wiederholt Ragni mehrfach. Sie selbst habe Fabio Marochi, Geschäftsführer bei Tracol Immobilier, darum gebeten, einen Bericht vorzulegen, in dem alle Familien aufgelistet sind, die bereits woanders unterkommen konnten.
„Ich finde es schade und traurig, dass nicht zuerst versucht wurde, mit der Gemeinde Kontakt aufzunehmen“, bedauert die Sozialschöffin. Daraufhin muss Claudia Eischen lachen. Sie sei dreimal bei der Sekretärin gewesen, die ihren Namen aufgeschrieben hat. „Ich weiß davon nichts. Dafür können wir nichts, wenn die Informationen nicht weitergegeben werden“, lautet Ragnis Antwort. Sie habe sich persönlich mit einigen der Bewohner in Kontakt gesetzt. Traco habe ihr garantiert, dass die Menschen adäquat untergebracht würden. „Ich habe meine Arbeit getan“, versichert die Schöffin.
Sechs Monate oder länger
„Das sehen wir nicht so“, entgegnet Eischen. „Wir sehen nur, dass wir mitten im Winter mit unseren Familien auf die Straße gesetzt werden.“ Vorwürfe, die Mandy Ragni sichtlich zusetzen. Sie verlässt den Raum weinend.
Als sie einige Minuten später wiederkommt, entschuldigt sie sich. „Ich bin auch nur ein Mensch. Ich mache keine Politik, um anderen das Leben schwerer zu machen“, sagt sie. Sie verspricht den Familien, die Zeit, die sie brauchen, um in einer anderen Wohnung unterzukommen, zu nutzen. „Egal ob das sechs Monate oder länger dauert.“ Ragni wolle sich mit Fabio Marochi zusammensetzen und ihm erneut mitteilen, dass es jetzt seine Aufgabe ist, die Familien adäquat unterzubringen. „Ich werde nicht zulassen, dass jemand auf die Straße gesetzt wird“, verspricht sie.
Ragni bietet den Bewohnern zudem an, sich im Januar mit den Gemeindeverantwortlichen sowie Fabio Marochi zusammenzusetzen, um alle offenen Fragen zu klären. Dem Schöffenrat sei bewusst, dass die Stadt mehr Sozialwohnungen brauche. Der Bau sei angedacht. Die Sozialschöffin bedauerte, dass auf dem Rücken dieser Menschen Politik gemacht würde. Unter der vorherigen Mehrheit habe es ähnliche Situationen gegeben, aus denen genauso ein Skandal hätte gemacht werden können. Deren Anwesenheit bezeichnete sie als Hypokrisie.
Kein schlechtes Gewissen bei Marochi
Tracol hat über zehn Häuser im Viertel gekauft. Fabio Marochi war am Freitagabend noch telefonisch zu erreichen und wäscht seine Hände in Unschuld. „In einem der zehn Häusern werden die Bewohner aus dem Haus untergebracht und das wissen sie auch“, sagt er dem Tageblatt gegenüber. Die Gemeinde habe ein Schreiben, in dem festgelegt ist, dass den Familien eine Wohnung zum gleichen Preis und zu gleichen Bedingungen angeboten wird. „Ihre Situation wird sich zum Teil drastisch verbessern. Manche, die jetzt in einem Appartement leben, werden sogar ein Haus bekommen“, meint Marochi.
Die Frage, ob er den Bewohnern vorwerfe, zu lügen, verneint er. „Vielleicht ist die Information nicht bei jedem angekommen oder wurde falsch verstanden“, sagt er. Alleine dass bei manchen die Kündigungsfrist im September 2019 gewesen sei, beweise, dass Tracol niemanden einfach auf die Straße setze. Hinter der Protestaktion am Freitag vermutet er eine politische Aktion. „Hier scheint es böses Blut zu geben und falsche Informationen scheinen verbreitet zu werden“, sagt Marochi. Er gehe im Januar mit gutem Gewissen in die Versammlung mit den Hausbewohnern.
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Alltägliches Beispiel einer bürgerfeindlichen Politik, was neben allen Affären und Skandalen in der Politszene beweist, wie die Politik, egal welcher Couleur, waltet. Als gäbe es in Esch kein geeignetes Lokal, leerstehendes Haus was man dem Zwecke eines Abrisud anpassen, umbauen könnte. In einem Land das Millionen in Weltausstellung, Filmfond,….. investieren kann, dürfte es doch ein Leichtes sein das nötige Geld bereitzustellen.Der Fingerzeig an jene Politiker , die sich oft über das mangelnde Solidaritätsbewusstsein der Bürger aufregen, die sich wundern ,wenn populistische Parteien beklatscht werden.Es sollte endlich Schluss sein mit den Sonntagsreden der Politik und nachdem die Jugend sich vehement gegen den Klimawandel eingesetzt hat, sollten alle Bürger aufstehen gegen das ungerechte , verlogene Gesellschaftssystem das augenblicklich herrscht, eine Gesellschaft schaffen wo alle Menschen gleich und solidarisch behandelt werden, Wohnraum kein Spekulationsobjekt ist , sondern jeder Bürger, egal welcher Herkunft und Standes , ein Anrecht auf eine vom Staate finanzierte Wohnung hat.Auch wenn dieses Anliegen als Utopie verschrien wird, der Besitztumsneid vieler Bürger dies zu verhindern weiss, scheint es mir, wie beim Klimawandel auch, ein Umdenken von Nöten ist.
Diese armen Menschen werden regelrecht im Regen stehen gelassen und das in der Weihnachtszeit! Weihnachtszeit: Einkaufszeit! Das verlogenste Fest überhaupt.
Soziales Versagen in Sachen Menschlichkeit auf der ganzen Linie!
Die CSV zeigt ihr wahres Gesicht.