Umwelt / IKEA zerstört europäische Urwälder für Wegwerfmöbel
Rodest du noch oder sägst du schon? Ein Möbelstück von IKEA findet sich heute in fast jedem Haushalt. Und warum auch nicht: Das Design ist raffiniert, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt und überhaupt, diese Schweden, das können doch gar keine Umwelt-Sünder sein, oder? Eine Recherche von Greenpeace und eine investigative Dokumentation von Arte nähren nun Zweifel am Saubermann-Image des Großkonzerns.
Sitzen Sie gerade auf Ingolf? Das ist einer der beliebtesten Stühle im IKEA-Sortiment – und besteht laut Website des Möbelgiganten „zu mehr als 98% aus recyceltem oder FSC-zertifiziertem Holz“. IKEA wirbt aggressiv mit dem Thema Nachhaltigkeit, gibt seinen Kunden großmütig Tipps zum Wassersparen und zur Müllvermeidung. Mit Solstråle (deutsch „Sonnenstrahl“) sind die Schweden auch ins Photovoltaik-Business eingestiegen – und haben sich prompt eine Abmahnung vom Verbraucherschutz eingehandelt, weil IKEA die Geschäftsabwicklung einem Subunternehmen überlässt, ohne es deutlich zu machen.
Klima- und Umweltschutz sind nicht nur wichtig für das Überleben der menschlichen Spezies. Sie sind auch ein großer Marketing-Trend – und das hat auch IKEA erkannt. Allerdings lassen eine neue Recherche von Greenpeace und eine Investigativ-Doku von Arte Zweifel aufkommen, dass das Umweltschutz-Versprechen der Schweden mehr wert ist als der dicke Katalog, den das Unternehmen 2020 eingestampft hat. Denn Ingolf, der eingangs erwähnte Stuhl unter Ihrem Hintern, ist laut der Recherchen sowas wie das Grabkreuz der europäischen Urwälder. Anders gesagt: Sie sitzen vielleicht gerade auf den traurigen Überresten geschützter Bäume.
Kahlschlag im Urwald
Die letzten großen europäischen Urwälder – also naturwüchsigen Wälder ohne forstwirtschaftliche Beeinflussung – findet man entlang des Karpatenbogens, von Tschechien über Polen und die Ukraine bis nach Rumänien. Hier, in Draculas Heimat, hat Greenpeace einige Schreinereien ausfindig gemacht, die nahezu exklusiv für IKEA produzieren. Die Ingolf-Stuhlserie wird von Plimob SA in der traditionellen Holzhandwerksregion Maramureș hergestellt. Plimob betreibt fünf Produktionsstätten in Rumänien, darunter eine moderne Anlage mit einer Kapazität von 2,5 Millionen Stühlen jährlich. Das Holz dafür stammt aus Baumbeständen, die teilweise 180 Jahre alt sind – die aber entweder wegen Unklarheiten trotzdem ein FSC-Zertifikat tragen, oder aber nachträglich mit einem solchen Zertifikat versehen werden. Das Problem: Abgesehen von der Zerstörung der „grünen Lunge Europas“, die massenweise CO2 speichert, geht auch der Lebensraum von Wölfen, Luchsen und Bären flöten.
In Polen, das zeigt die Dokumentation von Arte, sind es nicht irgendwelche dubiosen Firmen, die falsch zertifiziertes Holz unter der Hand verkaufen – es ist der staatliche Forstbetrieb Lasy Państwowe, der die eigenen Naturschutzgesetze ignoriert und geschützte Bäume abholzt, um sie an lokale Produzenten zu verkaufen. Diese wiederum stellen in großem Stil Möbel für IKEA her. Polens Staatsforst war es, der IKEA überhaupt erst groß gemacht hat: In den 1950ern kaufte IKEA-Gründer Ingvar Kamprad bei der kommunistischen Führung in Polen sein Holz billig ein, um Möbel für die westlichen Konsumenten zu produzieren. „IKEA wurde in Polen geboren“, sagt der Schwede Kamprad selbst. Das beliebte Billy-Regal wurde zeitweise von politischen Gefangenen in der DDR aus polnischem Holz gefertigt.
Alle zwei Sekunden fällt auf der Welt ein Baum, um zur Spanplatte gepresst, mit Lack ummantelt und anschließend durch die halbe Welt ins Lager eines blaugelben Möbelhauses verschickt zu werden. Polen und Rumänien sind die Schauplätze in Europa, aber auch in Brasilien und Neuseeland ist IKEA aktiv. „Früher kauften wir einen Anzug für zwanzig Jahre, heute kaufen wir zwei Anzüge pro Jahr“, sagte Ingvar Kamprad im Jahr 1969. „Ich glaube, mit Möbeln wird es in Zukunft ähnlich sein.“ Wenn IKEA allerdings seine Nachhaltigkeitstipps ernst nimmt, dann sollte es den Konsum nicht weiter ankurbeln. Ihr Ingolf-Stuhl ist aus Massivholz. Auf dem werden Sie auch in 20 Jahren noch gut sitzen können.
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Der „Welt“ Artikel „Dunkle Nazi-Vergangenheit des reichsten Schweden“ von Herrn Dietrich ALEXANDER vom 25. August 2011 endet folgendermaßen: „(…) Der schwedische Komiker Magnus BETNER sagte einmal: Ein Problem Schwedens im Ausland ist, daß jeder denkt, wir alle sind so wie ‚Abba‘ und ‚Ikea‘. Wir sind eine Nation wunderbarer Menschen, die fröhliche Lieder in ihren stylisch-modernen Appartements singen. Aber so sehen wir uns selber nicht. Wir haben eine sehr, sehr dunkle Seite, und ich denke, dass wir gerade damit angefangen haben, sie zu entdecken.“
MfG
Robert Hottua