Zocken in Cafés / Im Bann der Automaten: Wie die Spielsucht Leben zerstört
Joaquim Dos Santos Fernandes ist spielsüchtig. Er kann sich nicht von den Glücksspielautomaten, die in den Cafés stehen, losreißen. Eigentlich dürften dort nur die Maschinen der Loterie Nationale stehen – trotzdem sind in den Luxemburger Bistros etwa 2.500 illegale Spielsäulen zu finden. Die Regierung setzt das Verbot nicht durch.
Joaquim Dos Santos Fernandes ist außer Atem vom vielen Reden – er nimmt einen Schluck Wasser und spricht röchelnd weiter. Seine Lebensgeschichte ist geprägt von Schicksalsschlägen: verstorbene Verwandte, Kehlkopfkrebs, Operationen am Rücken. Er erzählt von vergangenen Drogenproblemen – und einer Spielsucht, von der er sich nicht befreien kann. „Sie dominiert mein Leben und hat mich komplett aus meinem sozialen Umfeld entfernt. Es gibt nur noch Spielen“, erklärt Dos Santos.
Seit seiner Krebserkrankung vor acht Jahren kämpft Dos Santos nun schon mit seiner Sucht, die ihn bisher etwa 60.000 Euro gekostet hat. „Wenn ich spiele, stehe ich unter Spannung. Ich hoffe, mit meinen letzten 200 Euro etwas zu gewinnen und so meine Schulden begleichen zu können – schlussendlich habe ich mich dann wieder mehr verschuldet“, sagt Dos Santos. Er schuldet nicht nur der Gemeinde Geld, sondern auch Freunden und Familie. Das Verhältnis mit diesen Menschen beschreibt er als „schlecht“.
„Gott sei Dank habe ich noch ein Dach über dem Kopf“, sagt Dos Santos. Die Wohnung stehe allerdings fast leer: Während einer Panikattacke hat er laut eigenen Aussagen sämtliche Möbel weggeschmissen. Er schlafe momentan – trotz Schrauben in der Wirbelsäule – auf einem Sofa. Zurzeit bezieht er „Revenu pour personnes gravement handicapées“, doch wenn das Geld Anfang des Monats auf sein Konto überwiesen werde, denke er zuerst an die Spielautomaten. „Ich schreibe mir dann auf, was ich noch kaufen muss, aber manchmal kommt es dann nicht dazu. Am ersten Café oder Supermarkt, an dem ich vorbeigehe, verspiele ich dann sofort mein Geld“, sagt Dos Santos.
Und genau dort liege das Hauptproblem: Dos Santos spielt ausschließlich an den digitalen Glücksspielautomaten in Cafés und anderen öffentlichen Orten. In einem Casino war er seit 2017 nicht mehr. Damals ließ er sich freiwillig den Zutritt in allen europäischen Casinos verbieten. Die Luxemburger Beratungsstelle „Ausgespillt“ half ihm dabei.
Wenn Spielsucht das Leben verdrängt
„Ausgespillt“ ist seit 2022 Teil des „Zenter fir exzessiivt Verhalen a Verhalenssucht“ (ZEV). Die Organisation spezialisiert sich auf Verhaltenssüchte wie Glücksspiel-, Medien-, Porno-, Kauf- und Arbeitssucht. Die Beratungsstelle wird zum Teil vom Gesundheits- und Bildungsministerium finanziert, sammelt allerdings auch Spenden. Hamadou Zarmakoye arbeitet als Psychologe und Psychotherapeut beim ZEV und weiß, dass die Situation von Joaquim Dos Santos Fernandes kein Einzelfall ist. „Wenn man keine finanziellen Ressourcen mehr hat, fängt man an, soziale Ressourcen zu verbrauchen – also Geld von Partnern, Familie, Freunde usw. zu leihen“, sagt Zarmakoye. Dadurch würden Familien und Partnerbeziehungen oft kaputtgehen. „Wenn der Betroffene süchtig ist, geht es nur ums Spielen. Man ist mit den Gedanken immer nur bei der Frage: ‚Wo komme ich an Geld?’“, erklärt der 51-Jährige.
Spielsucht könne auch gesundheitliche Folgen haben. Der Körper produziere zu viele Stresshormone, was dazu führen könne, dass man krank oder depressiv wird. Zarmakoye habe regelmäßig verzweifelte Menschen vor sich sitzen – manche hätten schon aufgegeben und würden von Suizid reden. „Ihr Umfeld sagt ihnen dann: ‚Stell dich nicht so an, wenn du es wirklich willst, kannst du aufhören.’ Aber das ist zu kurz gedacht“, sagt Zarmakoye. Eine spielsüchtige Person habe keine Kontrolle mehr über ihr Suchtverhalten. Die Motivation, aufzuhören, reiche nicht mehr aus. An den nötigen Fähigkeiten müsse gearbeitet werden. „Und das ist das, was wir hier tun“, erklärt der ZEV-Psychologe.
Das Problem der Glücksspielsucht sei in Luxemburg ziemlich groß – und das hauptsächlich aus einem Grund: In Luxemburg stehen unzählige Automaten in den Cafés. Natürlich gebe es auch andere Probleme, aber: „Die Tatsache, dass man in ein Café geht, um Leute zu treffen und da mit Spielautomaten konfrontiert wird, ist ein Skandal“, betont Zarmakoye. Er habe Kunden, die jeden Tag – manchmal sogar vor und nach der Arbeit – ihr Stammcafé besuchen würden. „Man kann ihnen nicht sagen, dass sie nicht in die Cafés gehen sollen. Das wäre, als würde man ihnen sagen, sie sollen ihre sozialen Kontakte aufgeben“, erklärt der Psychotherapeut.
In Frankreich seien die Maschinen beispielsweise nicht in Cafés erlaubt. Es gehe nicht darum, sie komplett zu verbieten, das sei ohnehin nicht möglich. Aber: „Solange es diese Automaten in den Bistros gibt, werden Menschen bewusst und gezielt gefährdet“, sagt Zarmakoye. Vielmehr müsse es so geregelt werden, dass die Glücksspielautomaten nur in festgelegten Spielhallen erlaubt seien. Fakt sei: Der Spieldruck verschwinde nach einer Weile, wenn die betroffene Person sicher ist, dass sie keine Möglichkeit hat, zu spielen.
Die Maschinen sind eigentlich verboten
Dos Santos ist ebenfalls der Meinung, dass die Automaten nur noch in Spielhallen zugelassen sein dürften. „Dann kann ich dorthin gehen und ihnen sagen, sie sollen mich nicht mehr hineinlassen. Und dann kann ich auch wieder mit jemandem einen Kaffee trinken gehen, ohne dass ich den Automaten vor mir stehen habe“, sagt Dos Santos. Mittlerweile sei es fast nicht mehr möglich, diesen Maschinen aus dem Weg zu gehen.
Online-Glücksspiele
Glücksspiele sind auch im Internet eine Gefahr. Laut Léon Losch, Direktor der Loterie Nationale, gibt es in Luxemburg mehr als 200 .com-Anbieter, die Glücksspiele anbieten. Das Thema würde allerdings den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Dabei gilt in Luxemburg laut Glücksspielgesetz von 1977 bereits ein generelles Verbot von Glücksspielautomaten. „Alles, was nicht explizit erlaubt ist, ist verboten“, antwortet das Justizministerium auf eine entsprechende Anfrage des Tageblatt. „Deswegen gilt es, die illegale Glücksspiele in den Cafés effizienter zu bekämpfen“, schreibt das Ministerium weiter. Zurzeit werde ein Projekt ausgearbeitet, das den legalen Rahmen – also das Glücksspielgesetz von 1977 – in diesem Sinne ändere. Es sei außerdem angedacht, die Akteure im Kampf gegen die Spielsucht zu stärken. „Da dieses Projekt zu diesem Zeitpunkt noch ausgearbeitet wird, können wir keine weiteren Details mitteilen“, so die Antwort des Justizministeriums.
Im abgeänderten Glücksspielgesetz steht außerdem, dass die Lotterien der Loterie Nationale vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen sind. Heißt: Nur die Maschinen der Loterie Nationale, die „Videolot“ heißen, sind in Luxemburg zugelassen. Dos Santos spielt seit ihrer Einführung im Jahr 2021 ausschließlich an den „Videolot“-Automaten. Immerhin gehe das Geld dann an einen guten Zweck, so das Argument. Doch auch an diesen Maschinen kann man viel Geld verlieren. So habe er an einer „Videolot“-Säule schon einmal innerhalb von zwei Stunden 3.000 Euro verloren.
„Wildwuchs von Glücksspielautomaten“
Der Gesamtumsatz der rund 430 „Videolot“-Maschinen in Luxemburg betrug vergangenes Jahr 36,8 Millionen Euro, bei einem Bruttospielertrag von 10,4 Millionen Euro. „Dieses neue Produkt trägt also erheblich zur Steigerung des Gesamtumsatzes der Loterie Nationale im Jahr 2022 bei“, schreibt das Unternehmen in seiner Jahresbilanz 2022. Und: 16 Prozent der Bruttoeinnahmen waren vergangenes Jahr auf die Glücksspielautomaten zurückzuführen. Die Loterie Nationale ist allerdings keine kommerzielle Firma und gehört der „Œuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte“, die wiederum unter der Aufsicht des Staatsministeriums steht. Der Gewinn des Unternehmens wird ausschließlich zur Unterstützung von Hilfsorganisationen und sozialen Projekten genutzt. Dazu gehört auch die „Anonym Glécksspiller asbl.“, die für die Beratungsstelle ZEV zuständig ist.
Doch warum betreibt ein Unternehmen, das Beratungsstellen für Spielsüchtige finanziell unterstützt, überhaupt Spielautomaten? „Das Land steht voll von illegalen Maschinen. Wir stellen die legalen und sauberen Automaten auf, um eine gewisse Art des Spielerschutzes zu haben. Wenn sie schon spielen, dann hoffentlich mit uns“, sagt Léon Losch, Direktor der Loterie Nationale, im Gespräch mit dem Tageblatt. Einen „Wildwuchs von Glücksspielautomaten“ nennt er die Situation in Luxemburg. Momentan würden 480 „Videolot“-Säulen auf 180 Plätzen im Land stehen. Gleichzeitig seien mehr als 2.500 der illegalen Spielautomaten im Großherzogtum zu finden. „Über 20 ‚Firmen’ verdienen eine Unmasse an schwarzem Geld damit und ihnen ist die Spielsucht ganz egal!“, betont Losch.
Das Problem bei den illegalen Spielautomaten ist, dass die Cafetiers selbst die Gewinnchancen festlegen können. Wenn eine Maschine also an einem Tag viel ausgezahlt hat, dann stellt der Café-Besitzer die Maschine so ein, dass die Gewinnchancen geringer sind und er wieder mehr Geld in die Kasse bekommt. Dos Santos hat beispielsweise den Verdacht, dass die Maschinen am Anfang des Monats, wenn die Gehälter überwiesen werden, weniger ausbezahlen.
Bei den „Videolot“ gehen laut Losch immer zwischen 85 und 90 pro 100 einbezahlten Euro zurück an den Spieler. Zum Vergleich: Bei Euromillion kommen im Durchschnitt 100 Euro rein und 50 Euro davon werden an die Spieler ausbezahlt. Die „Videolot“-Maschinen sind alle ans Internet angeschlossen, um sicherzugehen, dass nicht an den Gewinnchancen gewerkelt wird. „Sie hängen an einem Zentralsystem, und dort wird zentral für jedes Spiel eine Ziehung gemacht“, schreibt das Staatsministerium auf Tageblatt-Nachfrage. Regelmäßige technische Kontrollen würden dafür sorgen, dass die Terminals korrekt funktionieren.
„Keine systematischen Kontrollen“
Die Barbesitzer bekommen einen Teil des Profits der Maschine. Laut Losch seien das bei den illegalen Automaten 50 bis 60 Prozent. Bei den „Videolot“-Maschinen würde die Kommission hingegen nur maximal 30 Prozent betragen. Deswegen müsste die Loterie Nationale auch „sehr viel Überzeugungsarbeit“ leisten, um die Café-Betreiber von „Videolot“ zu überzeugen. „Die Besitzer sagen uns dann: ‚Wenn ich eine Maschine von euch hier stehen habe, dann verdiene ich zehn Euro und bei der anderen Maschine sind es 50’“, sagt Losch.
Dabei existiere das Problem der illegalen Glücksspielautomaten nicht erst seit Kurzem. „Wir beobachten die Situation schon seit 2003 – und seitdem hat sie sich nicht verbessert“, sagt Losch. Obwohl das Problem also bekannt ist, scheint nichts dagegen unternommen zu werden. Das Staatsministerium antwortet dem Tageblatt: „Es werden keine systematischen Kontrollen gemacht, aber die Staatsanwaltschaft kann bei Verdachtsfällen Kontrollen anordnen.“ Laut einer parlamentarischen Antwort von Justizministerin Sam Tanson vom vergangenen Februar gab es zwischen 2009 und 2018 neun Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Glücksspielgesetz.
Léon Losch ist der Meinung, dass die illegalen Automaten zuerst „weg“ müssen, bevor die Loterie Nationale weitere Schritte in Richtung Spielerschutz nehmen kann. Ein Rückzug aus den Cafés sei momentan jedenfalls keine Option. „Wenn wir sagen würden, wir sind heilig und schauen weg, dann lassen wir den Spieler in den Händen der illegalen Automaten. Wir haben es jetzt wenigstens fertiggebracht, dagegenzuhalten – wir nehmen ihnen Einnahmen weg“, sagt der Direktor der Nationallotterie.
Neue Strategie ist einsatzbereit
Sollte das bestehende Verbot einmal vollzogen werden, habe die Loterie bereits eine einsatzbereite Strategie. „Wenn man dann bei uns spielt, muss man sich ausweisen und registrieren“, sagt Losch. Dadurch sei es möglich, den Zugriff auf die Glücksspiele zu limitieren. Spielsüchtige könnten sich dann sperren lassen, so wie das auch schon bei Casinos funktioniert. Und: Minderjährigen sei das Zocken an den Glücksspielautomaten nicht mehr möglich.
Obwohl auf den „Videolot“-Maschinen jetzt schon steht, dass man mit unter 18 Jahren nicht spielen darf, sehe Joaquim Dos Santos Fernandes regelmäßig Jugendliche, die an den Automaten sitzen. „Und das ist den Café-Besitzern egal“, sagt Dos Santos. Die Loterie Nationale hat laut Losch 14 Angestellte, die durch Luxemburg fahren. „Wir sehen viel und können dort agieren. Ich kann nicht garantieren, dass auf unseren Maschinen nicht manchmal auch Minderjährige spielen, aber das ist absolut nicht die Norm“, sagt Losch.
Der Direktor der Loterie Nationale denkt jedenfalls, dass sich hinsichtlich Glücksspielgesetz in den nächsten Jahren etwas tun wird. Falls die Regierung entscheiden würde, Richtung Spielhallen zu gehen, könne man „durchaus darüber diskutieren, ob man in Cafés sein muss oder vielleicht nur in den Spielhallen“, sagt Losch. „Warum nicht, das ist eine Option.“
Für Dos Santos wäre das auf jeden Fall eine gute Nachricht. Er will sein Leben wieder in den Griff bekommen. „2018 war ich Pförtner an der Universität Luxemburg – da habe ich angefangen, mein Leben wieder unter Kontrolle zu bekommen“, erzählt Dos Santos. Ein Jahr später wurde ihm und 13 weiteren Angestellten allerdings gekündigt. Und dann kam die Pandemie. „Da ging es los mit den Panikattacken“, sagt Dos Santos. Trotzdem: Die Cafés waren während der Pandemie alle zu, also hatte er am 15. des Monats noch Geld auf dem Konto. „Als die Cafés 2021 dann allerdings wieder aufmachten, ist meine Sucht komplett aus dem Ruder gelaufen.“
„Zenter fir exzessiivt Verhalen a Verhalenssucht“ (ZEV)
Sollten Sie an Spielsucht leiden, können Sie sich bei der ZEV melden. Alle Beratungsangebote sind kostenlos und können auch anonym genutzt werden. Mehr Informationen finden Sie auf zev.lu oder über folgende Telefonnummer: +352 621 835 968.
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Man MUSS ja nicht in Wirtshäuser gehen oder Casinos, wenn man es nicht verträgt, dann bleibt man weg.
200 Psychiater haben wir im Land und niemals war es um uns so schlecht bestellt. Da stimmt doch was nicht.Es ist wie mit den Ernährungsexperten.Auf jedem Baum sitzt einer und wir werden täglich fetter. Vielleicht müssen wir lernen uns selbst zu helfen.Schicksalsschläge hat es immer schon gegeben.Da muss man durch. Den Betreibern der Drogen geht es blendend und der Staat verdient mit.