Der Talent-Magnet / Im Ringen um Arbeitskräfte in der Großregion gewinnt meist Luxemburg – noch
Alle suchen sie, keiner hat genug davon: Fachkräfte. Luxemburg fördert „Talent Attraction“, um sein Wirtschaftswachstum abzusichern, und holt diese Talente oft aus dem Ausland. Doch auch die Nachbarn brauchen qualifizierte Arbeitskräfte.
Das wichtigste Gesetz des Jahres ist verabschiedet, aber die Themen der parlamentarischen Haushaltsdebatte aus der vergangenen Woche sind deshalb noch lange nicht vom Tisch. Neben vielen anderen ist auch „Talent Attraction“ eines dieser Stichwörter, die ins neue Jahr hinüberhallen werden. Politiker verschiedener Couleur haben in ihren Reden dieses Thema einmal mehr angeschnitten: Fachkräfte. Oder besser: der Mangel daran. Keiner hat genug. Alle brauchen sie. Und ganz besonders Luxemburg.
Das Großherzogtum kann schon lange seinen Bedarf an Fachkräften nicht mehr aus sich selbst heraus bedienen. Der hiesige Arbeitsmarkt ist auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Nur so kann die Wirtschaft weiter wachsen. Budgetberichterstatterin Corinne Cahen hat in ihrer Rede vergangene Woche den Schwerpunkt auf Künstliche Intelligenz gelegt. Luxemburg dürfe diese Entwicklung nicht verpassen, so die DP-Politikerin. Stattdessen müsse man „mithalten, mitentscheiden, mitinvestieren“. Das Großherzogtum solle zur Speerspitze des Fortschritts werden, ein „first mover“. Dafür braucht es hochqualifizierte Fachkräfte.
Luxemburg ist damit nicht allein. Fachkräftemangel ist ein dringliches Problem in der gesamten Großregion. Im Dezember hat die Interregionale Arbeitsmarktbeobachtungsstelle (IBA OIE) einen Bericht veröffentlicht, in dem sie die unterschiedlichen Fachkräftestrategien der einzelnen Teilregionen der Großregion analysiert und vergleicht. Von der Wallonie und Ostbelgien über Luxemburg und Grand Est bis nach Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Dem Großherzogtum kommt dabei eine besondere Rolle zu: „Es ist sowohl die Region mit dem größten Anteil an erwerbsfähiger Bevölkerung als auch mit dem größten Arbeitsplatzangebot – Tendenz steigend“, schreiben die Autoren der Studie.
Nachbarn als Konkurrenten
Luxemburg tut viel, um Arbeitskräfte anzuwerben bzw. Fachkräfte auszubilden. Es gibt einen interministeriellen Aktionsplan, die „Talent Attraction Strategy“. Projekte wie die „Maison d’orientation“ oder das Programm „Skills Plang“ der Arbeitsagentur (ADEM) fokussieren sich auf die Weiterbildung vor Ort. Anscheinend mit Erfolg: Im Jahr 2023 landete das Großherzogtum zum dritten Mal in Folge auf Platz eins des „Global Talent Competitiveness Index“, wenn es darum geht, Talente aus dem Ausland anzuziehen.
Es gibt Politiker, die dafür plädieren, die Debatte nicht zu eindimensional zu führen. Zu ihnen gehört Marc Spautz. Dem CSV-Mann ist es wichtig, das Thema Fachkräfte auch jenseits der hochqualifizierten Jobs im Finanzwesen und in der Tech-Branche zu betrachten. Auf Handwerker und Pflegekräfte sei Luxemburg genauso angewiesen, so Spautz. Im Januar möchte er deshalb in einer Interpellation im Parlament eine Debatte über „Talent Attraction“ im Gesundheitsbereich anstoßen. Dort zeigt sich Luxemburgs Abhängigkeit von ausländischen Fachkräften am deutlichsten. Woher die zukünftigen Pflegekräfte nehmen? „Wir grasen die Großregion ab, aber wir sind auch an einem Endpunkt angekommen“, sagt Spautz. Pflegekräfte werden überall gesucht, auch in Deutschland und Frankreich. Und wenn Fachkräfte Mangelware sind, werden aus Nachbarn schnell Konkurrenten.
Luxemburgs Arbeitsmarkt ist der große Magnet der Großregion. Das belegen täglich die vielen Grenzgänger auf den Straßen, die aus Belgien, Frankreich und Deutschland ins Land führen. Doch wenn der eine die Fachkräfte anzieht, fehlen sie beim anderen. Der Arbeitsmarkt der Großregion, er kann sich zuweilen selbst kannibalisieren. Um das zu verhindern, bräuchte es eine gemeinsame Arbeitsmarktstrategie. Doch dazu fehlt aktuell der politische Wille, stellt die Analyse der IBA fest. Die von der Beobachtungsstelle befragten Experten kritisieren, dass die Fachkräftethematik noch immer von jedem Staat individuell betrachtet und die strategische Ausrichtung regional getroffen wird. Protektionismus statt Kooperation.
Sinkt Luxemburgs Attraktivität?
Aus luxemburgischer Perspektive könnte man sich nun entspannt zurücklehnen. Schließlich sitzt man am Zielpunkt der Pendelströme. Doch das muss nicht immer so bleiben. Erste Veränderungen deuten sich an. Man muss nur einen Blick in den aktuellen Statec-Konjunkturbericht werfen. Im September fiel die jährliche Steigerungsrate der Grenzgängerzahl zum ersten Mal seit Jahren unter die der ortsansässigen Beschäftigung. Seit Ende 2023 ist sowohl die Zahl der deutschen als auch der belgischen Pendler rückläufig. Besonders ausgeprägt sei der Grenzgängerschwund im Finanzsektor und in technischen bzw. wissenschaftlichen Berufen, so die Statistiker. Das könnte laut Statec auf strukturelle Probleme hinweisen – und eine sinkende Attraktivität Luxemburgs als Arbeitsort.
Ein Grund könnten die seit der Pandemie besseren Möglichkeiten zur Telearbeit in den Heimatländern möglicher Grenzgänger sein. In Metz wohnen und in Paris arbeiten, das ist heute oft einfacher als noch vor fünf Jahren. Wer hingegen in Metz oder Merzig wohnt und in Luxemburg arbeitet, muss – wenn er mehr als 34 Tage im Jahr von zu Hause aus arbeitet – auch Steuern in seinem Heimatland zahlen. Und: Von Grenzkontrollen ausgelöste Staus helfen der Attraktivität Luxemburgs auch kein bisschen.
Schon 2021 hat die luxemburgische Regierung die OECD mit einer Studie beauftragt, die sich auch dem Thema „Talent Attraction“ widmet. Eines ihrer Ergebnisse: Der Zugang zum luxemburgischen Arbeitsmarkt muss für Grenzgänger erleichtert werden. Es brauche einen besseren grenzüberschreitenden Transport, Co-Working-Spaces in Grenznähe, und mehr Möglichkeiten für Telearbeit. Zumindest die Co-Working-Spaces sind in Planung. Ein ganz grundsätzliches Problem lösen aber auch sie nicht.
Gemeinsame Wege
Was, wenn man im Ringen um Fachkräfte in der Großregion nicht gegeneinander arbeiten würde, sondern zusammen? Nicht um Arbeitsplätze innerhalb der Großregion konkurrieren, sondern als Großregion Arbeitskräfte anziehen? Die IBA plädiert für ein gemeinsames Standort-Marketing. „Das Hervorheben der Vielfalt des Raumes, der Mehrsprachigkeit oder auch seine Multikulturalität könnte so intensiviert werden“, schreiben die Autoren der Arbeitsmarktbeobachtungsstelle. Auch die OECD empfiehlt mehr Zusammenarbeit und den Aufbau von Synergien wie eine Austauschplattform für Kompetenzdaten in der Großregion. Kooperation statt Konkurrenz.
Politisch waren solche gemeinsamen Wege schon einmal mehr en vogue als heute. Marc Spautz erinnert sich an ein gemeinsames Ausbildungsprogramm, ausgearbeitet von der luxemburgischen „Chambre des métiers“ und der Handwerkskammer Trier – für Fahrradmechaniker. „Keiner hatte allein für sich genug Schüler, um eine Klasse in der Berufsschule zu füllen“, so der CSV-Politiker. Also habe man sich zusammengerauft. Doch dieser Fall blieb eine Ausnahme. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit scheitert oft an unterschiedlichen Standards, Anforderungen und Zuständigkeiten. Spautz war früher Mitglied des interregionalen Gewerkschaftsrates. „Da haben wir schon vor 30 Jahren darüber gesprochen, dass wir es fertigbringen müssen, in Saarbrücken, Trier, Luxemburg, Metz und Arlon gemeinsame Wege gehen zu können.“
Stattdessen sind die Wege länger geworden. Auch wegen der Unterschiede zwischen zentralistischen und föderalen Staatsformen. „Früher mussten wir nach Nancy gehen“, sagt Spautz, „jetzt, im Grand Est, müssen wir bis nach Straßburg.“ Spautz ist Anhänger eines „Europa der Regionen“. Doch diese Idee ist in der zunehmend nationalistischer werdenden Stimmung der vergangenen Jahre immer mehr aus der Mode gekommen. Der CSV-Politiker vermisst die Bereitschaft, jenseits des eigenen Vorteils zu denken. Austausch statt Alleingang. Dann könnte man solche Sätze wie diesen von Marc Spautz wieder öfter hören: „Wir brauchen den Handwerker, der deutsche Betrieb braucht vielleicht den Buchhalter. Warum machen wir kein Joint Venture?“
- Olympia, elf Sekunden und eine historische Chance - 31. Dezember 2024.
- Diese nationalen Größen haben uns 2024 verlassen - 31. Dezember 2024.
- Olga de Amaral à la Fondation Cartier - 31. Dezember 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos