E Bléck duerch d’Lëns / Im Visier des Nationalsozialismus – Menschen mit körperlichen oder geistigen Gebrechen
Der Umgang mit Menschen mit körperlichen oder geistigen Gebrechen im besetzten Luxemburg zählt zu den unbeachteten Schicksalen der NS-Zeit. Das Escher Resistenzmuseum hat sich im Rahmen der Ausstellung „Vergessene Opfer des NS-Regimes in Luxemburg“ mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte auseinandergesetzt.
Mit dem Ziel, den deutschen „Volkskörper“ von Erbkrankheiten zu „säubern“, wurde am 14. Juli 1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet. Dieses erlaubte es dem NS-Regime, ca. 400.000 als „erbkrank“ klassifizierte Personen und Alkoholiker zwangssterilisieren zu lassen sowie im Rahmen der „Aktion T4“ fast 70.000 Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen zu ermorden. Diese Tötungen durch Gas oder Gift wurden 1941 nach Protesten offiziell eingestellt, die Ermordungen wurden jedoch viel diskreter bis 1945 fortgesetzt. Der sogenannten „wilden Euthanasie“ fielen ca. 200.000 Menschen mit Behinderungen zu Opfer. Dabei wurden die Betroffenen entweder verhungern oder an Krankheiten sterben gelassen.
Lange Zeit wurde ignoriert, welche Auswirkungen diese Bestrebungen auf das luxemburgische Gesundheitssystem und die davon betroffenen Menschen hatten.
Optimierung der „deutschen Volksgemeinschaft“
Ab August 1940 begann Gauleiter Gustav Simon, das bestehende Gesundheitssystem in Luxemburg nach deutschem Vorbild umzustrukturieren.
Die Nationalsozialisten waren der Ansicht, dass die Wahrung der körperlichen und geistigen Gesundheit keine individuelle Angelegenheit, sondern ein kollektives Anliegen von größter Bedeutung sei. Das NS-Regime versuchte daher, das Gesundheitswesen zu kontrollieren. In jedem Kreis wurden staatliche Gesundheitsämter geschaffen, die u.a. für die Verhinderung von Epidemien und im Sinne der „Erb- und Rassenpflege“ für die Verbesserung der körperlichen Verfassung der „Volksgemeinschaft“ zuständig waren. Damit sollte qualitativ „hochwertiger“ Nachwuchs ermöglicht werden.
Am 1. Februar 1941 wurden die im Deutschen Reich geltenden Ehegesetze in Luxemburg eingeführt. Ab diesem Zeitpunkt mussten Heiratswillige vor der Eheschließung ein Ehetauglichkeitszeugnis von den Gesundheitsbehörden erhalten. Damit wurde auch eine Scheidung u.a. im Falle von geistigen oder körperlichen Erkrankungen vereinfacht. Über die Presse wurden Luxemburger sensibilisiert, wie man den „richtigen“, für den Fortbestand der „Volksgemeinschaft“ passenden Partner findet. Bei Aufklärungsabenden wurde über die Notwendigkeit von Zwangssterilisationen informiert.
Eine Politik der Massensterilisierungen oder gar der systematischen Ermordung von Menschen mit Behinderungen in Luxemburg, z.B. im Rahmen der „Aktion T4“, konnte bislang nicht nachgewiesen werden.
Die Ermordung von Hilde Tuteur und Jeanne Baustert
Die Einzelschicksale von Hilde Tuteur und Jeanne Baustert zeigen jedoch, dass letzten Endes auch Luxemburger oder im Land ansässige Personen unter den Opfern dieser Vernichtungspolitik waren.
Hilde Tuteur litt an einer psychischen Erkrankung und wurde 1935, nach ihrer Flucht aus Deutschland, von ihrem Vater in die „Heilanstalt“ in Ettelbrück eingewiesen. Es war nicht ihr erster Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Bereits die Jahre zuvor war Hilde in mehreren deutschen „Heilanstalten“ in Behandlung gewesen. Ettelbrück sollte jedoch die letzte Station vor ihrer Deportation in den Osten werden. Als Jüdin wurde sie, zusammen mit vier anderen jüdischen Patienten, am 28. Juli 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Einen Monat später wurde Hilde im Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet.
Ihr Schicksal ist ein Fall von Intersektionalität. Das bedeutet, dass Personen gleichzeitig mehreren Formen von Unterdrückung oder Diskriminierung ausgesetzt sein können. Hilde wurde somit als Jüdin, aber auch als Mensch mit einer geistigen Behinderung verfolgt.
Die Luxemburgerin Jeanne Baustert hingegen wurde ein Opfer der sogenannten „wilden Euthanasie“. Aufgrund ihrer Schizophrenie war sie ihr gesamtes Erwachsenenleben in verschiedenen deutschen „Heil- und Pflegeanstalten“ in Behandlung gewesen, darunter auch in Neuss und in Regensburg. Im Februar 1945 wurde Jeanne in die „Landesheil- und Pflegeanstalt“ in Pfafferrode transferiert, wo man ihr immer weniger zu essen gab. Jeanne starb kurz nach dem Ende des Krieges, am 8. Juni 1945, an den Folgen der Unterernährung.
Eine hohe Sterblichkeit
Von den 13 jüdischen Patienten der „Heilanstalt“ in Ettelbrück (Stand 1942) wurden die meisten, darunter auch Hilde Tuteur, in den Osten deportiert und später ermordet.
Die restlichen ca. 700 Patienten waren einer hohen Sterblichkeitsrate ausgesetzt. So starben pro Jahr zwischen 11,2 und 13,4% der Patienten in Ettelbrück u.a. aufgrund von Tuberkulose oder durch Unterernährung, obwohl zwischen 1940 und 1944 keine Lebensmittelknappheit in Luxemburg nachgewiesen wurde.
Abgesehen von einigen Beispielen ist die Zahl der im Ausland infolge von Krankheit oder Verwahrlosung ermordeten Luxemburger Patienten bislang noch unbekannt. Eine Gesamteinschätzung der Opferzahlen für Luxemburg ist insofern nicht möglich. Erste Forschungsansätze wird der Historiker Vincent Artuso jedoch in Kürze liefern.
Die Serie
In der Rubrik „E Bléck duerch d’Lëns“ liefern die Historiker*innen André Marques, Julie Depotter und Jérôme Courtoy einen facettenreichen Blick auf verschiedene zeitgeschichtliche Themen.
Ausstellungen und Begleitmaterial
Die Ausstellung „Vergessene Opfer des NS-Regimes in Luxemburg“ ist noch bis zum 22. Dezember 2024 im „Musée national de la résistance et des droits humains“ in Esch zu sehen. Die Ausstellung wird von einem pädagogischen Ausstellungskatalog begleitet. Am 24. September findet um 19.30 Uhr im Museum der Vortrag „Prévenir au lieu de guérir“ von Vincent Artuso in französischer Sprache statt. Am Beispiel des besetzten Luxemburg erzählt der Historiker, wie die Medizin zum Spielball bei der Umsetzung einer deutschen „Herrenrasse“ wurde.
- Es weihnachtet sehr: „Winterlights“ haben offiziell eröffnet - 22. November 2024.
- Die Kanzlerpartei klatscht, die Kanzlerpartei zweifelt - 22. November 2024.
- 7. Spieltag der Audi League: Reckingen fordert den Titelverteidiger heraus - 22. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos