/ „I’m waiting for my girlfriend“: Die Drogenszene in der hauptstädtischen Rue de Strasbourg
Nicht neu ist, dass in der Straßburger Straße gedealt wird. Aber die Drogenszene hat sich verändert. Es gibt mittlerweile Dealer, die „näischt bei sech hunn“, wie man im Jargon zu sagen pflegt. Die Anrainer und Geschäftsleute sind aufgebracht. Weil nichts passiere und keiner eine Lösung parat habe.
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Eine erdrückende Hitze breitet sich am frühen Nachmittag in Luxemburg-Stadt aus. Der Verkehr ist wie so oft richtig zäh. Es staut. Ein paar Fahrer hupen bereits und sind völlig genervt. Würde man sich als nicht Ortskundiger mit dem Auto in die Straßburger Straße verirren, würde man sich vielleicht über die Männer wundern, die lässig in Hauseingängen stehen oder über die Bürgersteige schlurfen. Die einen ziehen genüsslich an einer Zigarette, die anderen leeren gerade eine Dose Cola.
Wundern tut sich Patrick Reisdorff (Foto) schon lange nicht mehr. Ganz im Gegenteil. Er hat die Nase gestrichen voll. „Da werden Radfahrer wegen eines harmlosen Vergehens von einer ganzen Reihe Polizisten protokolliert und hier werden einfach die Augen zugemacht. Das kann und will ich nicht nachvollziehen.“
Mit einem geharnischten Post auf Facebook hat Reisdorff seinem Unmut vor einigen Wochen Luft gemacht. Seit fast zwei Jahrzehnten wohnt er bereits mit seiner Familie in der rue de Strasbourg und hat „alle Höhen und Tiefen dieser Straße miterlebt“.
Wut, Enttäuschung und Lebensqualität
„Was sich aber in den letzten Monaten hier abspielt, ist der Gipfel.“ Reisdorff ist enttäuscht und wütend zugleich. „Es geht um Lebensqualität.“ Und darum, dass er und eine Reihe von Anrainern sich daran stören, dass hier auf offener Straße gedealt wird.
Die Geschäfte laufen wie folgt ab: Die Kunden kommen entweder zu Fuß oder per Auto, nehmen Kontakt zu den Männern auf, die ihnen dann mitteilen, wo der Stoff, den sie kaufen, versteckt ist. Zum Beispiel hinter den Reifen von parkenden Autos oder hinter deren Kennzeichen. Oder in Rissen von Häuserwänden. Vielleicht ja auch im Mauerwerk der Drogenberatungsstelle der dortigen Croix-Rouge, wo angeblich selten einer hingeht.
„Sollen sie doch ihre Geschäfte auf Kockelscheuer oder auf ‚Salzhaff‘ machen, aber nicht hier direkt vor unseren Haustüren. Da sind keine Wohnungen, da stört es auch keinen, wenn Autos vorbeifahren“, sagt Reisdorff unmissverständlich.
Er plädiert für „massive polizeiliche Kontrollen“, da die Beamten in seinen Augen zu untätig sind und nicht oft genug in der rue de Strasbourg nach dem Rechten sehen. „Die Fahrer kontrollieren, ihnen klarmachen, dass jeder weiß, was hier eingefädelt wird, dass das, was sie gerade machen, illegal ist und gegebenenfalls Konsequenzen hat, falls sie in flagranti erwischt werden.“
Es gäbe schließlich noch Gesetze und Regeln hierzulande, fügt Reisdorff hinzu. Denn ansonsten bräuchten wir weder Alkoholkontrollen noch Radargeräte. Für ihn wird dieses „Laissez-faire“ ohnehin böse enden. Dessen ist er sich sicher.
„Neighborhood Watch – No Drugs Zone“
Seit kurzem prangt auch ein Plakat mit der Aufschrift „Neighborhood Watch – No Drugs Zone“ im Schaufenster eines leer stehenden Ladens. „Eine Bürgerwehr kann jedenfalls nicht die Lösung sein“, kommentiert Reisdorff. „Wir sind ja hier nicht im Wilden Westen und bei den Cowboys.“
Rückt die Polizei an, suchen die Männer, die in der Regel aus Ghana und Nigeria stammen, rasch das Weite. Anhaben können die Beamten ihnen ohnehin nichts, denn sie haben „näischt bei sech“.
Vergangene Woche hat die Polizei einen von langer Hand geplanten Anti-Drogen-Einsatz durchgeführt, wie lessentiel.lu berichtete (siehe dazu auch unser Interview mit Polizeichef Patrick Even unten). In den ersten drei Monaten dieses Jahres seien 22 Personen, die überwiegend aus Westafrika stammen, festgenommen worden. Frank Stoltz, der Pressesprecher der Polizei, betonte gegenüber lessentiel.lu, dass es insgesamt mehr Kontrollen und Festnahmen als im Vorjahr gegeben habe.
Kontrollen und Festnahmen
Aber die Kontrollen und Festnahmen scheinen wenig Wirkung zu zeigen. Das Katz-und-Maus-Spiel geht ungeachtet dessen weiter. Verschwinden ein paar von den Männern hinter Schloss und Riegel, steht Ersatz schon bereit. Organisation nennt man das.
„Man sieht ständig neue Gesichter. Irgendwie scheinen die sich ihr Revier hier untereinander aufgeteilt zu haben“, sagt Guy Achten (Foto), CEO von „Mastercraft Language Solutions“. Er spricht von einem neuen Phänomen und davon, dass die Polizei zwar oft vorbeikäme, aber der gesamten Situation machtlos gegenüberstehe.
„Die Jungs hier sind nur die ‚guetteurs‘ und bestens untereinander vernetzt, da sie stets am Handy sind. Sobald die Polizei aufkreuzt, wird Alarm geschlagen.“ Und dann? „Entweder suchen sie das Weite oder mimen die Unschuld vom Lande“, so Achten weiter, der sich nichts sehnlicher wünscht, als dass endlich durchgegriffen wird. „So wie damals bei der Prostitution. Nachdem Bürgermeisterin Lydie Polfer Fahrverbot erlassen hatte, war das Problem von einem Monat auf den anderen gelöst.“
Für Achten besteht die Lösung einzig und allein darin, dass ein Platzverweis ausgesprochen wird. Mehr Kameras seien keine Option, da das Problem dadurch wohl nur verlagert werde.
Tagaus, tagein stehen die Männer lässig in Hauseingängen oder schlurfen gemächlich über die Bürgersteige. Die einen ziehen genüsslich an einer Zigarette, die anderen leeren gerade eine Dose Cola. Spricht man die Männer an und fragt sie, was sie denn den ganzen Tag machen, bekommt man die lapidare Standardantwort: „I’m waiting for my girlfriend …“
„Kameras sind kein Allheilmittel“
LUXEMBURG Bürgermeisterin Lydie Polfer
Die hauptstädtische Bürgermeisterin Lydie Polfer betont, dass die Situation nicht neu ist und sie nicht müde wird, die Problematik anzuprangern, eine Lösung aber nicht einfach sei.
Tageblatt: Ist Ihnen die Situation ein Dorn im Auge?
Lydie Polfer: Es kann keiner damit zufrieden sein, wenn im öffentlichen Raum gedealt wird, wenn Menschen auf offener Straße Drogen verkaufen und andere sie wiederum kaufen. Einerseits gibt es dann die, die mit dem Auto kommen, sich Drogen beschaffen und sie anderswo konsumieren, und andererseits die klassischen Drogenabhängigen, die an Ort und Stelle konsumieren und damit die öffentliche Ordnung stören. Ich möchte betonen, dass die Situation nicht neu ist. Periodisch werden von der Polizei sogenannte „opérations coup de poing“, wie noch vor kurzem, durchgeführt. Ich war im Übrigen mehr als einmal vor Ort dabei. Mittlerweile wurde ja auch diese einschlägig bekannte Bar geschlossen. Ihren Betreibern wurde der Prozess gemacht. Aber irgendwie scheint dieser Markt so lukrativ zu sein.
Wie oft melden sich Bürger bei Ihnen, um auf diese missliche Lage hinzuweisen?
Es vergeht kaum eine Woche, in der uns Bürger aus der rue de Strasbourg oder aus der rue Glesener nicht auf diese schwierige Situation aufmerksam machen, die zweifellos inakzeptabel ist. 2012 wurde ein Bürger-Komitee ins Leben gerufen, zusammen mit Anrainern aus dem „Garer Quartier“.
Als ich dann im Dezember 2013 wieder Bürgermeisterin wurde, war mir von Anfang an daran gelegen, diese Initiative konsequent voranzutreiben. Ich erinnere mich an den Spielplatz in der place de Strasbourg, der instand gesetzt und umzäunt wurde. Gebrauchte Spritzen, Drogenutensilien … das waren unzumutbare Zustände. Auch die Beleuchtung in der Nähe der Schule wurde mittlerweile verbessert. Wir haben außerden ein Projekt in der Schublade, um die Straße gemeinsam mit dem Luxemburger Staat völlig neu zu gestalten. Diese Baustelle können wir aber erst angehen, wenn die in der rue de Hollerich fertiggestellt ist.
Was ist mit der Kameraüberwachung?
Das war eines unserer Hauptanliegen, das ja auch umgesetzt wurde. Bei der Bürgerversammlung, bei der dieses Projekt vorgestellt wurde, waren bis auf einige wenige alle Anwesenden dafür.
Ist das auch für Sie die beste Lösung?
Es gibt kein Allheilmittel, bin ich geneigt zu sagen. Aber es ist ein Anfang oder, besser gesagt, ein Schritt nach vorne, der auch der Polizei weitergeholfen hat. Natürlich kann es dadurch zu einer Verlagerung der Szene kommen. Man muss aber der Polizei die Möglichkeit geben, die Szene zu kontrollieren und gegebenenfalls auch einzugreifen. In der rue Glesener ist die Situation ähnlich. Und auch um das „Abrigado“ in der route de Thionville.
Nach Esch wird demnächst eine Einrichtung wie das „Abrigado“ kommen. Begrüßen Sie das?
Und ob. Es ist gut, dass eine zweite solche Einrichtung hierzulande entsteht. Ich bin der Ansicht, dass auch eine im Norden hinzukommen müsste. Dieses Elend ist einfach furchtbar. Wir haben hierzulande so viele Einrichtungen, um Drogenabhängigen zu helfen. Leider ist es so, dass nicht alle diese Hilfe wollen.
Polizeichef Patrick Even: „Passen Taktik ständig an“
Wie sehen die Verantwortlichen der „Police grand-ducale“ die Lage?
Wir haben bei Patrick Even, „directeur régional de la police de la capitale“, nachgehakt.
Tageblatt: Wie oft patrouilliert die Polizei in der rue de Strasbourg?
Patrick Even: Wir haben zwei Kommissariate dort: eines in der rue Glesener und eines am Bahnhof selbst. Daneben hat das Kommissariat in der rue Marie et Pierre Curie an sieben Tagen rund um die Uhr Bereitschaftsdienst. Die Anzahl der Patrouillen ist nicht ausschlaggebend, sondern die Präsenz, die wir vor Ort haben. Und die wird im Rahmen unserer Möglichkeiten im Bahnhofsviertel gewährleistet.
Wie geht die Polizei mit diesem Katz-und-Maus-Spiel um?
Est ist bekannt, das sich die Dealer in Sachen Vorgehensweise stets anpassen. Aus diesem Grund müssen auch wir unsere Taktik ständig anpassen, wobei unsere Beamten im Alltag stets Kontrollen durchführen. Bei der Antidrogen-Aktion vergangene Woche wurden drei Dealer festgenommen und später dem Untersuchungsrichter vorgeführt.
Gibt es auch verdeckte Ermittlungen?
Neben der physischen Präsenz im „Garer Quartier“, die dazu führen kann, dass Dealer in flagranti oder im Rahmen von größeren Kontrollen festgenommen werden, besteht ein Teil der Polizeiarbeit im Kampf gegen die Drogenkriminalität auch uas Ermittlungen, die von der Kriminalpolizei durchgeführt werden. Mehr kann ich dazu aber nicht sagen.
Was wünschen Sie sich als „directeur régional de la police de la capitale“?
Die Polizei allein wird das Drogen- und das Prostitutionsproblem im Bahnhofsviertel nicht lösen. Es ist ein gesellschaftliches Problem, das man nur in den Griff bekommt, wenn alle betroffenen Akteure aus den einzelnen Bereichen gemeinsam nach Lösungen suchen, sowohl auf kommunaler als auch auf nationaler Ebene. Was unsere Zusammenarbeit mit den Gemeindediensten der Stadt Luxemburg betrifft, sind die Kontakte sehr gut und wir versuchen stets gemeinsam Lösungen zu finden.
Ist eine Verlagerung der Szene, beispielsweise auf Kockelscheuer, eine Lösung?
Nein, eine Verlagerung löst das Problem nicht.
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Ist eine Verlagerung der Szene, beispielsweise auf Kockelscheuer, eine Lösung?
Nein, eine Verlagerung löst das Problem nicht.
Secherlech léist dat den Problem vum Drogenkonsum nett an mir sinn ons Därs bewosst, allerdengs géif datt der Wunnqualitéit am Quartier sercherlech profitéieren (an net nemmen an der Stroosbuerger).
Et geht hei drem se aus den Wunnquartier’en erauszekréien (egal op Gare, Bouneweg, Merel oder Hollerech)
Patrick