Corona-Krise / „Immens disziplineiert“: Gewerkschafter resümiert Öffnung der Baustellen in Luxemburg
Die Mitarbeiter der Baubranche waren die Ersten, die nach den durch Corona bedingten Unterbrechungen wieder zurück an ihre Arbeit geschickt wurden. Die Baustellen öffneten noch vor den Schulen. Im Großen und Ganzen sei die Wiedereröffnung glatt gelaufen, berichtet Jean-Luc de Matteis, der bei der Gewerkschaft OGBL für den Bereich „Bau, Bauhandwerk und Metallkonstruktionen“ zuständig ist.
„Als die Baubranche am 18. März geschlossen war uns bereits bewusst, dass wir, wenn wir die Arbeit wieder aufnehmen, eine ganze Reihe an Regeln würden befolgen müssen“, sagt De Matteis gegenüber dem Tageblatt. Von vornherein war klar, dass sich die Tätigkeit der Baubranche verändern würde. Die Mitarbeiter müssen unter anderem Abstand wahren und Masken tragen. Die Gewerkschaft ließ keine Zeit verstreichen. „Wir haben dann sofort damit begonnen, zusammen mit den Personalvertretungen und den Betrieben Pläne aufzustellen“, so De Matteis weiter.
Während des Lockdowns wurden in einer großherzoglichen Verordnung Regeln festgehalten, die für alle Wirtschaftssektoren in Luxemburg Gültigkeit haben und an denen die Gewerkschaft aktiv mitgearbeitet hat. Zusammen mit den zuständigen Behörden und den Arbeitgebern haben die Gewerkschaften zusätzliche Empfehlungen, speziell für die Baubranche, ausgearbeitet. „Auf dieser Grundlage haben die Betriebe zusammen mit den Personalvertretungen Wege gesucht, die Maßnahmen in den Betrieben umzusetzen“, so De Matteis weiter.
Auf Baustellen war das nicht immer einfach. Auf einer Baustelle gibt es keine fixen Arbeitsstellen. Die Mitarbeiter müssen sich permanent über die Baustelle bewegen, mobil sein. Die neuen Regeln gehen weit über Maskenpflicht und das Bereitstellen von Desinfektionsmitteln hinaus. „ Auch die Essgewohnheiten und die Fahrten mussten umorganisiert werden“, beschreibt De Matteis die Tragweite der neuen Regeln. „Der Transport war für uns wichtig. Das Gesetz sieht vor, dass Leute, die zusammen in einem Fahrzeug sind, Masken tragen müssen. Wir haben zusätzlich ausgehandelt, dass zwischen den Leuten ein Platz frei sein muss. Für die Betriebe hat das bedeutet, dass sie mehr Lieferwagen brauchen.“
Kurzfristige Ankündigung
Die gute Vorbereitung sollte den Mitarbeitern und den Betrieben zugutekommen. „Wir wurden von der Nachricht der Regierung über die Wiedereröffnung überrumpelt“, erzählt De Matteis. „Am Mittwochabend haben wir erfahren, dass wir montags wieder anfangen. Wir hatten gute Vorarbeit geleistet, allerdings hatten wir nur sehr wenig Vorlaufzeit, um alles umzusetzen.“ Am Wochenende wurden die Mund- und Nasenmasken verteilt. „Montagmorgens waren wir bereit!“, so De Matteis. Klar sei das Arbeiten mit einer Maske nicht immer einfach, gesteht der Gewerkschafter. Einige Masken erschwerten das Arbeiten. Dennoch: „Die Leute waren zufrieden, dass die Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden.“
Doch nicht alle Mitarbeiter waren froh, wieder an die Arbeit gehen zu sollen. Bei einigen herrschte die Angst vor, sich und ihre Familien anzustecken. „Das ist eine natürliche Reaktion“, findet De Matteis. Vieles über das Virus ist noch nicht bekannt. Im Ausland sind tausende Menschen daran gestorben. „Einige Leute hatten richtig Angst. Bis hin zu Panikattacken.“ Umso wichtiger seien die Vorsichtsmaßnahmen. Die meisten Mitarbeiter, so De Matteis, hätten allerdings aufgeatmet und sich darüber gefreut, dass wieder ein Stück weit Normalität in ihr Leben zurückkehrt. Einen richtigen Widerstand gegen die Öffnung habe es nicht gegeben, berichtet der Gewerkschafter.
„Die Leute am Bau sind sehr diszipliniert“, sagt der er. Die Behörden wollten sich aber nicht nur auf die Disziplin der Arbeitnehmer verlassen. Die Gewerbeinspektion (ITM) führte auf den Baustellen strenge Kontrollen durch. Nicht in jedem Fall zeigte der Daumen der Kontrolleure nach oben, weiß der Gewerkschafter. Wenn die ITM dann Maßnahmen ergriffen hat, sei das ihr gutes Recht: „Die Arbeitgeber hatten lange genug Zeit, sich darauf einzustellen.“
Rechte der Arbeitnehmer
Dass alles so glatt gelaufen sei, sei der Unterstützung der Mitarbeiter und ihrer Personalvertreter zu verdanken, schätzt der Gewerkschafter. Er erinnert an ein in Luxemburg wenig bekanntes Gesetz – das „droit de retraite“. Dieses Gesetz wurde in der großherzoglichen Verordnung noch einmal bekräftigt und besagt, dass ein Arbeitnehmer, der sich in Gefahr befindet, sich aus dem Gefahrenbereich zurückziehen darf. Im Klartext: Wenn der Arbeitgeber die Sicherheitsmaßnahmen nicht respektiert, haben die Arbeitnehmer das Recht, sich zu weigern, den Gefahrenbereich zu betreten.
Beispiel: Ein Arbeiter soll morgens in einen Lieferwagen steigen. Der Lieferwagen ist bereits vollgepackt mit seinen Kollegen und keiner davon trägt eine Maske. Der Arbeitnehmer hat dann das Recht, die Mitfahrt zu verweigern, und kann dafür nicht bestraft werden, erklärt De Matteis.
Keine Ansteckungswelle am Bau
Bevor die Bauarbeiter wieder an die Arbeit mussten, wurden die Mitarbeiter stichprobenartig auf Covid-19 getestet. Das Ergebnis ließ aufhorchen: Bei einer Pressekonferenz am 7. Mai hatte die Corona-Task-Force, bestehend aus Wissenschaftlern unterschiedlicher luxemburgischer Forschungseinrichtungen, berichtet, dass ca. 2 bis 2,3 Prozent der Mitarbeiter die Krankheit haben, ohne Symptome zu zeigen. Auf den gesamten Sektor hochgerechnet wären demnach etwa 1.000 Menschen erkrankt, ohne es zu wissen. Eine Welle von Neuinfektionen am Bau blieb aber offenbar aus. „Wir hatten in der letzten Woche Kontakt mit der Regierung“, so De Matteis. „Dabei haben sie uns gesagt, dass es nicht vermehrt zu Infektionen durch die Öffnung der Baubranche gekommen ist.“ Und weiter: „Hätte man die Maßnahmen im Bausektor nicht getroffen, dann wären vielleicht viele Leute erkrankt.“
Nach dem Bausektor wurden in Luxemburg in einem zweiten Schritt die Schulen wieder teilweise geöffnet. Zuerst durften (bzw. mussten) die Schüler der Abschlussklassen wieder zur Schule, bevor die ganze Sekundarstufe wieder unter strengen Auflagen die Schulgebäude betreten durfte. Am 11. Mai hat schließlich der Einzelhandel seine Türen wieder aufgemacht.
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