Menschenrechte / Immer mehr Unternehmen in Luxemburg unterstützen Forderung nach Lieferkettengesetz
Die Zeit ist reif. Davon ist die „Initiative pour un devoir de vigilance“, die für ein nationales Lieferkettengesetz kämpft, überzeugt. Zehn Jahre ist es jetzt her, dass die Vereinten Nationen Prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet haben. Während viele Länder nach wie vor auf Freiwilligkeit setzen, mehren sich in Luxemburg die Stimmen für ein verpflichtendes Gesetz.
Beispiele zeigen, dass mangelnder Respekt vor Menschenrechten schon vor der Haustür anfängt – von Arbeitsbedingungen in Drittländern ganz zu schweigen. Die 17 Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, die sich in der „Initiative pour un devoir de vigilance“ zusammengetan haben, fordern seit längerem ein nationales Lieferkettengesetz für Luxemburg.
Schwer nachvollziehbare Verträge mit Subunternehmen, Lohndumping und Preise, mit denen seriös arbeitende Firmen nicht mithalten können: Unternehmer Bob Rinnen (40) kennt das zur Genüge. In vielen Lieferketten, die beim Rohstoff anfangen und beim Endprodukt aufhören, werden soziale und ökologische Aspekte vernachlässigt.
Neben einer im Hoch- und Tiefbau tätigen Bauunternehmung betreibt Rinnen in dritter Generation im Norden Luxemburgs einen Steinbruch und eine Transportbetonanlage mit insgesamt rund 300 Mitarbeitern. Er übernimmt die Firma seiner Familie 2008 und erwirtschaftetet durchschnittlich 40 Millionen Euro Jahresumsatz. Naturgemäß kennt er viele Ausschreibungen für neue Gebäude und Straßen.
Im Baugewerbe wird oft nicht regelkonform gearbeitet
Der Wunsch nach Granit ist keine Seltenheit. Er kommt mangels heimischer Produktion aus China oder Portugal. Lokale Produkte, die einen besseren ökologischen Fußabdruck haben, weil sie aus der Nähe kommen, werden oft vernachlässigt. Ökologisch gesehen ist das katastrophal. Andererseits wird der Erdaushub bei Neubauten mangels genügend Bauschuttdeponien im Land ins Ausland gefahren.
Die Vermeidung von CO2-Ausstoß bleibt dabei außen vor – trotz eines umfangreichen gesetzlichen Regelwerkes für den Schutz der Umwelt. „Die Abhängigkeit vom Ausland ist in meiner Branche groß“, sagt Rinnen. Beim Personal geht es weiter. „Alle haben hier heutzutage Schwierigkeiten, gute Leute zu finden.“ Über Subunternehmen wird im Pool an Arbeitern aus anderen europäischen Ländern rekrutiert.
„Auf so mancher Baustelle fahren dann Transporter mit Arbeitern vor, die zu viel geringeren Löhnen arbeiten.“ Mindestlohn, geregelte Stundenlöhne geschweige denn soziale Absicherung sind dann oft nur noch Worte und werden stillschweigend umgangen. „Ich bezweifle, dass da regelkonform gearbeitet wird“, sagt er. „Acht Stunden werden bezahlt und zehn bis zwölf Stunden gearbeitet.“
Nachhaltige Fonds kommen nicht an Menschenrechten und Umweltschutz vorbei
Er hat nicht lange gezögert, als er um Unterstützung für das Lieferkettengesetz gefragt wurde. „Es wird immer nur geschaut, was das Billigste ist und nicht, wo und unter welchen Bedingungen es hierherkommt“, sagt Rinnen. Die Frage Lieferkettengesetz oder nicht hat längst auch die Finanzbranche erreicht. Kaspar Wansleben (41) ist Fondsmanager bei „Investing for Development“.
Er managt seit 2009 zwei Fonds, die aktuell ein Kapital von rund 50 Millionen Euro in nachhaltige Projekte investieren. Die Investoren kommen aus Luxemburg, das Geld fließt in die Dritte Welt. „Wir investieren in Projekte, die jenseits der finanziellen Rendite einen nachhaltigen Effekt haben“, sagt Wansleben. „Da landet man schnell bei Menschenrechten und Umweltkriterien.“
In dieser Logik war es für ihn keine Frage, die Forderung der „Initiative pour un devoir de vigilance“ nach einem nationalen Lieferkettengesetz zu unterstützen. Ein vermuteter Marketingeffekt liegt allenfalls in dem Anspruch, dass die Fonds eine Vorreiterrolle spielen sollen. Das tun sie jetzt schon. „Die Nachfrage ist da“, sagt Wansleben. „Nachhaltige Kriterien beeinflussen Investoren ganz entscheidend, weil ihre Investitionen wirtschaftlich viel beeinflussen.“
Der Finanzmarkt ist ein großer Hebel in der Wirtschaft und Mikrofinanz wirkt gerade da, wo wenig ist. Investitionen in Grundschulen mit dem Ziel bessere Bildung für alle, Zugang für Kleinbauern in den Markt für ihre Produkte sowie Förderung von Investitionen in die Versorgung mit Strom sind drei konkrete Beispiele, wo die Mikrokredite der luxemburgischen Fonds in Afrika helfen.
Drittländer sind an Lieferketten beteiligt
„Wir arbeiten nur außerhalb Europas“, sagt Fondsmanager Wansleben. Gerade dort brennt es in puncto Menschenrechte und Umwelt. Wie sehr, belegt zuletzt wieder ein Bericht des National Opinion Research Center der Universität Chicago (NORC) vom Oktober 2020. Er weist der Schokoladenindustrie „spektakuläres Versagen“ nach, wie die Schweizer NGO Public Eye berichtet.
1,5 Millionen Kinder arbeiten nach wie vor unter missbräuchlichen Bedingungen in den Gebieten der Elfenbeinküste und Ghana, wo Kakao angebaut wird. Das ist fast jedes zweite Kind in diesen Regionen. Tendenz steigend. Tatsachen wie diese bleiben nicht unbemerkt. Abgesehen davon, dass in Luxemburg ein großer Player im Bereich Schokolade seinen Sitz hat, unterstützen mittlerweile 32 Unternehmen aus acht Wirtschaftsbereichen das Anliegen eines verpflichtenden, nationalen Lieferkettengesetz.
Zusätzliche 14 Betriebe sind nach Angaben der „Initiative pour un devoir de vigilance“ in jüngster Zeit hinzugekommen. Das zerstreut die immer wieder vorgebrachten Bedenken der Politik, ein solches Gesetz sei zu wenig „business-friendly“. Es könnte Unternehmen vergraulen oder sie davon abhalten, sich in Luxemburg anzusiedeln. Deshalb wurde das Anliegen bislang gerne nach Brüssel geschoben und eine nationale Lösung ausgesessen.
Immer wieder argumentierte das luxemburgische Außenministerium, in dessen Verantwortungsbereich der Schutz der Menschenrechte fällt, damit, einer europäischen Lösung den Vorzug zu geben. Mittlerweile beschäftigt sich nach „Initiative“-Angaben ein „Comité interministériel“ mit dem Thema. Im Herbst sollen erste Ergebnisse veröffentlicht werden.
Der Fall NSO: Software „Pegasus“
Es war der internationale Aufreger im Juli dieses Jahres. Recherchen eines Mediennetzwerks, zu dem Süddeutsche Zeitung, Zeit, NDR, WDR und 15 weitere Redaktionen aus zehn Ländern gehören, brachten damals Ungeheuerliches zutage. Geheimdienste und Polizeibehörden mehrerer Staaten sollen die Spähsoftware „Pegasus“ des israelischen Unternehmens NSO Group genutzt haben, um damit Mobiltelefone abzuhören. Die NSO Group ist mit neun Filialen in Luxemburg vertreten, wie das Außenministerium in einer Pressemitteilung am 21. Juli 2021 bekannt gab, hat seinen sozialen Sitz aber in Tel Aviv. Insgesamt sind fast 200 Journalistinnen und Journalisten aus 20 Ländern von einer möglichen oder tatsächlichen Überwachung durch Pegasus betroffen, was eine Verletzung der Menschenrechte bedeutet. Das berichtet verbaende.de. Klagen von Reporter ohne Grenzen und von WhatsApp, einem Tochterunternehmen von Facebook, sind anhängig. Die luxemburgische Regierung hat Briefe an die neun Direktoren der NSO-Filialen im Land verschickt. Darin werden sie darauf hingewiesen, dass „Luxemburg alle Ausfuhrkontrollverpflichtungen strikt anwendet und nicht duldet, dass die Tätigkeit dieser Einrichtungen von Luxemburg aus zu Menschenrechtsverletzungen in Drittländern beiträgt“.
- Näherinnen hauchen Werbeplanen von Amnesty International Luxembourg neues Leben ein - 10. November 2024.
- Verlust oder Chance? Wenn jeder Tag ein Sonntag ist, helfen Pensionscoaches - 2. November 2024.
- „Habe eine Welt kennengelernt, die ich so nicht kannte“ – Porträt einer Betroffenen - 29. Oktober 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos