Parlament / In anderthalb Stunden um die Welt: Jean Asselborn erläutert Luxemburgs außenpolitische Prioritäten
Außenminister Jean Asselborn (LSAP) hat am Dienstag im Parlament die Leitlinien der luxemburgischen Europa- und Außenpolitik umrissen. Die Reaktionen und Bemerkungen der Parlamentarier folgen am Mittwoch.
Wie ein roter Faden hat sich die Bedeutung der EU für Luxemburg und dessen Außendarstellung durch die fast zweistündige Rede Asselborns gezogen. Insbesondere bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie war die Zusammenarbeit in der EU von Erfolg gekrönt. So lassen sich die Worte von Luxemburgs Chefdiplomat zusammenfassen. Die Covid-Krise habe Schwächen freigelegt, aber auch Stärken gezeigt. Darauf müsse aufgebaut werden. Bei der Impfstoffbesorgung habe man in der EU auf eine gemeinsame Strategie gesetzt. Diese gemeinsame Anschaffung sei eine Neuerung für die Gemeinschaft gewesen. In Rekordzeit sei es gelungen, ausreichend Vakzine einzukaufen. Das selbstgesteckte Ziel, bis Sommer drei Viertel der Bürger zu impfen, habe man zwar verpasst, aber in den letzten Monaten habe die Impfkampagne wieder an Schwung gewonnen. „Die EU hat geliefert“, so Asselborns Fazit. Die Gemeinschaft produziere massiv Impfstoff, verteile ihn in großen Mengen in der ganzen Welt. Mehr als eine Milliarde Dosen seien in mehr als 50 Länder exportiert worden. Weitere Impfdosen seien im Rahmen der Covax-Initiative der Weltgesundheitsorganisation bereitgestellt worden.
Als weiteres positives Element seiner EU-Bestandsaufnahme nannte Asselborn die Einführung des digitalen Covid-Passes, der den Bürgern das Reisen erleichtern sollte. In Rekordzeit avancierte dieser elektronische Impfschein zum internationalen Standard, dem sich andere Länder anschlossen.
Schengen-Raum fit machen
Schatten auf die Erfolgsgeschichte EU warfen jedoch die Grenzschließungen während der Anfangsmonate der Pandemie im letzten Jahr, und das ausgerechnet im 25. Gründungsjahr der Schengener Abkommen. Das Recht auf Freizügigkeit sei während der Pandemie infrage gestellt worden, so Asselborn. Und auch heute noch gebe es Räume in der EU, wo diese Bewegungsfreiheit der Menschen nicht garantiert sei. Dieses Grundrecht müsse wiederhergestellt werden. Schließungen und Kontrollen sollten in Zukunft eine begrenzte Ausnahme bleiben.
Der Schengen-Raum und der EU-Binnenmarkt müssten nicht nur wiederhergestellt, sondern auch fit für die Zukunft gemacht werden, forderte Asselborn. Ein Schritt in diese Richtung könnte die Initiative Luxemburgs mit fünf weiteren EU-Staaten sein, grenzüberschreitende Gemeinschaften in Zukunft besser zu schützen. Europa wachse an den Grenzen zusammen, formulierte er es bildlich. Insbesondere die sanitäre Krise habe gezeigt, wie eng Luxemburg mit der Großregion verbunden sei und welches Entwicklungspotenzial in ihr stecke.
Die Pandemie ermöglichte auch in einem anderen Bereich einen zuvor kaum vorstellbaren Durchbruch: Bereits im März 2020 hatte Luxemburg mit acht anderen Staaten die Einführung von Corona-Bonds vorgeschlagen, das heißt die gemeinsame Aufnahme von Mitteln, um sie einzelnen EU-Mitgliedern für ihre wirtschaftliche „Relance“ bereitzustellen. Ende 2020 gelang der Durchbruch. Daran hätten die wenigsten geglaubt, so Asselborn, der diese Entscheidung als einen Quantensprung in der europäischen Politik bezeichnete.
Energietransition sozial abfedern
Der wirtschaftliche Wiederaufschwung müsse jedoch auch sozial fair und inklusiv sein. Dazu müsse der soziale Pfeiler gestärkt werden, betonte Asselborn. Das soziale Regelwerk müsse aktualisiert, Mindeststandards eingeführt werden. In diesem Zusammenhang sprach er ebenfalls die Diskussion um die Sorgfaltspflicht der Unternehmen bei der Wahrung der Menschenrechte bei ihren Zulieferern an. Die EU habe sich zu konkreten Vorschlägen verpflichtet, nachdem Luxemburg darauf gedrängt habe. Man erwarte einen europäischen Text zur Lieferkettenproblematik. Falls er jedoch nicht den Luxemburger Wünschen entspreche, werde man einen eigenen Weg gehen.
Sozial abgefedert werden müsste auch die Energietransition. Die EU müsse eine führende Rolle bei den Klimamaßnahmen übernehmen. Die rezenten Überschwemmungen und Brände hätten gezeigt, dass man keine Zeit mehr verlieren sollte. Um einkommensschwache Haushalte zu stützen, schlägt die EU-Kommission einen 72 Milliarden Euro schweren Klima-Sozialfonds vor. Das reicht Asselborn nicht. Da müsse nachgebessert werden. Ohne ausreichende Ausgleichsmaßnahmen riskiere man soziale Proteste, wie das Ausland vor Augen geführt habe.
Während der Corona-Pandemie gerieten „unsere Werte“ weiter unter Druck. Auch die EU als Wertegemeinschaft blieb nicht verschont. In einzelnen Ländern stellte Asselborn Rückschritte fest. Das sei ein Spiel mit dem Feuer, das zu einer großen Krise in EU führen könne. Auf die Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit müsse auf finanzieller Ebene reagiert werden. Wie könne man Menschen erklären, dass ausgerechnet das Land, das die meisten EU-Mittel bekommt, diese Werte mit Füßen trete, so Asselborn. „Der Dialog hat uns nicht weitergeführt. Wir riskieren eine Erosion unserer Werte.“ Man werde nicht zuschauen, wie die Unabhängigkeit der Justiz infrage gestellt werde. Millionen Menschen lehnten den Illiberalismus à la Orban ab.
Luxemburg steht für Solidarität ein
Am 14. Oktober wurde Luxemburg in den Menschenrechtsrat der UNO gewählt. Zu Luxemburgs Prioritäten in diesem Gremium nannte Asselborn die Rechtsstaatlichkeit, den Klimawandel, der auch die Menschenrechte gefährde, den Kampf für Frauenrechte und gegen die Diskriminierung der LGBTQ+, den Einsatz für die Kinderrechte.
In der EU will Luxemburg weiterhin für Solidarität mit jenen einstehen, die ihre Heimat verlassen mussten. Man müsse Mitglied der Genfer Konvention sein, um EU-Mitglied zu werden, so Asselborn. „Viele scheinen das vergessen zu haben.“ Zwar nehme der Migrationsdruck auf die EU erneut zu, doch die Zahlen würden heute weit unter jenen aus dem Jahr 2015 liegen. Die EU brauche klare Regeln, um die Migration zu verwalten. Doch diesbezügliche Diskussionen kämen nicht voran. Statt eines Gesamtpakets an Maßnahmen befürworte er einzelne konkrete Schritte, wie etwa die rezente Schaffung einer Asyl-Agentur. Diese soll die Mitgliedsländer bei der Bearbeitung von Asylanträgen unterstützen.
In Sachen Aufnahme von Flüchtlingen ging Asselborn insbesondere auf die Problematik Afghanistan ein. Seit der Machtübernahme durch die Taliban sei es schwer geworden, Informationen zu den einzelnen Asylanträgen zu bekommen. Was die Bearbeitung der Dossiers erschwere. Klar sei jedoch, dass jemand, der offensichtlich Schutz benötige, diesen auch bekommen würde. Bei Personen, die bereits in einem anderen EU-Land einen Antrag gestellt hatten oder bereits eine Zusage erhielten, müssten die EU-Regeln angewandt werden. Laufe ein Antragsteller Gefahr, einen negativen Bescheid zu bekommen, werde die Entscheidung hinausgezögert. Als einziges EU-Land habe Luxemburg niemanden zurückgeschickt, mit Ausnahme einer Person, die sich „radikalisiert“ habe.
Asselborn sprach sich prinzipiell für eine Erweiterung der EU auf die Balkanländer aus. Doch die Kandidaten würden selbst ihre Zeitagenda bestimmen. Die Beitrittsregeln für den „Club“ seien bekannt. So müssten etwa die sogenannten EU-Errungenschaften umgesetzt werden. Doch Fortschritte, insbesondere bei den demokratischen Rechten seien nicht so schnell erzielt worden, wie man es sich erhofft habe. Auch die Türkei bleibe für die EU ein wichtiges Land. Doch auch hier seien Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit nicht verhandelbar, betonte Asselborn. So lehne Luxemburg eine Zollunion und die Visafreiheit mit der Türkei ab, solange diese Fragen nicht geklärt seien.
Wunsch einer gemeinsamen Verteidigungspolitik
Nichts übrig hatte Asselborn auch für Weißrusslands Alexander Lukaschenko und dessen „Diktatur in voller Blüte“. Der Mann habe sich bei der Affäre um die zur Landung gezwungene Ryanair-Maschine zur Verhaftung des Bloggers Roman Protassewitsch wie ein Räuber benommen. Nun instrumentalisiere er Flüchtlinge, um die EU in Bedrängnis zu bringen. Nicht verbessert habe sich die Lage in der Ukraine. Und dass Russland und die EU sich auseinanderlebten, bedauerte Asselborn. Das sei schlecht.
Für die EU wünscht sich Asselborn eine gemeinsame Verteidigungspolitik. Die NATO bleibe zwar der Grundpfeiler der kollektiven Verteidigung, aber sie sei nun mal eine regionale Verteidigungsallianz. Sie verfüge über weniger Instrumente, um international zu agieren, als die EU. Doch alles, was die EU im Bereich Verteidigung unternehme, sei komplementär zur NATO. Europäische Verteidigung bedeute auch europäisch einkaufen und Ausrüstungen gemeinsam entwickeln.
Zur Nahost-Problematik sagte Asselborn, dass Israel die Zweistaatenlösung systematisch untergrabe. Doch auch die Palästinenser müssten für Ordnung im eigenen Haus sorgen. Die EU müsse den Friedensprozess im Nahen Osten erneut prioritär behandeln. „Wir sind Freunde von Israel und von Palästina“, so der Außenminister.
Zu den konkreten Ankündigungen in der außenpolitischen Erklärung gehörten die Eröffnung einer Botschaft in Irland und die Beteiligung an der Weltausstellung 2025 in Osaka in Japan.
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Zitat: Hervorhebung der Bedeutung der EU für Luxemburg. Dennoch wird seitens der Regierung sehr viel getan um sowohl das europäische Parlament als auch die europäische Kommission zu verärgern: Fehlende oder mangelhafte Umsetzung von europäischen Direktiven oder die fehlende Bereitschaft zur Teilnahme an für den jeweiligen Minister unangenehmen Diskussionen seien hier als Beispiele genannt.
Herr Asselborn, was werden Sie tun wenn zig-tausende der momentan an der polnischen Grenze blockierten Flüchtlinge in Tier angekommen sind ……..?