Chaos Computer Club / „In den Schulen fehlt die Medienkompetenz“
Digitalisierung? Natürlich, aber man darf Bankschalter und Kassierer im Supermarkt nicht abschaffen. Das sagt Dennis Fink vom luxemburgischen Chaos Computer Club (CCC) im Gespräch mit dem Tageblatt. Wir haben uns mit dem Hacker im Clubraum auf dem Limpertsberg, zwischen Mate-Eistee-Kästen und Technik-Equipment getroffen, um uns über den Verein, die Digitalisierung und Dystopien zu unterhalten.
Tageblatt: Wir befinden uns hier in einem „Hacker Space“. Was darf man sich darunter vorstellen?
Dennis Fink: In einem Hacker Space treffen sich Leute, die an allen möglichen Themen interessiert sind. Das fängt an bei den nerdigsten Technikthemen, über das Züchten von Chilis, bis hin zum Bier brauen.
Es muss also nicht unbedingt etwas mit Computern zu tun haben?
Das macht zwar den größten Teil aus, ist aber nicht notwendig. Ein Hacker ist im Grunde jemand, der sich so sehr für ein Thema interessiert, dass er es bis ins Detail verstehen will – ein wenig so wie ein Wissenschaftler. Eine andere Definition von einem Hacker ist jemand, der Technik auf eine Art und Weise benutzt, wie es nicht vorgesehen war. Ein Beispiel: Ein Elektriker baut eine Schaltung, ihm fehlt aber ein Stück Kabel. Weil er weiß, dass alles Metallische Strom leitet, kann er zum Beispiel Alufolie benutzen, um seine Schaltung fertigzustellen. Das wäre auch eine Art Hacker.
Würde der Elektriker das tun, dann bricht er sicher eine Menge Vorschriften. Hacker werden auch gerne mit Kriminalität in Verbindung gebracht. Wie sieht das aus?
Dazu wird oft das Bild der bunten Hüte bemüht. Man unterscheidet zwischen Hackern mit weißem, grauem und schwarzem Hut. Die Hacker mit schwarzem Hut (engl. Black Hats, Anm. d. Red.) hacken, um sich persönlich zu bereichern. Die Hacker mit weißem Hut (engl. White Hats, Anm. d. Red.) arbeiten für Staaten, Geheimdienste oder private Sicherheitsfirmen. Die Hacker mit grauem Hut (engl. Grey Hats, Anm. d. Red.), so wie wir, wollen sich nicht bereichern, arbeiten aber auch nicht für den Staat. Sie arbeiten auf eigene Faust für die Gesellschaft und die Allgemeinheit, indem sie etwa Sicherheitslücken aufdecken und über Themen informieren.
Der CCC hat im Februar ein Gutachten über die Copyright-Reform vorgelegt (dabei geht es um die Umsetzung einer umstrittenen Europäischen Direktive, Anm. d. Red.). Das wurde an Ministerien, Parteien, Presserat und andere verschickt. Habt ihr Rückmeldung gekriegt?
Ja, wir hatten zwei Treffen. Eines mit den Grünen und eines mit der CSV. Seitdem hat sich nicht viel getan. Der Gesetzesvorschlag wurde in der Chamber eingebracht, aber, soweit ich weiß, noch nicht diskutiert. An sich ist die Frist für die nationale Umsetzung der europäischen Direktive abgelaufen. Derzeit läuft aber auch noch ein Gerichtsverfahren wegen Artikel 17 der Direktive über Uploadfilter.
Mit der Präsentation dieses Gutachtens ist der Chaos Computer Club in Luxemburg zum ersten Mal als politischer Aktivist aufgefallen. War das ein besonderes Ereignis oder entgehen der Öffentlichkeit die anderen Aktionen des Vereins?
Es war etwas Besonderes. Ein 28-seitiges Positionspapier haben wir noch nie erstellt. Davor haben wir mit Pressemitteilungen auf einzelne Probleme aufmerksam gemacht und vor den EU-Wahlen 2014 hatten wir Rundtischgespräche zum Thema Digitales und Netzpolitik in Luxemburg organisiert. Die sind sehr gut angekommen und können immer noch online angesehen werden.
Derzeit arbeiten wir an einer europäischen Bürgerinitiative namens „Reclaim your Face“. In ganz Europa werden eine Million Unterschriften gesammelt. Wir verlangen, dass die Europäische Union biometrische Überwachung verbietet. Mittlerweile gibt es in Europa überall Kameraüberwachung. Biometrische Überwachung heißt, dass die Kameras erstens vernetzt werden und zweitens genutzt werden, um Leute und Bewegungsprofile zu erkennen und zum Beispiel die Mimik zu untersuchen, um zu sehen, wie die Leute emotional drauf sind.
Ähnlich wie es in China derzeit durchgeführt wird?
Ja. China geht aber weiter und verbindet das Ganze mit einem Punktwert (social credit score, Anm. d. Red.). Wenn der zu weit sinkt, darf man zum Beispiel keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr nutzen. Wir haben die Angst, dass wir uns nicht mehr weit davon weg befinden, wenn eine biometrische Überwachung eingeführt wird. Das wollen wir mit der Bürgerinitiative verhindern.
Ist das realistisch?
Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre in Europa ansieht, befinden wir uns auf einem dystopischen Weg. Wir haben Überwachungsgesetze verabschiedet – in Luxemburg rezent das neue Polizeigesetz. Es gibt eine Initiative der Europäischen Kommission, die die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung abschaffen will. Sie hat einen Text vorgelegt („Sicherheit durch Verschlüsselung – Sicherheit trotz Verschlüsselung“) aus dem hervorgeht, dass sie ein Gesetz vorschlagen will, das Messaging-Dienste wie Facebook oder WhatsApp zwingen soll, eine Hintertür für die Polizei und Geheimdienste einzubauen, um mitzulesen – begründet mit den üblichen Scheinargumenten der Bekämpfung von Terrorismus und Pädophilie.
Die EU treibt die Digitalisierung voran und hat vor Kurzem einen Rahmen für künstliche Intelligenz geschaffen. In Luxemburg werden endlich in den Schulen Computerfähigkeiten vermittelt. Ist tatsächlich alles so negativ?
Ich will das nicht gegeneinander aufwiegen. Natürlich haben wir eine wirklich gute Datenschutzverordnung (GDPR). Der Europäische Gerichtshof hat sich mehrfach gegen Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen, auch wenn Luxemburg immer noch daran festhält und Deutschland versucht, es auch mit seinem Grundrecht zu vereinen. Ja, wir haben Aspekte, die in die richtige Richtung gehen. Es ist nicht die eine Schlacht, die zu schlagen ist. Immer wenn eine vorbei ist, kommt die nächste.
Wie sehen Sie die Computer-Kurse, die in der Schule angeboten werden?
Natürlich ist es gut, solche Fähigkeiten zu vermitteln. Was allerdings noch fehlt, ist Medienkompetenz. Das ist heute wichtiger, als den Kindern Programmieren beizubringen, denn nicht jeder wird im Leben programmieren müssen. Kinder und Jugendliche müssen falsche von richtigen Informationen unterscheiden lernen. Das Internet ist ein zweischneidiges Schwert. Natürlich findet man viele schöne und gute Information, aber mindestens genauso viele Falschinformationen. Viele Jugendliche glauben leider alles, was sie im Internet lesen. Deshalb glauben wir, dass Medienkompetenz in der Schule fehlt.
Die Pandemie hat unseren Umgang mit dem Digitalen verändert. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Auch das ist ein zweischneidiges Schwert. Durch die Pandemie sind in Luxemburg Dinge auf einmal möglich geworden, an die vorher keiner geglaubt hat. Zum Beispiel Home-Office. Davor hatte ich immer das Gefühl, dass Luxemburg das nie einführen wird. Dann kam die Pandemie und jeder, der konnte, hat Home-Office gemacht. Viele Firmen wollen jetzt Home-Office teilweise weiterführen. Ohne den technischen Fortschritt wäre das nicht möglich. Für die Gesellschaft und die Umwelt hat das Vorteile: weniger Autofahren und weniger CO₂ zum Beispiel.
Einen Nachteil, den wir sehen, ist, dass sich der Staat und Firmen auf die großen internationalen Konzerne eingeschossen haben: Microsoft Teams und Zoom zum Beispiel haben im letzten Jahr viel Gewinn gemacht. Wir fürchten, dass dort Monopole entstehen. Bei Microsoft gab es dann zusätzlich ein Leak. Das Problem ist, je mehr Menschen ein System benutzen, umso interessanter wird es für Kriminelle. Das ist leider so. Das zweite Problem mit Microsoft, Zoom, Apple usw. ist, dass es sich um geschlossene Systeme handelt. Wir wissen nicht, was in ihrem Code steht und welche Daten sie von uns abzweigen. Unsere Schulen nutzen Teams. Darüber versenden die Schüler Daten, die manchmal privater sind, als man glauben mag. Das sehen wir kritisch.
Verbraucherschutzorganisationen, aber nicht nur sie, warnen davor, dass die Digitalisierung Menschen ausgrenzt. Vor allem Ältere, die weniger gut mit Computern umgehen können. Teilen Sie diese Ansicht?
Ältere Menschen haben oft ein Problem mit Technik. Natürlich gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel die Leute, die in den 70er und 80er Jahren die Hackerszene mitbegründet haben. Wir als Chaos Computer Club pochen zwar auf Digitalisierung. Wir wollen die alten Systeme aber nicht abschaffen. Bestes Beispiel sind die Selbstbedienungskassen im Supermarkt. Wir finden, die kann man einführen (zur Problematik der Arbeit äußern wir uns nicht), aber im gleichen Atemzug sagen wir, dass die alten Kassen nicht verschwinden dürfen. Nicht jeder findet sich mit einer Selbstbedienungskasse zurecht. Das Gleiche gilt für das Onlinebanking, das flächendeckend eingeführt werden soll. In Luxemburg ist das ja der Fall. Man darf aber nicht alle Schalter schließen. Es gibt ältere Menschen, die gerne ihre Überweisungen von Hand machen, und deshalb ist es schade, dass viele Schalter dicht machen. Man muss die zwei Wege gleichzeitig gehen.
In den letzten zehn Jahren hat sich Luxemburg sehr stark entwickelt. Mittlerweile haben wir einen Supercomputer und ein Digitalisierungsministerium. Ist das nicht mehr Utopie als Dystopie?
Vielleicht. Manche Sachen funktionieren sehr gut. Zum Beispiel die Online-Anmeldung beim Large Scale Testing während der Pandemie. Andere Dinge funktionieren noch nicht reibungslos – das Einreichen der Vereinsstatuten zum Beispiel. Da steht die Digitalisierung noch weit zurück. Andere Formulare müssen per Post eingesendet werden, obwohl die E-Mail-Adresse draufsteht. Stellenweise funktioniert die Digitalisierung in Luxemburg. An anderer Stelle lässt sie sehr zu wünschen übrig.
„Digitalisierung? Natürlich, aber man darf Bankschalter und Kassierer im Supermarkt nicht abschaffen.“
Der Tankwart wurde schon vor 50 Jahren abgeschafft und jetzt zahlen wir auch an der Säule, die Bankster und die Kassierer werden auch abgeschafft.
Digitalisierung steht nicht per se als Synonym für „Ausgrenzung älterer Menschen“ oder „Abschaffung von Jobs“.
Zum Thema Ausgrenzung:
Wer heute als „älterer“ Mensch die Kompetenz besitzt, an einem Bankautomaten sich durch das Menü zu klicken um Geld abzuheben, wird auch in der Lage sein, bei einem ausgereiften kassenlosen System mit einem Smartphone Barcodes einzuscannen. Das Mobile Payment entwickelt sich weiter und wird zunehmend bedienungsfreundlicher werden.
Zum Thema Abschaffung von Jobs:
Jene Jobs, welche heute auf der Kippe stehen, sind erst durch technologischen Fortschritt entstanden. Alle an Tankstellen geknüpfte Jobs gibt’s nur, weil ein Mobilitätswandel stattfand und dadurch alle Pferdekutschen-nahen Jobs verloren gingen. Alte Branchen sterben und neue erschließen sich. Wer an Altem festhält, ist nich anpassungsfähig und beschwert sich ggf. noch wie unfair alles ist.