Coronavirus / In einem Dorf in der Ukraine kommt es zu Gewalt gegen Wuhan-Evakuierte
Der Protest kam ebenso unerwartet, wie er bizarr anmutet. Nach der Landung eines Flugzeuges mit 70 Coronavirus-Verdächtigen kam es im Osten der Ukraine zu heftigen Protesten. Staatspräsident Selenski wählt drastische Worte.
Die Ukraine sei zwar in Europa, aber offenbar gäbe es Landsleute mit einer Mittelalter-Mentalität, kommentierte Wolodymyr Selenski ausgerechnet auf einem Start-up-Forum einen bizarr anmutenden Protest im Osten seines Landes. Dort war es in der Nacht zum Freitag zu Ausschreitungen gegen gut 70 Coronavirus-Verdächtige, medizinisches Personal und die Polizei gekommen. Die zuvor aus der chinesischen Provinz Wuhan evakuierten 45 Ukrainer und 27 Ausländer sollten im Dorf Nowy Sanschary südlich von Poltawa in einem Ferienheim des Innenministeriums für 14 Tage Quarantäne kommen, bevor sie weiterreisen dürfen.
Die Kiewer Regierung hatte die möglicherweise Corona-Kranken Mitte der Woche mit einem Charterflugzeug ausgeflogen. Nach einer Zwischenlandung in Kiew am Donnerstagmorgen wurden sie weiter in die Ostukraine geflogen und von dort mit Autobussen nach Nowy Sanschary gebracht. Dies versetzte offenbar fast das ganze Dorf in Aufruhr. Die Angst vor dem Virus schwoll schnell zu einer Protestbewegung an, bereits frühmorgens mussten Sicherheitskräfte in das Dorf gebracht werden, um das für die Quarantäne vorgesehene Heim zu bewachen.
Polizei greift hart durch
Die eintreffenden Busse der Wuhan-Evakuierten wurden schließlich von der wütenden Menge mit Steinen beworfen. Scheiben gingen in Brüche, mindestens neun Verletzte mussten ins Spital von Poltawa eingeliefert werden. Bis Freitagabend blieb unklar, ob sich darunter auch Quarantäne-Patienten befinden. „Unsere Solidarität bleibt bei unseren Leuten“, sagte Präsident Selenski am Freitag in Kiew. Seine Regierung hatte sich die Evakuierung der Ukrainer aus Wuhan einiges kosten lassen. Dennoch blieb unklar, wen er genau meinte: die angegriffenen Quarantäne-Patienten, die verängstigten Dorfbewohner oder die verletzten Polizisten.
Die Polizei jedenfalls hatte hart durchgegriffen, nachdem sich die wütenden Proteste bis tief in die Nacht weiterzogen. Am Freitagmorgen meldete das Innenministerium die Festnahme von 24 teils stark alkoholisierten Demonstranten. Gleichzeitig machte sich Gesundheitsministerin Zorjana Skaletschskaja höchstpersönlich auf nach Nowy Sanschary, um die Quarantäne solidarisch mit den Evakuierten zu verbringen. Sie wolle 14 Tage bleiben und so die angespannte Situation entschärfen helfen, ließ das Kiewer Gesundheitsministerium verlauten.
Woanders reicht ein Gerücht
Am Freitag allerdings verließ Skaletschskaja die Quarantänestation bereits nach mehreren Stunden wieder. Die Situation schien sich inzwischen etwas zu beruhigen. Allerdings sollen über die Hälfte der Schulkinder nicht in den Schulen erschienen sein, weil ihre Eltern sie aus Angst vor Ansteckung mit dem Coronavirus zu Hause hielten. Nur 400 von 900 Grundschulkindern hätten am Unterricht teilgenommen, erklärte Schuldirektor Nikolai Reschetilo gegenüber der unabhängigen Internetzeitung Ukrainska Prawda.
Zu Protesten kam es auch in der Westukraine. Bei Lwiw (Lemberg) unweit der polnischen Grenze wurde am Donnerstag eine Schnellstraße von Demonstranten blockiert, nachdem sich das Gerücht verbreitet hatte, ein Teil der gut 70 Wuhan-Evakuierten würden in der Nähe untergebracht. Den Behörden gelang es schließlich, die Bevölkerung zu beruhigen. Die Proteste gegen den Evakuierten in der Ukraine erinnern an ähnliche Proteste in Polen Anfang der Neunzigerjahre gegen Einrichtungen für HIV-Patienten. Sie beruhen auf großer Unkenntnis und schierer Angst vor dem Unbekannten. Mit mittelalterlichen Mentalitäten haben sie indes wenig gemein.
Unklar ist bisher, woher die 27 Ausländer stammen, die mit ihren ukrainischen Leidensgenossen in der Ostukraine in Quarantäne gehalten werden. Laut Recherchen der Ukrainska Prawda soll es sich unter anderem um Kasachen handeln.
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