/ „In jeder Familie fliegen die Fetzen“ – F91-Boss Romain Schumacher über künftige Aufgaben und Konflikte
F91-Präsident Romain Schumacher muss mit seiner Mannschaft im zweiten Jahr nacheinander den Spagat zwischen Meisterschaft und Europa-League-Gruppenphase schaffen. In dieser Saison ist dieses Vorhaben keine Unbekannte mehr, aber auch mit einigen Problemen verbunden.
Tageblatt: Herr Schumacher, sind Sie mittlerweile wieder in der Realität angekommen?
Romain Schumacher: Das war bereits am Freitag der Fall. Ich bin einer, der sehr schnell in die Realität zurückgekehrt und zu seiner Konzentration zurückfindet. Ich bin zu lange im Fußball tätig, um mir lange Träumereien leisten zu können. In den nächsten Monaten müssen wir einige organisatorische Hürden meistern, weshalb wir uns bereits jetzt mit diesen Aufgaben beschäftigen. Trotzdem genießen wir den Moment. Im Stade Josy Barthel standen zum Schluss fast 3.000 Menschen auf ihren Stühlen. In den Düdelinger Kneipen versammelten sich die Menschen und sorgten für eine unglaubliche Stimmung. Von solchen Momenten träumt man.
Hat der Einzug in die Gruppenphase bei Ihnen die gleichen Gefühle ausgelöst wie vergangene Saison?
Es ist nicht vergleichbar, weil wir vergangene Saison überhaupt nicht mit dieser Teilnahme gerechnet hatten. Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, dass sie mich vor einem Jahr angerufen haben, als ich nach der Auslosung der ersten Qualifikationsrunde mit dem Auto über den Col de la Faucille gefahren bin. Damals bin ich davon ausgegangen, dass wir drei Runden überstehen würden. Mit mehr und einem Sieg über Legia Warschau hätte keiner gerechnet. Ich war davon überzeugt, dass in den kommenden 30 Jahren nie wieder eine luxemburgische Mannschaft in die Gruppenphase einziehen würde. Umso erstaunlicher ist es, dies nach einem kompletten Umbruch, mit einem neuen Trainer und einer neuen Mannschaft zu schaffen. Emilio Ferrera hat es geschafft, innerhalb kürzester Zeit ein Team auf Vordermann zu bringen. Die Emotionen bleiben dieselben, aber die Position des Vereins wurde gestärkt. Die Familie Becca hat es geschafft, den F91 Düdelingen auf die europäische Fußball-Landkarte zu setzen.
Wie wird der F91 diese internationale Mammutaufgabe organisatorisch lösen?
Wir leben von der Erfahrung aus dem vergangenen Jahr. Einige kleinere Sachen müssen verbessert werden, aber wir wissen, was zu tun ist. Derzeit sind wir dabei, uns personell aufzustellen, denn diese erneute Teilnahme ist trotzdem etwas unerwartet über uns hereingebrochen. Im Vordergrund steht die Organisation der Reisen und der Security für die Heimspiele. Wir werden auch diesmal beim Ticketverkauf dafür sorgen, dass unsere langjährigen Anhänger bevorzugt bedient werden. Vergangenes Jahr hatte es deswegen berechtigte Beschwerden gegeben.
Wurden der unbezahlte Urlaub für Torwart Jonathan Joubert und Verteidiger Tom Schnell bereits beantragt?
Das wurde bereits getan. Es müssen noch einige Details geklärt werden, aber ich gehe davon aus, dass sie auch diesmal freigestellt werden.
Der erneute Meistertitel scheint unter diesen Voraussetzungen stark gefährdet zu sein.
Es ist das gleiche Phänomen wie vergangenes Jahr. Global ist diesmal die Mannschaft jedoch schwächer und daher auch der zweite Anzug. Den Titel zu verpassen wäre eine große Desillusion. Unser Sponsor Flavio Becca unterstützt den Verein auch weiter, weil er Meister werden will.
Trainer Emilio Ferrera gibt der Europa League deutliche Priorität. Wie finden Sie das?
Er arbeitet mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen – und das ist nicht immer einfach. Wie er bereits in einem Interview erwähnt hat, ist er nicht da, um Spieler körperlich kaputt zu machen.
Vor einigen Tagen haben Sie in mehreren Interviews den fehlenden Respekt von Ferrera gegenüber den ehrenamtlichen Mitarbeitern angeprangert. Haben sich die Wogen mittlerweile geglättet?
Das Problem ist verdaut. Es war Zeit, dieses Thema anzusprechen. Er wusste, dass wir mit seinem Umgang mit den freiwilligen Mitarbeitern nicht zufrieden waren. Dass ich dieses Problem an die Öffentlichkeit brachte, hat ihn wahrscheinlich überrascht. Aber ich muss mich schützend vor meine Leute stellen. In jeder Familie fliegen einmal die Fetzen.
Wie hat er auf diese Kritik reagiert?
Er hat zugehört, weil er professionell ist. Wir hatten einige Gespräche und ich denke, dass er es jetzt verstanden hat. Das Schlimmste ist, wenn man sich selbst zu wichtig nimmt. Das ist bei uns nicht der Fall. Wir sind alle Sünder mit vielen Fehlern. Aber die Zusammenarbeit ist erfolgreich, und das zählt.
Wäre es opportun, für die Gruppenphase noch zwei starke ausländische Profis zu verpflichten, die nicht in der BGL Ligue zum Einsatz kommen könnten?
Das wäre vielleicht opportun, aber auch leicht übertrieben. Landry Bonnefoi hat mir vergangenes Jahr leidgetan. Er wusste, dass er nur da ist, um diesen gewissen Zweck zu erfüllen. Es wären wahrscheinlich viele Profis bereit, eine solche Aufgabe anzunehmen, aber wir werden diesen Weg nicht gehen.
Im Sommer wurden 29 neue Spieler verpflichtet. Manche Positionen sind jedoch nicht doppelt besetzt. War die Transferpolitik zu unkoordiniert?
Ich will das nicht zu sehr kommentieren, weil ich in die Transfers nicht eingebunden war. Das macht meistens Flavio Becca mit seinen Beratern. Fest steht jedoch, dass zum Beispiel ein richtiger Stoßstürmer fehlt. Es wurden viele junge Spieler verpflichtet, die vorher wenig Spielpraxis hatten. Das Gleichgewicht ist noch nicht vorhanden, weil die Zusammensetzung des Kaders unter sehr speziellen Umständen zustande gekommen ist. Wir wussten lange Zeit nicht, wer in Düdelingen bleibt und wer geht. Danach wurde massiv eingekauft und vielleicht nicht immer auf das Gleichgewicht geachtet.
Ist Danel Sinani im Winter weg?
Zurzeit befinden wir uns noch im Sommer und es herrschen noch über 20 Grad. Spaß beiseite: „C’est tout le mal que je lui souhaite.“ Es ist Zeit für ihn, ins Profilager zu wechseln. Ich bin aber auch nicht böse, dass er noch bei uns unter Vertrag steht.
Sieht das Projekt von Flavio Becca vor, dass es auch im kommenden Jahr wieder zu einem riesigen Aderlass von Spielern kommen wird?
Wir müssen uns auf den sukzessiven Rückzug von Flavio Becca vorbereiten. Manche dachten, dass die erneute Teilnahme an der Gruppenphase ihn besänftigen würde. Aber er ist noch immer sehr unzufrieden, dass so wenig von kommunaler Seite unternommen wurde. Düdelingens Bürgermeister Dan Biancalana hat in den vergangenen Monaten zwar sehr viele Anstrengungen unternommen, um das Stadion zu renovieren, aber auch in diesem Fall wurde wieder viel „gewurschtelt“. Wir können davon ausgehen, dass der F91 eine Art Kindergarten für die Vereine von Flavio Becca sein wird und dass wir ein jüngeres Gesicht bekommen werden. Ob dies jedes Jahr mit einem größeren Aderlass einhergeht, kann ich nicht beantworten.
Sind die Einnahmen von 3,72 Millionen Euro eine gewisse Absicherung für den F91, um die Zeit nach Becca besser zu überstehen?
Diese Einnahmen wurden nicht in der Budgetplanung mit eingeplant. Wer so etwas tut, lebt in einem anderen Film. Neben den Einnahmen werden aber oft die Ausgaben vergessen. Charterflüge sind teuer, die Spieler wollen etwas vom Kuchen abhaben und die unbezahlten Urlaube der Spieler und Funktionäre müssen übernommen werden. Trotzdem vereinfacht dieses Geld einige Dinge.
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