Landwirtschaft / In Luxemburg gibt es zu wenig Gemüse und Obst aus Eigenanbau
Lieferketten mit weit entfernten Produzenten sind ein Ergebnis der Globalisierung. Pandemien zeigen, wie fragil dieses Konzept ist. Gerade dann erlebt Eigenversorgung – vor allem bei der Ernährung – eine ungeahnte Renaissance. Die Absicht, den heimischen Obst- und Gemüseanbau zu fördern, steht sogar im Koalitionsvertrag. Dem Anspruch sind bis jetzt viel zu wenig Taten gefolgt, sagen Branchenkenner.
Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit beschäftigt Landwirte. „Die Krise hat uns gezeigt, wie extrem abhängig wir von ausländischen Lebensmittellieferungen sind“, sagt Jean-Claude Muller (44). Er baut in Contern auf rund 40 Hektar Obst und Gemüse an. Nur drei bis vier Prozent dessen, was in den luxemburgischen Gemüseregalen der Lebensmittelhändler steht, komme aus dem Land, sagt er. Beim Obst sind es sogar nur ein Prozent. „Es war einfach nie wichtig, den Obst- und Gemüseanbau zu pushen“, stellt er fest.
Der „Administration des services techniques de l’agriculture“ (ASTA) relativiert auf Tageblatt-Anfrage die Angaben des Landwirts, der 2014 einen mutigen Schritt wagt. Er verlässt den sicheren Staatsdienst als Grundschullehrer, um sich ganz dem Ackerbau zu widmen. Schon seine Eltern haben neben der Milchwirtschaft und Viehhaltung Weizen und Kartoffeln angebaut. Nach dem politischen Bekenntnis der ersten Regierung Bettel zum Obst- und Gemüseanbau erweitert er den eigenen Anbau.
Viele liebäugeln mit Obst- und Gemüseanbau
Die Betriebe in Luxemburg im Obst- und Gemüseanbau müssten keine Produktionszahlen melden, heißt es bei der ASTA. Der Selbstversorgungsgrad sei also immer mit einer gewissen Unsicherheit verbunden. Es handelt sich um Schätzungen. Das resultiert aus der Tatsache, dass die Eigenversorgung mit heimischen Produkten auf Zahlen basiert, die im Handel – und das betrifft überwiegend Fertigprodukte – erhoben werden. „Das in Luxemburg angebaute Obst und Gemüse wird zum größten Teil unverarbeitet an den Endkunden verkauft“, heißt es weiter in der Antwort. Karotten, Zwiebeln und Salate sind die am meisten in Luxemburg angebauten Gemüsesorten, beim Obst sind es laut der gleichen Quelle Äpfel.
Salate, von denen Muller rund 500.000 Stück pro Jahr erntet, und die Produktion verschiedener „Kabes“-Sorten, die ihm mittlerweile 400.000 Stück pro Jahr beschert, sind der Schwerpunkt des Gemüseanbaus auf 40 Hektar in seinem Betrieb. Auf 1,5 Hektar davon baut er Erdbeeren an, von denen er jährlich rund 20 Tonnen verkauft. Von Kollegen aus der Landwirtschaft weiß er, dass sie mit dem, was er macht, liebäugeln, weil sie sich breiter aufstellen wollen. Weizen-, Milch- und Fleischpreise sind eine volatile Angelegenheit und die Einnahmen sind „rückläufig“, wie Muller sagt.
Es wird nicht genug getan
Er hingegen liegt mit seiner Produktion voll auf Linie mit dem, was sich auch die zweite Regierung Bettel aufs Programm geschrieben hat. „Die Rahmenbedingungen werden für bestimmte Produktionen wie Geflügel, Obst und Gemüse verbessert, damit der Lebensmittel-Bedarf in Luxemburg in Zukunft besser durch die inländische Produktion gedeckt werden kann“, heißt es auf Seite 168 des Koalitionsvertrages.
Der politische Ansatz ist gut, dafür müsste aber viel getan werden. Wird es aber nicht, wie ein Beispiel zeigt. „Sehen Sie die Hagelschäden an den Früchten?“, fragt Muller. Sie stammen von den letzten starken Regenfällen vor ein paar Tagen und sind nicht zu übersehen. Hätten die Pflanzen unter Folien- oder gar Glasgewächshäusern gestanden, wäre ihnen nichts passiert. „Es wäre gut, wenn wir schneller und vor allem mehr Genehmigungen dafür bekämen“, sagt Muller und hat nun den Hut als Präsident der „Fédération horticole luxembourgoise“ (FHL) mit 250 Mitgliedern auf.
„Bei uns fehlt es nicht an Vermarktung oder Absatz”, sagt er. „Die Akzeptanz in der Bevölkerung für regionale Produkte ist groß.“ Er selbst betreibt gemeinsam mit seiner Frau einen Hofladen. Das Angebot dort ist ein Paradies an Nahrungsmittel-Produkten – nicht nur aus Contern, sondern auch von anderen Orten aus dem Land. Kaum ist das Geschäft offen, fahren schon die ersten Kunden auf den Hof. Großabnehmer ist Luxemburgs Lebensmittelkette Cactus und seit kurzem die „Chambre des salariés” (CSL).
Es fehlt an Gewächshäusern und Wasser
Das ist also kein Hinderungsgrund, die heimische Produktion nicht zu fördern. Es fehlt vielmehr an Grundlegendem. Gewächshäuser, die eine wettersichere und mehrmonatige Produktion erlauben würden, weil der Kunde nicht mehr nur nach Saison konsumiert, sind das eine. Wasser ist das andere große Problem, sagt der FHL-Präsident.
Daraus ergeben sich zum Teil groteske Situationen. Muller findet es ethisch bedenklich, im März Erdbeeren aus Spanien, einem Land, in dem Wasser knapp ist, zu importieren, um die heimische Nachfrage zu befriedigen. Dabei liegen Möglichkeiten, es anders zu organisieren, auf der Hand. Muller zeigt auf die in Sichtweite seiner Felder liegende Gewerbezone „Weiergewan“. Die Rückseite lang gezogener Gebäude eines Transportunternehmens beherrschen den Anblick.
„Was könnten wir hier an Wassermengen auffangen, das sind Hektare an Dachflächen“, sagt er. Zurzeit nutzen die Landwirte Trinkwasser für den Anbau. Die Kritik daran findet er berechtigt. Mit kreativen Alternativen tue sich der Staat aber schwer, sagt er und findet, es werde viel zu wenig getan. Die Probleme sind bekannt. Gespräche dazu gab es bereits von der Ministerebene bis zum Premier. „Wir haben manchmal das Gefühl, es fehlt der Wille, das Thema anzugehen“, sagt er.
„Wir“ das sind die elf Gemüse- und die fünf Obstbauern, die zur Eigenversorgung des Landes beitragen und die, wie es scheint, sich selbst überlassen bleiben, wie sie das unter diesen Bedingungen schaffen. Die Hoffnungen des FHL-Präsidenten, dass sich etwas ändert, liegen auf den „Assises agricoles“, die im September zum Schwerpunkt Obst- und Gemüseanbau stattfinden. Nach den Erfahrungen aus der Krise wäre das zu hoffen. Die Hoferzeugnisse sprechen für sich. Nur die Erdbeeren alleine sind schon eine Reise nach Contern wert.
Das sagt die ASTA
Betreffend die Förderung von Obst- und Gemüseanbau in Luxemburg zählt die „Administration des services techniques de l’agriculture“ (ASTA) mehrere Initiativen auf. Beim „Groupe d’action production horticole“ handelt es sich um eine Zusammenarbeit verschiedener Institutionen, um Lösungen für Hemmnisse, die die Entwicklung des Gartenbaus beeinträchtigen, zu finden. Darin sitzen auch Vertreter der „Administration de la gestion de l’eau“ und der „Administration de la nature et des forêts“. Der Gesetzesvorschlag „Solawi“ will kleine Unternehmen fördern, die zum Beispiel Obst und Gemüse im Bereich der solidarischen Landwirtschaft lokal vermarkten. Das Agrargesetz sieht Investitionsbeihilfen·vor. Außerdem gibt es eine Landschaftspflegeprämie für Obst- und Gemüseanbau sowie spezialisierte Beratungsmodule durch einen Fachberater der Landwirtschaftskammer. Neuerdings gibt es zudem einen neuen Ausbildungszweig zum „Technicien entrepreneur maraicher“. Im „Bioaktiounsplang“ (PAN Bio 2025) ist die Förderung des Bioanbaus, der besonders im Gemüseanbau eine wichtige Rolle spielt, festgeschrieben.
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