Grenzgänger / Ein Zuhause auf Zeit: In Luxemburg wohnt Pflegepersonal aus dem Ausland im Hotel
In der Lobby des Légère Hotel in Münsbach mit seinen 156 Zimmern herrscht gähnende Leere. Ein Absperrband sorgt für sichere Distanz zur Rezeptionistin, die hinter einer Scheibe Telefonate entgegennimmt. Audrey (43) und David (34) sitzen alleine in der Empfangshalle. Die beiden Franzosen arbeiten in einem Altenpflegeheim in Bartringen und leben vorübergehend hier.
„Wir sind hier sehr gut aufgehoben“, sagt Audrey aus Thionville. Ihren Nachnamen möchte sie lieber nicht sagen und ein Foto, das will sie auch nicht. Die 43-Jährige arbeitet seit 20 Jahren als Grenzgängerin in Luxemburg als „aide-soignante“ in einem Pflegeheim für Senioren. Nicht nur, dass sich ihr Arbeitsalltag durch die Krise drastisch verändert hat, der Feierabend sieht ebenfalls ganz anders aus. Während ihrer Schichtdienste ist sie mit Mundschutz, Handschuhen und Schutzanzug unterwegs – ein großer Unterschied zu früher. Und abends geht sie statt nach Hause ins Hotel, in diesem Fall ins Légère nach Münsbach.
Ihre Klientel gehört zur Risikogruppe und sie kommt aus dem Risikogebiet „Grand Est“. Das war ein Grund, im Land zu bleiben. Der zweite ist ihre Familie. „Am meisten Angst habe ich davor, irgendwo jemanden anzustecken”, sagt sie. Um sich selbst macht sie sich weniger Sorgen. „Das ist eine Frage, die man sich in unserem Beruf nicht stellt.“ Als ihr Arbeitgeber mit dem Angebot kam, im Land zu bleiben, ist ihr die Entscheidung leichtgefallen. „Meine Kinder sind groß und mein Mann hat Verständnis“, sagt die Altenpflegerin.
Ihr Kollege David (34) kommt aus Freyming-Merlebach, was an der französisch-saarländischen Grenze liegt. 120 Kilometer fährt er sonst jeden Tag. Er hat die gleichen Gründe wie seine Kollegin und bleibt erst mal in Luxemburg. „Das ist eine große Erleichterung für mich“, sagt er. Einsam fühlen sie sich in ihren Zimmern dank Internet, Facetime, Facebook und anderen Messengerdiensten nicht. Sie sind derzeit sowieso länger auf der Arbeit, „ohne die Stunden zu zählen“. Es gibt viel zu diskutieren und zu klären. Die Situation ist für alle ungewohnt. Noch nie dagewesen.
Große Erleichterung für alle
Wie viele ihrer Kollegen das Angebot schon angenommen haben, vermag Audrey nicht zu sagen. Aber sie hat eine Vermutung. „Bei uns arbeiten viele Nationalitäten“, sagt sie. „Ich denke es werden immer mehr werden.“ Kollege David denkt genauso: „Der Peak der Verbreitung des Virus ist noch nicht erreicht.“ 249 Zimmer in 20 Hotels quer durchs Land waren nach Angaben des Tourismusministeriums am Mittwoch mit Menschen wie ihnen, die im Gesundheits- und Pflegewesen arbeiten, belegt.
Am 16. März richtete das Ministerium einen Aufruf an die Branche. So kamen rund 2.400 Zimmer in insgesamt 116 Hotels zusammen. Thierry Schintgen (38), Betreiber des „Légère“, war einer, der sich gemeldet hat. Schon vor Corona merkte er den Einbruch – zunehmende Stornierungen, Absagen in letzter Minute. „Das ging schon in der letzten Februarwoche los“, sagt er. „Die Hälfte des Geschäftes ist weggebrochen.“ Er lebt vom Kongresstourismus, der mittlerweile völlig am Boden liegt. 53 seiner 56 Angestellten sind im „Chômage partiel“.
Die Grenzgänger belegen aktuell 30 Zimmer. Darunter sind laut Schintgen auch Luxemburger, die eine „Risikoperson“ in der Familie haben und Übertragungen vermeiden wollen. „Das Gros der Gäste sind mit Sicherheit aber Franzosen, danach kommen Belgier und Deutsche“, sagt er. Zimmerpreise wie zu Normalzeiten zwischen 180 und 250 Euro während der Woche erzielt er damit nicht.
Hotelier: „Tendenz steigend“
Das steht für ihn aber nicht an erster Stelle. „Wir machen das, weil wir es als unsere Aufgabe ansehen, in dieser Zeit den Gesundheits- und Pflegesektor zu unterstützen“, sagt Schintgen. Die Kosten für die Übernachtungen übernimmt nach Ministeriumsangaben das „Haut-Commissariat à la protection nationale“.
Aus Erpeldingen kam nach dem Aufruf ebenfalls ein Angebot. Nathalie Junker (43), die zusammen mit ihrem Bruder das Hotel Dahm betreibt, hat Zimmer zur Verfügung gestellt. Es ist wie das „Légère“ ein Vier-Sterne-Hotel und seit drei Generationen in Familienhand. Erpeldingen liegt nah an zwei Ettelbrücker Kliniken: dem „Centre hospitalier du Nord“ und dem „Centre hospitalier neuro-psychiatrique“. Dort und bei der „Fondation autisme“ arbeiten die derzeitigen Gäste des Hotels.
Von den 25 Zimmern sind momentan zehn belegt. „Tendenz steigend“, sagt Junker. „Es kommen jeden Tag welche dazu und sie bleiben über einen längeren Zeitraum.“ Darunter ist eine Ärztin, die mit einer Risikoperson zusammenlebt und deshalb nicht nach Hause will. „Viele andere sind hier, weil sie lange im Stau stehen müssten wegen der Grenzkontrollen“, sagt sie. „Und das bei den Überstunden und Schichtdiensten, die sie machen.“ Welche Bedeutung dem Angebot zukommt, zeigt die Tatsache, dass 70 Prozent der im medizinischen Bereich tätigen Personen in Luxemburg nach Regierungsangaben Grenzgänger sind.
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