/ In Sanem gibt es Ärger um den neuen Bebauungsplan: „déi Lénk“ darf nicht abstimmen
Wie alle anderen Gemeinden hat auch Sanem den allgemeinen Bebauungsplan (PAG) ausarbeiten müssen. Bereits im April 2018 wurde er vom Gemeinderat angenommen. Im Januar 2019 standen die Änderungsanträge zur Wahl. Nicht alle gewählten Räte durften votieren. Die Vertreter von „déi Lénk“ und drei weitere Gemeinderatsmitglieder mussten in die zweite Reihe. In einem Brief hat die „déi Lénk“-Fraktion dieses Vorgehen öffentlich gemacht, das Fragen aufwirft.
„Wir mussten uns in den Teil des Saales setzen, der der Öffentlichkeit vorbehalten ist, als abgestimmt wurde“, sagt Myriam Cecchetti. Die Gemeinderätin sitzt für „déi Lénk“ im Gemeinderat – genauso wie ihr Fraktionskollege Jos Piscitelli, der ebenfalls den Ratstisch verlassen musste. Beide sind empört. Was war geschehen?
Vor dem Hintergrund einer wachsenden Bevölkerung und des gestiegenen Bedarfs an Wohnraum müssen alle Gemeinden in Luxemburg über ihre Zukunft nachdenken. Sie müssen über Wachstum und das weitere Vorgehen bei der Bebauung nachdenken und auch darüber, wie die Gemeinde zukünftig aussehen soll.
Über diese Fragen haben auch Bürgermeister und Schöffen in Sanem nachgedacht. Sie haben das „nicht prinzipiell und vor allem nicht transparent genug“ gemacht, finden die beiden Vertreter von „déi Lénk“ im Sanemer Gemeinderat. „Eine politische Diskussion zur Entwicklung der Gemeinde ist nie geführt worden“, erneuert Rat Jos Piscitelli die Fundamentalkritik seiner Fraktion.
STECKBRIEF: SANEM
Die Gemeinde Sanem besteht aus vier Ortsteilen und gehört zum Kanton Esch. Zwei Drittel der Fläche, die allgemein als Belval bezeichnet wird, liegen auf dem Gemeindegebiet. Dementsprechend verteilen sich die Einwohner:
Beles: 7.367;
Zolver: 6.003;
Sanem: 2.740;
Ehleringen: 968.
Die Angaben stammen von der Gemeinde.64 Prozent der Einwohner sind Luxemburger, die größte Gruppe der Nicht-Luxemburger stellen mit 16 Prozent die Portugiesen.
Sanem ist mit rund 17.000 Einwohnern die sechstgrößte Gemeinde im Land und hat höchst unterschiedliche Ortsteile. Zwei Drittel des futuristisch-urbanistisch geprägten Terrains von Belval gehören genauso dazu wie traditionell dörflich geprägte Teile wie Ehleringen oder Sanem selbst oder das mit typischen Arbeiterhäusern dicht bebaute Zolver.
„Die Ausarbeitung des Plans läuft hinter verschlossenen Türen und wir Räte haben dann gerade mal fünf Werktage Zeit, uns mit dem über 2.000-seitigen Dokument auseinanderzusetzen“, kritisiert Piscitelli.
Im April 2018 war der neue PAG im Rat präsentiert und angenommen worden. 130 Reklamationen von Privatleuten aus der Gemeinde sowie Reklamationen von „déi Lénk“ hagelte es in der 30-tägigen Frist ab der Publikation in den Medien am 5. Mai 2018 im Anschluss.
Das Verfahren sieht vor, dass die Reklamationen dann ans Innenministerium gehen. Dieses gibt einen „Avis“ dazu ab, der anschließend einzeln noch einmal im Gemeinderat zur Abstimmung gestellt wird. Das passierte am 11. Januar 2019 – allerdings unter Ausschluss der Linke. Sie wurden per E-Mail von der Gemeinde darüber informiert, dass sie nicht teilnehmen dürfen. Der Schöffenrat beruft sich in der E-Mail, die der Redaktion vorliegt, auf „Rücksprache mit dem Innenministerium“. Die Begründung: Beide Räte hätten ein persönliches Interesse, weswegen laut Artikel 20 des Gemeindegesetzes ein Votum verwehrt bleibe. Sie könnten nicht „juge et partie“ gleichzeitig sein. Von demselben Vorwurf waren auch noch drei andere Gemeinderäte betroffen, die ebenfalls im Zuschauerraum Platz nehmen mussten.
„Allgemeine Bedenken“
„Das, was wir in unserer Stellungnahme kritisiert haben, sind keine PAG-Änderungen, die uns persönlich betreffen“, sagt Piscitelli. „Das waren allgemeine Reklamationen.“ Eine davon ist die Regelung, bei der 500 Häuser in der Gemeinde zum „intérêt communal“ deklariert wurden. Das heißt, es dürfen dort keine baulichen Erweiterungen gemacht werden. Das betrifft den geplanten Bau eines Wintergartens sowie andere Anbauten. „Die Eigentümer sind nicht angeschrieben worden“, sagt Piscitelli, „sie wissen gar nicht, was das für sie heißt.“
Außerdem wurden Teile der Ortschaften Beles, Sanem und Zolver zu Zonen erklärt, in denen zukünftig nur noch Einfamilienhäuser gebaut werden dürfen. In diesen Zonen dürfen nur 40 Prozent des Hauses gewerblich genutzt werden, was aus Piscitellis Sicht der bestehenden Nutzung widerspricht. „Und was ist mit dem Restaurant, das mehr als 40 Prozent des Hauses im Zentrum von Beles belegt?“, fragt Piscitelli. Nach dem neuen PAG dürfen sich zudem in eben diesen Zonen nur noch Angehörige einer „profession libérale“ ansiedeln, und das auch nur auf 20 Quadratmetern für ihr „Business“.
„Was ist denn mit dem Friseur, der schon da ist?“, fragt Piscitelli weiter, der sich auch für die Handwerksberufe starkgemacht hat. Aus diesen und anderen Bedenken sind 19 Reklamationen hervorgegangen, über die am 11. Januar im Gemeinderat ohne die fünf Vertreter, die in den öffentlichen Teil des Sitzungssaals umziehen mussten, abgestimmt wurde.
„Alle sind betroffen“
Die von „déi Lénk“ eingereichten Änderungen sind umso brisanter, als die Gesetzgebung vorsieht, dass nach dem „avis“ des Innenministeriums zu den Reklamationen anschließend nur noch darüber im Rat abgestimmt wird, und nicht mehr über den PAG als Ganzes. Die Gemeinderatssitzung am 11. Januar war lang. 130 Dossiers wurden zur Abstimmung gestellt und Teile der Reklamationen von „déi Lénk“ angenommen.
So soll die „activité artisanale“ in den Zonen mit Einfamilienhäusern genauso erlaubt sein wie die Ausdehnung auf 30 Quadratmeter Fläche für die gewerblichen Aktivitäten. Das sind nur zwei Beispiele, die in den neuen PAG einfließen werden. Das ändert trotzdem nichts daran, dass beiden Gemeinderäte die Welt nicht mehr verstehen.
„Alle im Rat sind von allem, was im PAG ausgearbeitet wurde, als Einwohner direkt oder indirekt betroffen“, sagt Piscitelli, „das geht über mehrere Generationen, wenn ganze bestehende Viertel umgewidmet werden.“
Die Auseinandersetzung ist noch nicht beendet. Am 29. Januar haben die beiden „déi Lénk“-Räte schriftlich Protest beim Innenministerium gegen den Ausschluss bei der Abstimmung eingelegt.
Das sagt das Innenministerium
In der E-Mail des Sanemer Schöffenrates zur Begründung, warum die beiden Räte nicht abstimmen dürfen, heißt es: „Et spillen hei suwuel den Artikel 20 vum Gemengegesetz betreffend den ‚devoir de délicatesse‘ vun de Gemengerotsmemberen sou wéi och den unerkannte juristesche Prinzip ’nul ne peut être juge et partie
à la fois‘.
Auf Anfrage des Tageblatt antwortet das Innenministerium:
„Devoir de délicatesse“: „Das Innenministerium empfiehlt den Gemeinderatsmitgliedern in diesen Fällen grundsätzlich eine zurückhaltende Vorgehensweise, um die Rechtssicherheit der Beschlüsse des Gemeinderates zu gewährleisten und auch um die Gemeinderatsmitglieder vor dem Begehen einer möglichen Straftat zu schützen. Hierauf bezieht sich der zitierte ‚Devoir de délicatesse‘: Im Zweifelsfall sollten sich die Gemeinderatsmitglieder eher von der Abstimmung fernhalten. Sollten nämlich in den eingereichten ‚Observations‘ persönliche Interessen oder die Interessen von Familienmitgliedern (bis dritten Grades) betroffen sein und die Gemeinderatsmitglieder hätten an der Abstimmung teilgenommen, so würde Artikel 20 des Gemeindegesetzes greifen und es müsste dann auch seitens des Ministeriums Anklage erhoben und die Verweigerung der Genehmigung des Gemeinderatsbeschlusses erwogen werden.“
„Nul ne peut être juge et partie à la fois“: „Das Prinzip ’nul ne peut être juge et partie à la fois‘ ist ein allgemeines Rechtsprinzip, welches hier insofern Anwendung findet, als dass die beiden Räte sich aufgrund ihrer eingereichten ‚Observations‘ zu Beteiligten eines Prozesses machten, über welchen sie dann später selber abstimmen würden.
Dies ist auch bei den ‚Observations‘ der Gemeinderäte der Fall, die kein direktes persönliches Interesse betreffen, und gilt daher in jedem Fall.“
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