/ Institutionen und zivile Akteure tauschen sich zum Inklusions-Einkommen „Revis“ aus
Seit Anfang des Jahres ist das Gesetz über das Einkommen zur sozialen Eingliederung in Kraft. Für eine Bilanz ist es noch zu früh. Einige Akteure trafen sich allerdings gestern auf Einladung des Roten Kreuzes für eine erste Bestandsaufnahme.
Die Reform des sozialen Mindesteinkommens war eine sehr anspruchsvolle und aufwendige. Um sich dies zu verdeutlichen, genügt es, das Konvolut an offiziellen Dokumenten zu betrachten, das die Abgeordnetenkammer während der Genese der Reform auf ihrer Internetseite veröffentlicht hat. An ihrem Ende stand das Verschwinden des Arbeitslosengeldes RMG, das es in dieser Form in Luxemburg seit den 1980er Jahren gab.
Ersetzt wurde es durch das soziale Inklusionseinkommen „Revis“. Angenommen wurde die Reform mit den Stimmen der Mehrheitsparteien (DP, LSAP und Grüne) sowie der ADR.
Seit Januar 2019 ist die Reform in Kraft. In drei Jahren soll eine Bilanz der Reform gezogen werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Reform nun reibungslos implementiert ist und die Akteure die Hände in den Schoß legen können, bis in einer Evaluierung ein Richterspruch gefällt wird.
Es besteht Kommunikationsbedarf. Die einzelnen Akteure, darunter das Arbeitsamt (ADEM), das nationale Amt für soziale Eingliederung (ONIS) und nicht zuletzt die Bezieher müssen sich mit den neuen Regeln zurechtfinden.
Für Montag (20.5.) hatte deshalb das Rote Kreuz Luxemburg die Akteure nach Leudelingen eingeladen, um eine erste Bestandsaufnahme zu machen und sich auszutauschen. Wer von den Verwaltungen und Vertretern der Zivilgesellschaft eine harsche Kritik an der Reform erwartet hat, der wurde enttäuscht.
„Es ist nicht unser Ziel, heute bereits eine Bilanz zu ziehen“, sagt Patrick Salvi vom Roten Kreuz. Grund zur Besorgnis gibt es seines Erachtens nicht. Vielmehr gehe es um das „Fine Tuning“. Die Akteure müssten nun einmal kommunizieren, um sich abzustimmen. Genau deshalb habe das Rote Kreuz die Gelegenheit beim Schopf gepackt und die Akteure eingeladen.
10.000 Haushalte betroffen
Laut dem Familienministerium bezogen mehr als 10.000 Haushalte das (alte) garantierte Mindesteinkommen RMG. Das sind rund 20.000 Menschen, darunter 7.000 Kinder. Bei mehr als der Hälfte der Haushalte (54%) handelte es sich um allein lebende Erwachsene. Bei rund einem Fünftel der Haushalte (21%) handelte es sich um solche mit zwei Erwachsenen und einem oder mehreren Kindern. 13% der Bezieher des RMG waren alleinerziehende Eltern mit einem oder mehreren Kindern. Sie gelten oft als die wirtschaftlich schwächsten Haushalte. Rund ein Drittel der Bezieher des RMG waren laut Familienministerium zwischen 30 und 49 Jahre alt.
Wer das Revis beziehen kann, ist genau geregelt. Die Person muss in Luxemburg ansässig sein, mindestens 25 Jahre alt und beim Arbeitsamt eingeschrieben sein. Sie muss sich außerdem bereit zeigen, alles zu tun, um ihre Situation zu verbessern. Die zahlreichen Ausnahmen zur Regel sind ebenfalls im Gesetz niedergeschrieben: Schwangere, Kranke, Rentner, Menschen, die aufgrund einer Behinderung nicht arbeiten können …
Das Revis gilt – jedenfalls in der Theorie – als ausreichend, damit ein Haushalt davon leben kann. Die Statistikbehörde Statec hat sich damit beschäftigt und folgende Rechenbeispiele ermittelt:
Bei einem Ein-Personen-Haushalt beträgt das Einkommen, das einen angemessenen Lebensstil ermöglicht, 1.996 Euro. Ein solcher Haushalt kann 1.999 Euro Revis erhalten.
Bei einem Zwei-Personen-Haushalt ohne Kinder beträgt das Einkommen, das einen angemessenen Lebensstil ermöglicht, 2.707 Euro. Ein solcher Haushalt kann 3.655 Euro Revis erhalten.
Bei einem Zwei-Personen-Haushalt mit zwei Kindern beträgt das Einkommen, das einen angemessenen Lebensstil ermöglicht, 4.079 Euro. Ein solcher Haushalt kann 4.638 Euro Revis beziehen. Damit liegt das Haushaltseinkommen einer vierköpfigen Familie, die Revis erhält, um 559 Euro über dem, was sie mindestens fürs Leben braucht.
Die Beträge setzen sich zusammen aus Komponenten, die pro Person gezahlt werden, und Komponenten, die pro Haushaltsgemeinschaft gezahlt werden.
Als Haushaltsgemeinschaft gelten Menschen, die zusammen wohnen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie ein gemeinsames Budget haben. Anders als beim RMG können heute auch mehr als eine Person in der Haushaltsgemeinschaft ein Revis beziehen.
Ihr Ministerium sei zufrieden, sagte gestern in Leudelingen Dominique Faber. Sie vertrat beim Rundtischgespräch das Familienministerium. Das Revis biete einen höheren Mehrwert als das RMG, so die Beamtin. Natürlich sei das Revis ein Sozialtransfer. Darüber hinaus sei es aber auch ein „Instrument, um Menschen, die drohen, aus der Gesellschaft herauszufallen, zu inkludieren“. Es gehe auch darum, soziale Isolation zu vermeiden und Menschen eine Beschäftigung/Arbeit zu geben.
Drei maßgebliche Akteure
Sie unterstrich, dass die Maßnahmen des Revis besonders auch Frauen zugutekommen. Zum Beispiel deshalb, weil Alleinerziehende profitierten und es sich dabei meist um Frauen handele.
Ein Teil der Leistungen des Revis wird Aktivierungszulage genannt. Dabei handelt es sich um Gelder, die nur unter der Voraussetzung gezahlt werden, dass der Bezieher an Aktivierungsmaßnahmen teilnimmt. Dabei kann es sich etwa um gemeinnützige Beschäftigungen handeln oder um Fortbildungen.
In der Praxis des Revis sind vor allem drei Institutionen unausweichlich: die Arbeitsagentur (ADEM), das Nationale Amt für soziale Eingliederung (ONIS) sowie der Nationale Solidaritätsfond (FNS). Der FNS ist für die Verwaltung und für die Auszahlung der Gelder zuständig. Jeder erwerbsfähige Antragsteller unter 65 wird allerdings zuerst bei der ADEM einem „Profiling“ unterzogen. D.h. die Arbeitsagentur erstellt ein Profil des Antragsstellers und entscheidet darüber, ob die Person direkt, unter der Obhut der ADEM, in den Arbeitsmarkt eingegliedert wird oder ob das ONIS zuständig ist. Das ONIS betreut Personen intensiver und unterstützt mit niederschwelligen Aktivierungsmaßnahmen.
Seit Anfang Januar hat die ADEM mehr als 1.700 solcher Profile erstellt. Bei 791 dieser Profile handelt es sich um neue Antragsteller, die zuvor nicht eingeschrieben waren.
Das Profiling verlaufe nach festgelegten, objektiven Kriterien, sagt ADEM-Vizedirektorin Gaby Wagner. Sie erteilte gestern dem Vorurteil, die ADEM verwalte die Arbeitslosen, eine Abfuhr. „Die ADEM von heute ist nicht die ADEM von vor zehn Jahren“, sagte sie. Die ADEM habe durchaus Mitarbeiter, die in sozialen Belangen geschult sind.
Die vielen neuen Anträge bedeuten für die ADEM ein erhebliches Mehr an Arbeit. Und: die Reform macht sich in der Arbeitslosenstatistik bemerkbar. Zuletzt war die Arbeitslosenquote leicht gestiegen. Die Arbeitsagentur hatte dies u.a. darauf zurückgeführt, dass einige Menschen die Revis-Reform bereits im letzten Jahr antizipiert haben und sich deshalb arbeitslos gemeldet hatten.
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