Eng Zukunft zu Lëtzebuerg (EZZL) / Integrationshelfer ziehen Bilanz: „Habe per Telefon auch bei einer Geburt geholfen“
Siggy Koenig, Lamia Nadi-Pauly und Ghassen Hbari haben sich jahrelang für arabischsprachige Flüchtlinge in Luxemburg eingesetzt. 2023 hat die Vereinigung „Eng Zukunft zu Lëtzebuerg“ jedoch ihre Türen schließen müssen.
Es ist ein kalter Januarmorgen, an dem Siggy Koenig das Tageblatt in seinem Zuhause in Luxemburg empfängt. „Haben Sie es gefunden?“, lacht der Rentner mit weißem Vollbart einem entgegen, bevor er den Weg in die Stube geleitet und einen Kaffee anbietet. An einem langen Holztisch sitzen Lamia Nadi-Pauly und Ghassen Hbari. Sie haben sich wie Siggy Koenig auch über die letzten vier Jahre in der Vereinigung „Eng Zukunft zu Lëtzebuerg“ (EZZL) engagiert, die arabischsprachigen Flüchtlingen beim Gang durch den Luxemburger Behördendschungel und Zurechtfinden in der Luxemburger Gesellschaft unterstützt. Kurzum: Sie habend dringend benötigte Integrationsarbeit geleistet. Sie sind seit Jahreswechsel arbeitslos, denn: „Eng Zukunft zu Lëtzebuerg“ hat am 31. Dezember seine Türen geschlossen.
„Wie wollen Sie denn vorgehen?“, fragt Siggy Koenig nach einer kurzen Vorstellungsrunde. Anders als andere Organisationen hat EZZL nur sehr selten den Weg an die Öffentlichkeit gesucht. Viel eher habe man den direkten Kontakt mit den Behörden, Ministerien und der Politik im Allgemeinen gesucht. „Wir haben uns nur in Ausnahmefällen an die Presse gewandt“, sagt Koenig. Auch weil man zu viel Arbeit hatte, um sich noch um die Öffentlichkeitsarbeit zu kümmern. „Vor allem aber haben wir versucht, alle Angelegenheiten im Sinne der Schutzsuchenden zu regeln.“ Unzählige E-Mails und Dokumente, die das EZZL dem Tageblatt hat zukommen lassen, belegen den konstanten Austausch zwischen den Helfern beim EZZL und den Luxemburger Verwaltungen.
Wie alles begann
Der Ursprung von EZZL liegt bei Alphabetisierungskursen, welche die ASTI ab 2015 im Rahmen des Projektes „Mateneen“ organisierte, erklärt Koenig. Im Rahmen des Projektes „Mateneen“ habe man schnell erkannt, dass die arabischsprachigen Flüchtlinge nicht nur sprachlich Hilfe benötigen würden. „Diese Menschen waren auch, was die administrativen Vorgänge im Land angeht, völlig verloren“, sagt Koenig. Deshalb habe man sich entschieden, diesen Menschen das Konstrukt Luxemburg aus administrativer, aber auch aus kultureller Sicht näherzubringen.
Entstanden sind in der Folge eine große Sammlung an Texten in arabischer und französischer Sprache, die auf Facebook publiziert worden sind. „Das sind Texte über historische Events in Luxemburg und Luxemburger Persönlichkeiten wie beispielsweise Charly Gaul“, erklärt Koenig. Auch wurden Texte zum REVIS, der Krankenversicherung, die Ehe und Scheidung oder auch den Ombudsmann auf Arabisch übersetzt. „Wir mussten ihnen halt erklären, was man in Luxemburg tun und lassen sollte.“
In der Anfangszeit habe man aber auch ganz gezielt ein Gegengewicht zu den Proselyten herstellen wollen. „Das sind nicht unbedingt Islamisten“, meint Koenig. „Ich würde aber sagen, dass es Ideologen sind, welche die Integration mit dem Aufgeben von Identität und Glauben gleichsetzen, und den Schutzsuchenden hier im Land Hilfe angeboten haben – gegen eine kleine Gegenleistung wie beispielsweise den Besuch in der Moschee.“ Und dieses Gegengewicht habe man durch die kostenlose und kompetente Hilfe von EZZL – ohne Gegenleistung – schlussendlich auch herstellen können.
Dschungelführer in Luxemburg
Der „Oeuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte“ habe man das Projekt 2018 letztendlich vorgestellt – und eine Finanzierung für zwei Jahre erhalten. Diese sei ausnahmsweise zweimal für ein Jahr verlängert worden, bis sie 2022 ausgelaufen ist. „Wir mussten alles verlängern, weil wir es eben größtenteils nicht mit Akademikern zu tun hatten, sondern mit Menschen ohne Schuldbildung: Arbeitern, Kleinkrämern, Bauern und Tagelöhnern“, sagt Koenig.
„Wir haben es in allererster Linie mit Menschen zu tun“, führt Lamia Nady-Pauly weiter aus. Lamia ist ausgebildete Übersetzerin und damit eigentlich fast prädestiniert für den Job der letzten Jahre. „Das war, wirklich ist, die Essenz unserer Arbeit.“ Vereinfacher, Mediator, Vertrauensperson – und der eine oder andere Notfall, auf den man natürlich schnell reagieren musste. Meist handelte es sich dabei um eingeschriebene Briefe, die schnell beantwortet werden mussten. „Einmal habe ich während der Pandemie per Telefon auch bei einer Geburt geholfen“, erinnert sich Lamia an die etwas skurrile Situation und lacht. „Es war wirklich das volle Programm.“
Ich habe ihn gefragt, wie er sich das denn genau vorstelle, eine Gynäkologin in einer Welt zu finden, in der Mädchen keine Schule besuchen dürfengelernter Informatiker und Integrationshelfer bei EZZL
Eins haben aber alle aus ihren Erfahrungen bei EZZL mitgenommen. „Die meisten Probleme waren eigentlich nur Missverständnisse“, sagt Ghassen Hbari. Ghassen war vor seiner Zeit bei „Eng Zukunft zu Lëtzebuerg“ „Médiateur interculturel“ beim Luxemburger Roten Kreuz. Für Personen, die in Luxemburg einen Schutzantrag stellen oder diesen bereits genehmigt bekommen haben, gebe es verschiedene administrative Prozeduren. Die richtige zu finden, sei demnach nicht immer leicht gewesen. „Dann muss man manchmal auch etwas tiefer graben“, sagt Ghassen. „Wenn der Ursprung des Problems erst einmal gefunden war, war das Problem auch meist recht schnell behoben.“
Von administrativen Irrwegen und Pädagogik
Solche Probleme habe man aber nutzen können, um die meist aus Syrien zugezogenen Personen über die Luxemburger Kultur aufzuklären. „Ich habe es das Verschlossene-Kisten-Syndrom getauft“, sagt Ghassen und erklärt, was er damit meint: „Es haben Menschen den Weg hierher gefunden, die 50 Jahre in einer Diktatur gelebt haben“, sagt der gelernte Informatiker. „Sie haben ein anderes Verhältnis zur öffentlichen Verwaltung und der Polizei als wir.“ Dass Briefe geöffnet werden müssen, Zahlungsmahnungen respektiert und verschiedene Fristen eingehalten werden müssen, haben viele Personen erst lernen müssen. „Ich denke aber, dass es uns gelungen ist, den Menschen Luxemburg etwas näherzubringen.“
Dass für viele Schutzsuchende Luxemburg einen Kulturschock darstellte, kann auch Lamia bezeugen. „Ich hatte eine junge Frau, die im positiven Sinne traumatisiert war, wie nett und hilfsbereit Luxemburger Polizisten sind“, sagt Lamia. Ghassen kann dem nur zustimmen. „In Syrien wurden in der Verwaltung Backpfeifen verteilt, um eine Art Autorität herzustellen“, erzählt Ghassen von den Erfahrungen der in Luxemburg Schutz Suchenden. „Wenn das die Begrüßung ist, können Sie sich ja vorstellen, wozu die Behörden dort fähig sind.“ Und Lamia fügt an: „Kein Wunder also, dass Syrer in Luxemburg erst mal die Straße wechseln, wenn ihnen Polizisten entgegenkommen.“ Ob das den Luxemburger Polizisten, die das ja als eher suspektes Verhalten aufnehmen könnten, denn auch vermittelt werde? „Ich hoffe es“, sagt Lamia und fügt scherzend an: „Sonst geben wir auch gerne Seminare zu dem Thema.“
Kulturschock
Kulturelle Unterschiede gebe es aber auch sonst genügend. „Polygamie, Einsperren der eigenen Familie, das Schlagen von Frau und Kindern oder das Verheiraten einer minderjährigen Tochter – das sind alles Dinge, die in Luxemburg nicht gehen“, sagt Siggy Koenig. „Das aber muss man den Menschen so auch klipp und klar sagen.“ Teils habe das auch zu sehr skurrilen Situationen geführt. „Ein Mann wollte, dass ich für seine Frau eine Gynäkologin finde, die auch Arabisch spricht“, erinnert sich Ghassen an einen speziellen Fall. Gleichzeitig habe dieser Familienvater sich gegen Schulbildung für Mädchen ausgesprochen. „Ich habe ihn gefragt, wie er sich das denn genau vorstelle, eine Gynäkologin in einer Welt zu finden, in der Mädchen keine Schule besuchen dürfen.“
Gegensätze, mit denen sich die beiden Vorkämpfer des EZZL fast tagtäglich auseinandersetzen mussten – und schließlich eine Stärke und Kernkompetenz des EZZL ausgemacht hätten. „Fast niemandem hier im Land können sich diese Menschen so anvertrauen wie Ghassen und Lamia“, ist Siggy Koenig überzeugt. 560 Familien und Einzelpersonen habe man insgesamt betreut. – und aus den Problemen gelernt. „Wir haben versucht, die verschiedenen Probleme der Menschen zu abstrahieren und daraus allgemeingültige Leitfäden zur Luxemburger Kultur, dem politischen System, Geschichte und den verschiedenen Behörden geschrieben“, so Lamia.
Lichtblicke
Apropos Behörden: „Auch wenn wir hier über die Probleme im Alltag reden, muss man sagen, dass es in Luxemburg eigentlich ganz gut funktioniert“, sagt Lamia. Aus dem Jugoslawien-Krieg habe man viel gelernt, was in der Syrien-Krise umgesetzt wurde, meint auch Koenig. Erfahrungen, die auch bei der Ankunft der ukrainischen Flüchtlinge wertvoll waren. „Der Flüchtlingsempfang in Luxemburg ist bestens organisiert – nur bei der Integration hapert es“, sagt Lamia. Nur: „Wenn es hakt, dann aber richtig.“ So würde vielen Syrern weiterhin die Arbeitserlaubnis in bestimmten Berufsfeldern verweigert werden, weil sie keine Diplome oder Zeugnisse vorlegen können.
„Das System funktioniert in Damaskus halt anders als in Luxemburg“, so der Tenor der drei Flüchtlingshelfer. Dort habe man einen Beruf „hands-on“ und durch Imitation des Meisters erlernt, ohne beglaubigtes Diplom. „In Luxemburg wird ihnen dann einfach ein Gärtnerjob angeboten“, erklärt Ghassen die gängige Vorgehensweise. Man könne vielleicht durch Praxis-Tests die angegebene Expertise testen und die Menschen dort einsetzen, wo sie jahrelange Erfahrung hätten, regt Ghassen an. „Ganz ohne Papierkram“, fügt Siggy Koenig hinzu. Und wenn die Verwaltungen es nicht mehr schaffen, gibt es ja die Zivilgesellschaft mit Vereinigungen wie EZZL – die diese Last aber nicht alleine stemmen konnten.
Wir haben es hier mit Menschen zu tun. Das war die Essenz unserer Arbeit.Gelernte Übersetzerin und Integrationshelferin bei EZZL
Was nach vier Jahren bei allen vier überwiegt, ist teilweise Frust – doch mehrheitlich Stolz auf die geleistete Arbeit. „Ich erinnere mich an einen Familienvater von fünf Kindern, der seine Krankenversicherungskarte bei der CNS beantragen wollte“, sagt Ghassen. Ich habe ein Video aufgenommen, wie ich das Formular für ihn ausgefüllt habe, und habe ihm das dann zugeschickt, damit er das für seine fünf Kinder imitieren kann. „Als er die Karten seiner Kinder von der Krankenkasse zugeschickt bekommen hat, hat er fast eine Party veranstaltet“, erzählt Ghassen. Der Vater habe Fotos von den fünf Karten geschickt und dann auch ekstatisch angerufen. „Eigentlich eine banale Sache, die uns keine fünf Minuten kostet“, sagt Ghassen. „Aber für ihn war das ein riesiges Erfolgserlebnis.“
- Von Dynamik und Statik: Xavier Bettels Europa- und Außenpolitik braucht neue Akzente - 19. November 2024.
- CSV und DP blicken auf ereignisreiches Jahr zurück - 18. November 2024.
- „déi Lénk“ sieht von „Interessenkonflikten durchsetzte“ Institution - 13. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos