Anti-LGBT Petition / Interview mit EU-Abgeordneten: Tilly Metz und Marc Angel hoffen auf Dialog
Vor zwei Wochen sprachen die Europaabgeordneten Tilly Metz („déi gréng“) und Marc Angel (LSAP) mit dem Tageblatt über ihren politischen Einsatz für LGBTIQA+-Rechte, heute zeigen sie sich besorgt über die Petition, die ein Verbot von LGBT-Themen an luxemburgischen Schulen fordert. Ein Gespräch.
Tageblatt: Tilly Metz, Marc Angel, Sie haben sich am Mittwoch in einem offenen Brief gegen die Petition positioniert, die ein Verbot von LGBT-Themen an luxemburgischen Schulen fordert. Wie kam es zu diesem gemeinsamen Statement?
Marc Angel: Wir sind uns in Brüssel über den Weg gelaufen und haben uns über die Petition ausgetauscht. Wir sind beide Mitglieder der „LGBTI Intergroup“ des Europäischen Parlaments – ich bin Co-Präsident –, sprechen also oft über diese Themen. Uns war klar, dass wir schnell handeln müssen.
Fand ein Austausch mit den anderen Europaabgeordneten statt?
Tilly Metz: Aus Zeitgründen noch nicht. Wir sind jedoch offen, das Gespräch mit den Kolleg*innen zu suchen. Uns war es zunächst wichtig, als Mitglieder der „LGBTI Intergroup“ sowie als schwule bzw. queere Politiker*innen den LGBTIQA+-Communitys unsere Unterstützung auszusprechen.
Sorgt die Petition für Gesprächsstoff in der „LGBTI Intergroup“?
M.A.: Das Exekutivbüro der „LGBTI Intergroup“ kommt erst im September wieder zusammen. Ich werde das Thema einbringen. Dies besonders vor dem Hintergrund, dass wir weltweit organisierte Anti-Gender- und Anti-LGBTIQA+-Bewegungen beobachten. Das ist besorgniserregend: Sie sind online wie offline gut vernetzt, erhalten politische Unterstützung, juristische Beratung sowie den Zuspruch von Fundamentalist*innen; sie sind in den sozialen Medien präsent und führen gemeinsame Aktionen gegen die Communitys durch.
Sind sich die Unterzeichnenden bewusst, wie sehr sie diese Menschen mit ihrer Forderung verletzen? Sie vermitteln den Betroffenen – und gegebenenfalls deren Kindern –, dass ihre Existenz eine Gefahr für andere ist.EU-Abgeordnete („déi gréng“)
Auch in Luxemburg?
M.A.: Kannten wir solche Gruppierungen bisher eher aus großen Ländern wie den USA, machen sie sich jetzt auch in Europa – und dort auch in kleineren Ländern – bemerkbar. Konkret denke ich an Gruppen wie die „Manif pour tous“ in Frankreich oder allgemein an die Pro-Life-Bewegungen. Zwar ist mir die Person unbekannt, welche die Petition hierzulande eingereicht hat, doch es ist möglich, dass entsprechende Netzwerke dahinterstecken. Ich hätte jedenfalls nie erwartet, dass sich solche Tendenzen in Luxemburg manifestieren.
Frau Metz, wie bewerten Sie die Befürchtung der Unterzeichnenden, Heranwachsende würden durch LGBTIQA+-Themen in ihrer Entwicklung gestört, aus psychologischer und pädagogischer Sicht?
T.M.: Es gibt meines Wissens keine wissenschaftlichen Studien, die das belegen. Im Gegenzug ist für mich klar, dass ein queerfeindlicher Diskurs Kindern und Jugendlichen schadet, die dem LGBTIQA+-Spektrum zugehörig sind oder in einer Familie mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen. Eine Frage, die ich mir stelle: Sind sich die Unterzeichnenden bewusst, wie sehr sie diese Menschen mit ihrer Forderung verletzen? Sie vermitteln den Betroffenen – und gegebenenfalls deren Kindern –, dass ihre Existenz eine Gefahr für andere ist. Es ist normal, Ängste zu haben, sich um das Wohl seiner Familie zu sorgen, doch die Antwort darauf darf nicht ausgrenzend sein. Diese Dynamik kommt rechtsextremen Diskursen gleich, in denen es darum geht, die Gesellschaft zu spalten, statt sie zusammenzubringen. Um dem entgegenzuwirken, müssen wir von klein auf lernen, mit Unterschieden umzugehen und zusammenzuleben.
M.A.: Die sexuelle und affektive Bildung ist darüber hinaus unheimlich wichtig: Kinder und Jugendliche verbringen heute viel Zeit im Internet und haben durch das Smartphone oft uneingeschränkten Zugriff auf alle möglichen Informationskanäle, die für ihr Alter unangemessen sind. Es ist deswegen essenziell, dass sie in der Schule oder durch informelle Bildungsangebote über all diese Themen informiert werden.
Inwiefern?
M.A.: Heranwachsende sollen – ihrem Alter entsprechend – über Liebe, Gefühle, Sex aufgeklärt werden. Nur so können sie ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen erkennen. Es braucht, wie gesagt, eindeutig altersgerechte Lehrprogramme, die solche Inhalte aufgreifen – und darunter fallen eben auch LGBTIQA+-Fragen. Wissen Sie, in meiner Generation begingen viele junge Männer Suizid, weil sie sich vor dem Coming-out fürchteten. In Ungarn besteht bereits ein Gesetz, nach dem LGBTIQA+-Themen unter dem Deckmantel des Kinder- und Jugendschutzes nicht mehr an Minderjährige vermittelt werden dürfen. Ich habe damals zum ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban gesagt: „An Ihren Händen klebt Blut.“
Was meinen Sie damit?
M.A.: Solche Gesetze und Forderungen erschüttern Menschen zutiefst und treiben sie schlimmstenfalls in den Suizid. Niemand wird durch Lerninhalte LGBT oder nicht-binär – das sind Identitäten, keine Modeerscheinungen, die man sich nach Belieben aussucht. Mich stört in dem Sinne auch, dass Anti-Gender und Queerfeind*innen behaupten, es würde neuerdings „nur noch“ über LGBTIQA+-Themen diskutiert – wenn Debatten darüber stattfinden, dann meistens, weil wir uns gegen Hass und Hetze wehren und unsere Rechte verteidigen müssen!
Drücken solche Petitionen Misstrauen gegenüber dem Bildungssystem aus?
T.M.: Allgemein halten sich viele Menschen für Bildungsexpert*innen, nur weil sie selbst eine Schule besucht haben. Das ist jedoch selbstverständlich nicht mit fundierten Kenntnissen in den Erziehungswissenschaften zu vergleichen. Das Lehrpersonal und andere Akteur*innen, die beruflich im Kinder- und Jugendbereich aktiv sind, kennen sich genau mit der altersgerechten Wissensvermittlung aus. Die Erarbeitung von Lehrprogrammen ist ein langwieriger Prozess: Es wird debattiert und es sind mehrere Instanzen daran beteiligt. Die Inhalte und Lernziele werden gemeinsam definiert. Das bedeutet nicht, dass die Kritik und Ängste der Erziehungsberechtigten ignoriert werden sollten, doch es braucht ihrerseits auch Vertrauen in die Kenntnisse der Bildungsbeauftragten.
War die Zulassung der Petition Ihrer Meinung nach ein Fehler?
T.M.: Das möchte ich als Europaabgeordnete nicht beurteilen. Für mich verstößt der Petitionstext gegen die Werte der luxemburgischen Verfassung und die der Europäischen Union. Selbst wenn die Mitglieder der Petitionskommission argumentieren, der Text enthalte keine explizit diskriminierenden Aussagen. In dem Fall wäre es sinnvoll, die Kriterien, nach denen eine Petition zulässig ist, zu überdenken. Das könnte eine Grundsatzdiskussion über die Meinungsfreiheit auslösen: Greift diese, wenn die hervorgebrachte Haltung gegen Menschenrechte verstößt und einer inklusiven Gesellschaft entgegenwirkt?
Solche Gesetze und Forderungen erschüttern Menschen zutiefst und treiben sie schlimmstenfalls in den Suizid. Niemand wird durch Lerninhalte LGBT oder nicht-binär – das sind Identitäten, keine Modeerscheinungen, die man sich nach Belieben aussucht.EU-Abgeordneter (LSAP)
Hätten Sie die Petition also abgelehnt?
T.M.: Ja, weil eine Petition meiner Meinung nach nicht der richtige Weg ist, um dieses Thema zu behandeln. Im Moment erleben wir nämlich eine Eskalation, die es zugunsten eines konstruktiven Gesprächs zu vermeiden gilt.
M.A.: In meiner Zeit als Abgeordneter war ich in der Petitionskommission aktiv. Ich habe mir diesen Text mehrfach durchgelesen. Er ist geschickt formuliert. Formal gesehen gab es keinen Grund, die Petition abzulehnen.
Was erhoffen Sie sich von der Debatte rund um die Petition?
T.M.: Ich hoffe, dass sich der Slogan „les reproches rapprochent“ in diesem Fall bewahrheitet: Ich wünsche mir, dass wir Brücken schlagen und miteinander sprechen können. Am Ende geht es um fundamentale Menschenrechte und Respekt.
M.A.: Für mich kommt es jetzt auf die öffentliche Debatte in der Abgeordnetenkammer an: Wie begründen die Unterzeichner*innen die Petition? Wer bestärkt sie darin? Und wie reagieren die Abgeordneten?
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