Unternehmen und Menschenrechte / Interview mit Jean-Louis Zeien: Lieferkettenrichtlinie nur ein „erster Schritt“
Jean-Louis Zeien kritisiert im Tageblatt-Interview die Abschwächungen und Zugeständnisse bei der europäischen Lieferkettenrichtlinie. Nichtsdestotrotz nennt der Co-Koordinator der „Initiative pour un devoir de vigilance“ die Entscheidung für die Direktive „historisch“.
Tageblatt: Herr Zeien, waren Sie erleichtert, als die Entscheidung über die europäische Lieferkettenrichtlinie gefallen war?
Jean-Louis Zeien: Ja, das kann man so sagen. Es wäre rein zeitlich irgendwann nicht mehr möglich gewesen, wenn sich dieses Trauerspiel nach der eigentlichen Einigung im Dezember 2023 noch länger hingezogen hätte. Die gute Nachricht: Nun ist Schluss mit der Straflosigkeit, wenn Menschenrechte von Unternehmen mit den Füßen getreten werden. Aber der Preis, der dafür bezahlt wird, ist sehr hoch und muss zum Teil von den Opfern der Menschen- und Umweltrechtsverletzungen bezahlt werden. In unseren Augen ist das Ergebnis sehr durchwachsen, aber nichtsdestotrotz handelt es sich um eine historische Entscheidung. Auch wenn die Opfer nun einen Zugang zu rechtlichen Möglichkeiten gegen Unternehmen haben, gaben die EU-Mitgliedstaaten ein sehr hässliches Bild ab, nicht nur, was ihren Respekt der Menschenrechte, sondern auch der demokratischen Prozesse anbelangt, vor allem gegenüber dem EU-Parlament und der Europäischen Kommission. Nachdem eine politische Einigung zwischen diesen und dem Rat der Europäischen Union gefunden worden war, war es unverantwortlich, wie das Paket wieder aufgeschnürt wurde.
Schon im Dezember war man sich einig – bis Länder wie Deutschland, dabei insbesondere die FDP innerhalb der Bundesregierung, zu blockieren begannen.
Man muss leider mindestens zwei Länder dabei negativ hervorheben. Das eine ist, wie Sie schon sagten, Deutschland. Es war nicht ein sozialdemokratischer oder grüner Minister, der am Verhandlungstisch saß, sondern ein liberaler, der zwei Jahre lang mitverhandelt hatte und der während dieser Zeit Zugeständnisse, die Deutschland gefordert hatte, bekam. Nichtsdestotrotz hat die FDP dann die deutsche Regierung in dieser Frage gelähmt und sie innenpolitisch in Geiselhaft genommen, damit sie sich bei der Abstimmung auf EU-Ebene enthalten musste. Diese innenpolitische Blockadehaltung wurde dann in einer zum Teil unverantwortlichen Art und Weise auf die Ebene der Europäischen Union exportiert. Eigentlich war das unannehmbar. Dadurch wurden andere animiert. Dabei muss man bedauerlicherweise ein zweites großes Nachbarland nennen: Frankreich. Ich finde es traurig, dass ausgerechnet das erste Land (seit 2017), das weltweit ein Lieferkettengesetz hatte, jetzt auf EU-Niveau für die Verwässerung des Gesetzes sorgte. Frankreich hat nicht nur die Interessen seines Finanzsektors durchgesetzt, sondern dazu beigetragen, dass in der Endphase, als die Verhandlungen im sogenannten EU- Trilog eigentlich gelaufen waren, die Schwellenwerte dramatisch verändert wurden. Statt, wie ursprünglich vorgesehen, Unternehmen ab 500 Beschäftigten und einem Umsatz von 150 Millionen Euro, sind es nun Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 450 Millionen Euro, die unter eine direkte Sorgfaltspflicht fallen.
Wie viele Unternehmen sind das?
Dies ist umso skandalöser, weil der ursprüngliche Vorschlag auch nur unter einem Prozent der Firmen in der EU abgedeckt hätte. Wir schätzen, dass es durch die Änderungen jetzt nicht mehr 16.000, sondern weniger als 5.500 Firmen EU-weit sein werden. Das sind nur 0,05 Prozent der Unternehmen.
Also vergleichsweise wenig.
Auf Luxemburg heruntergebrochen, sind es nach ersten vorsichtigen Schätzungen 42 Unternehmen. Wobei es eine Unbekannte gibt, die zugleich ein Reizthema in den Verhandlungen war: die Holdings, die „Sociétés de participations financières“. Luxemburg hatte Vorbehalte gegen das Einbeziehen der Holdings angemeldet. Was sich zwischen dem vorletzten Text und der letzten Version geändert hat, wird ersichtlich, wenn man beide minutiös durchliest. Das Ja, das es schließlich gab, war nicht zuletzt mit Zugeständnissen für Luxemburg verbunden. Eine Holding aus Luxemburg darf ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht unter gewissen Voraussetzungen auf eines ihrer Tochterunternehmen, zum Beispiel in Italien oder Bulgarien, übertragen, wenn dieses Tochterunternehmen dort seinen Sitz hat. Die Bedingung ist, dass hierzulande keine Management-, Betriebs- oder Finanzentscheidungen gefällt werden. Das geht aber nicht automatisch. Die Aufsichtsbehörde muss dem erst zustimmen. Und, das ist die gute Nachricht, haftet doch die Holdinggesellschaft nachher gemeinsam mit der genannten Filiale dafür, die Verpflichtungen zu erfüllen. Unsere Forderung war ohnehin immer, dass Holdinggesellschaften dazu gehören. Dass sie nicht ausgenommen wurden, ist für uns eine gute Nachricht. Die schlechte wiederum ist, dass insgesamt der Finanzsektor weiterhin eine Extrawurst gebraten bekommen hat, besonders was die Investmentfonds anbelangt, aber auch die Banken. Diese sind weitgehend ausgenommen bei der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, wenn sie investieren oder Kredite vergeben.
Für die Umsetzung der Richtlinie sind Übergangsfristen vorgesehen.
Es wird leider noch ein paar Jahre dauern, bis sie vollständig greift. Für uns ist das viel zu lange. Auch für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die heute schon betroffen sind. Inakzeptabel eigentlich, wenn noch Jahre vergehen, in denen Kinderarbeit, Zwangsarbeit auf Plantagen oder todgefährliche Arbeitsbedingungen im Bergbau ungestraft bleiben und Opfer keinen Zugang zu Gerichten haben werden. Zumindest zeichnet sich am Horizont ab, dass es eine Verantwortlichkeit geben wird.
Haben Sie noch Hoffnung, was die Verantwortlichkeit des Finanzsektors angeht?
Auf jeden Fall. Wenn Luxemburg wirklich weltweit einen nachhaltigen Finanzplatz haben will, der diese Bezeichnung auch verdient, dann kann man bei der Umsetzung der Direktive in nationales Recht entsprechende Schritte schon jetzt einfließen lassen. Didier Reynders, der EU-Kommissar für Justiz und Rechtsstaatlichkeit, hat schon bei der Vorlage der Direktive betont, dass auch die EU-Staaten gerne über die Direktive hinausgehen können. Es gab auch Leute, die ein EU-Reglement wollten, weil sie genau das verhindern wollten. Es ist allerdings auch gut, wenn es bestimmte Artikel in der Direktive gibt, die nicht den nationalen Eigenheiten überlassen werden – besonders was die Maßnahmen anbelangt, wie man menschenrechtliche Sorgfaltspflicht ergreifen muss, um in seinen Lieferketten Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Das ist nicht verhandelbar und hat den Charakter eines nicht zu verändernden Reglements. Also wird hier keine Verwässerung möglich sein und die gleichen Spielregeln in allen Ländern vorherrschen.
Die Direktive ist also nur ein erster Schritt?
Ja, weil jedes Land in bestimmten Punkten über die Direktive hinausgehen kann. Was man den einzelnen Staaten nicht überlassen sollte, ist die Frage, ob ein Unternehmen, das in seinen Lieferketten gegen die Menschenrechte verstoßen hat, noch an Ausschreibungen teilnehmen darf. Nach der EU-Direktive sollen das die einzelnen Länder entscheiden. Wenn es aber nachgewiesen ist, dass es sich nicht an die Spielregeln gehalten hat, sollte eine Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen nicht möglich sein, bis diese Verstöße behoben sind. Für uns ist es eine absolute Selbstverständlichkeit, dass, wenn man sich nicht an die Vorgaben hält, man die entsprechenden Konsequenzen tragen muss. Eine der Konsequenzen wäre, dass man nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen dürfte. Zudem sind jetzt Sanktionen vorgesehen, die empfindliche finanzielle Kosten für das Unternehmen mit sich bringen können, neben der zivilrechtlichen Haftung. All das sind begrüßenswerte Schritte. Deshalb muss man bei der Evaluation dieser Direktive, die ja noch vom EU-Parlament angenommen werden muss, im April jeweils genau hinschauen. Man kann dann gewisse Stärken, aber auch gravierende Lücken feststellen.
Ihre „Initiative pour un devoir de vigilance“ hat in den vergangenen Jahren immer wieder das Ziel einer nationalen Gesetzgebung verfochten, während die Regierung vor allem auf die EU-Richtlinie setzte.
Es ist ganz einfach: Wir werden ein nationales Gesetz haben, weil die Überführung der Direktive in nationales Recht automatisch zur nationalen Gesetzgebung führt. Es wäre also nicht sinnvoll und auch politisch nicht denkbar, wenn man jetzt versuchen würde, noch schneller etwas auf den Tisch zu legen. Die Zivilgesellschaft hatte einen nationalen Gesetzesvorschlag ausgearbeitet, der letztes Jahr in der Abgeordnetenkammer deponiert wurde. Alle politischen Parteien wurden angeschrieben. Bedauerlicherweise reichten nur zwei diesen nationalen Vorschlag im Parlament ein. Der befindet sich aktuell in der legislativen Mühle. Auch gibt es eine Reihe von Positionen, die von manchen Berufskammern ergriffen worden sind. Das wird für uns die Messlatte für eine ambitiöse nationale Gesetzgebung sein, die jetzt von der EU-Direktive auf Luxemburg zukommt. Wir haben uns bei der Ausarbeitung daran orientiert, dass die Gesetzgebung möglichst nah an den Leitprinzipien der Vereinten Nationen dran ist. Man muss die EU dafür kritisieren, weil sie sich zu weit von den internationalen Standards entfernt hat. Zugleich bietet die Direktive eine gute Grundlage, um im nationalen Recht weiterzugehen. Sowohl auf europäischer wie auf nationaler Ebene kann es also nur ein erster, kleiner Schritt sein.
Was die Frage der Investmentfonds angeht …
… denen wurde nicht Rechnung getragen. Zwar wird die vorgelagerte Wertschöpfungskette bei den Finanzakteuren abgedeckt …vorgelagert ist aber nur, was ich einkaufe. Nachgelagert ist, was ich weiterverkaufe. Wenn etwa eine Bank Kaffee für seine Büros kauft, muss sichergestellt werden, dass dabei keine Kinderarbeit oder Zwangsarbeit im Spiel war. Hier geht es um verhältnismäßig geringe Beträge.
Und bei nachgelagerten Wertschöpfungsketten?
Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Wenn ich als Bank einem Unternehmen einen Kredit für Kaffeeplantagen gebe, muss ich dann allerdings auch in Zukunft nicht überprüfen, dass dort keine Kinderarbeit oder Zwangsarbeit „mitfinanziert“ wird. Hierbei kann es sich oft um Millionen- und Milliardenbeträge handeln, besonders wenn Kredite in der Bergbauindustrie weltweit vergeben werden, die als Hochrisikobereich gelten. Die nachgelagerte Wertschöpfungskette hat somit leider keine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht erhalten. In unseren Augen ist das unannehmbar. Luxemburg ist, was den Globalisierungsgrad unserer Wirtschaft angeht, weltweit an zwölfter Stelle, nicht zuletzt dank des Finanzsektors. Bei den Verhandlungen auf EU-Ebene waren die einzigen, die an den internationalen Normen waren, war das EU-Parlament. Wenn es nach dem EU-Parlament gegangen wäre, hätte es jedenfalls keine Extrawurst für den Finanzsektor gegeben.
Wenn es nach dem EU-Parlament gegangen wäre, hätte es keine Extrawurst für den Finanzsektor gegeben
Wie beurteilen Sie die Position der aktuellen Regierung?
Es war ein Überraschungsmoment, den ich gerne als positiv bezeichne, als in der Abgeordnetenkammer von der Opposition eine Motion eingereicht wurde, damit sich die Regierung für ein gutes Ende beim Thema EU-Lieferkettengesetz einsetzt und ansonsten ein nationales Gesetz eingeführt werden sollte. Der Premierminister gab deutlich zu erkennen, dass er, wenn die EU-Lösung scheitere, für ein nationales Gesetz sei. Er hat damit viele Leute überrascht. Die Motion wurde mit 55 Ja-Stimmen bei fünf Enthaltungen angenommen. Dies werte ich als wichtigen Indikator, dass unsere Arbeit in den vergangenen Jahren nicht umsonst war.
Von Seiten der Wirtschaft wird immer über zu viel Bürokratie geklagt.
Das eigentliche Problem ist nicht die Bürokratie, sondern das sind die Menschenrechtsverletzungen. Es geht darum, dass Betriebe in der Wirtschaft Verantwortung übernehmen für ihre Lieferketten. Eine ganze Reihe machen dies schon heute: also kein Ding der Unmöglichkeit, wie manche Lobbyisten es immer noch darstellen.
Lieferkettengesetz
Im März hat eine Mehrheit der EU-Staaten einer europäischen Richtlinie zur Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit von Unternehmen (CSDDD) zugestimmt. Die ständigen Vertreter einigten sich auf ein abgeschwächtes europäisches Lieferkettengesetz zum Schutz der Menschen-, Klima- und Umweltrechte. Die vor sechs Jahren ins Leben gerufene luxemburgische „Initiative pour un devoir de vigilance“ aus 17 zivilgesellschaftlichen Organisationen fordert seit ihrer Gründung verbindliche Gesetze zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen. Jean-Louis Zeien ist nicht nur Co-Koordinator der Initiative. Der Präsident von Faitrade Luxembourg asbl. hat auch an der Ausarbeitung der nationalen Aktionspläne zur Umsetzung der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen mitgewirkt.
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„……..“ seet de fréiere Chef vun de Cathechetinnen. Abee jo.
Dat ass eben en echten Katholik a gudde Chrëscht.Ouni sou Leit géif eis Gesellschaft ënnergoen.Amen