Zug, Tram und Fahrrad / Interview mit Mobilitätsplaner: Wieso Luxemburgs Tram eine gute Idee ist
Frank Vansteenkiste ist Berater für Mobilitätsminister François Bausch („déi gréng“) – und Präsident des Verwaltungsrates von Luxtram. Er hat Geografie studiert, sich auf Mobilitätsplanung spezialisiert und war von Anfang an Teil der Tram-Planung. Im Tageblatt-Gespräch spricht Vansteenkiste darüber, wie das Luxemburger Mobilitätskonzept dem Bevölkerungswachstum standhalten soll und warum eine Tram nur in Esch und Luxemburg-Stadt Sinn ergibt.
Tageblatt: Warum benötigen wir überhaupt eine Tram in Luxemburg-Stadt?
Frank Vansteenkiste: Die Tram ist ein urbanes Transportmittel. Buslinien erreichen in einer Stadt irgendwann ihre Maximalkapazitäten. Bis vor ein paar Jahren hatten wir in der Avenue de la Liberté mehr als 900 Busse pro Tag – wodurch dann auch die Feinstaubwerte überschritten wurden und die Busse sich gegenseitig im Weg waren. Der Bus fährt auch im Gänsemarsch durch die Stadt. Das System war zum Scheitern verurteilt, weil jedes Jahr 10.000 Arbeitsplätze und 10.000 bis 14.000 Einwohner hinzukommen. Wir mussten irgendwann so viele zusätzliche Busse einsetzen, dass das System in der Hauptstadt kollabiert ist. Die Tram hat größere Kapazitäten und ist viel komfortabler.
Es scheint allerdings nicht jeder mit der Tram zufrieden zu sein.
Es wird immer Menschen geben, die punktuell sagen, dass die Tram schlechter funktioniert. Es liegt in der Natur des Menschen, dass immer derjenige sich meldet, der eine schlechtere Verbindung hat. Natürlich gibt es Personen, die jetzt einmal mehr umsteigen müssen, das will ich nicht verstecken. Im Großen und Ganzen kommt die Tram sehr gut an. Was uns aber selbst überrascht hat: Viele Bewohner der Stadt nehmen jetzt die Straßenbahn, obwohl sie den Bus vorher ignoriert haben.
Wie haben Sie das herausgefunden?
Die Morgen- und Abendspitzen stechen nicht so stark heraus. Die Tram ist während des ganzen Tages gut besetzt. Nur um ca. 10 Uhr sind etwas weniger Menschen unterwegs – aber ansonsten ist die Tram mit bis zu 70.000 Menschen pro Tag gut belegt. Das zeigt, dass sie nicht nur da ist, um Menschen zum Arbeitsplatz zu bringen – sonst hätten wir über den Tag verteilt keine konstante Auslastung.
Ist die Tram denn wirklich von Vorteil für die gesamte Verkehrslage?
Man sieht wie so oft, dass der Verkehr keine Flüssigkeit ist. Wenn ich einem Ort Verkehr wegnehme, dann kommt der nicht unbedingt woanders hinzu – er kann auch verschwinden. Wenn man eine Fahrspur wegnimmt, heißt das nicht, dass in einer anderen Straße das Chaos ausbricht. Es gibt Menschen, die das befürchtet hatten, aber es hat sich gezeigt, dass das überhaupt nicht so ist. Wenn man sich die Avenue de la Liberté anschaut, da gibt es momentan weniger Stau als noch vor 2018.
Wenn man eine Fahrspur wegnimmt, heißt das nicht, dass in einer anderen Straße das Chaos ausbricht.Präsident des Verwaltungsrates von Luxtram
Ist die Tram denn auch bereit für das starke Bevölkerungswachstum?
Momentan haben wir 28 Tram-Züge und können noch fünf als Option hinzukaufen – was wir auch machen werden. Die werden wir im Laufe der nächsten 24 Monate erhalten. Falls nötig, können wir von einem Vier- auf einen Drei-Minuten-Takt umsteigen. Dadurch wird die Kapazität um ein Drittel erhöht. Wir haben auch noch einen letzten Joker: Wir haben die Stege so gestaltet, dass wir noch einen weiteren Wagen anhängen können. Aber davon sind wir weit weg.
Wie gut funktioniert der öffentliche Verkehr in Luxemburg-Stadt?
Bei der Eisenbahn befinden wir uns momentan in einer Übergangsphase. Die vielen Baustellen am Hauptbahnhof haben teilweise negative Auswirkungen. Das Fahrrad und der Fußgänger haben es noch immer schwer im urbanen Raum und da müssen wir nachbessern. Aber es ist viel einfacher, eine neue Buslinie einzuführen, als eine Stadt komplett umzukrempeln, um sie attraktiv für Fußgänger und Fahrradfahrer zu machen. Das ist wesentlich konfliktreicher, weil ich jemandem etwas wegnehmen muss. Das Fahrrad wird auch im Mobilitätsplan ein Ankerpunkt sein.
Benutzen die Menschen die öffentlichen Verkehrsmittel überhaupt?
Wir merken in den Statistiken der Stadt, dass wir in den mittellangen Distanzen schon einen sehr großen Anteil an öffentlichem Transport haben. Da bekommen wir vielleicht noch eine Steigerung von fünf bis zehn Prozent hin – aber keinen Quantensprung mehr. Da, wo wir schlecht sind – und das muss man auch ehrlich sagen – das sind Kurzstrecken bis fünf Kilometer, die trotzdem noch mit dem Auto gemacht werden.
Wie einfach ist es, die Fahrradstruktur in der Hauptstadt zu fördern?
Einfach ist es nicht – auch politisch nicht. Wir müssen es fertigbringen, dass das Fahrrad ein Individualverkehrsmittel wird, das wie das Auto geplant wird. In der Praxis ist das schwer. Das Auto kommt von Tür zu Tür überall hin und hat meistens sogar drei Wege – das Fahrrad hat das nicht. In Luxemburg-Stadt gibt es sehr viele Adressen, die mit dem Fahrrad überhaupt nicht erreichbar sind.
In Luxemburg-Stadt gibt es sehr viele Adressen, die mit dem Fahrrad überhaupt nicht erreichbar sindPräsident des Verwaltungsrates von Luxtram
Sie haben bei der Eisenbahn von einer Übergangsphase gesprochen. Wie lang wird die noch dauern?
Die CFL ist jetzt nicht mein Fachgebiet, aber ich glaube, 2024 sind wir beim Hauptbahnhof aus der schwierigen Phase. Dann kann die CFL die Bahnlinien physisch komplett voneinander trennen. Wenn momentan eine Linie Verspätung hat, dann hat das sofort Auswirkungen auf alle Linien. Die Regierung hat 80 bis 90 Jahre lang praktisch nicht in die Eisenbahnstruktur investiert. Es wurden sogar teilweise Strecken abgeschafft. Wir sind in der EU die Nation, die pro Kopf am meisten Geld in das Schienennetz steckt. Dies wird aber erst in ein paar Jahren Früchte tragen.
Die Tram soll auch ihren Weg nach Esch finden. Ist das noch im Zeitplan?
Ja, die Tram wird an der Autobahn vorbeifahren und „Ponts et chaussées“ muss zuerst noch sehr viele Vorbereitungsarbeiten machen. Aber da kommen wir gut voran.
Warum benötigen wir überhaupt eine Tram von Luxemburg-Stadt nach Esch, wenn wir schon einen Zug für die gleiche Strecke haben?
Wir haben in Luxemburg zwei urbane Gebiete, in denen eine Tram Sinn ergibt: Esch und Luxemburg-Stadt. Mit dem Zug braucht man eine gute halbe Stunde für diese Strecke. Dazu kommt auch: Weniger als ein Drittel der Menschen müssen nur bis zum Luxemburger Hauptbahnhof fahren – die meisten wollen weiter bis zum Kirchberg oder zur Cloche d’Or. Das verlängert Reisezeiten. Das wollen wir mit der schnellen Tram beheben. Wenn ich in Esch wohne und auf Cloche d’Or arbeite, benötige ich eine schnelle Alternative zur Eisenbahn. Mit der Tram kann ich in 14 Minuten von Esch-Schifflingen bis zur Cloche d’Or fahren.
Es ist also nur eine Frage der Schnelligkeit?
Es ist auch eine Kapazitätsfrage. Die Buslinien auf der Escher Autobahn transportieren momentan 3.000 Menschen pro Tag. Auch dort werden wir die Kapazitätsgrenze erreichen – wir können die Busse nicht einfach in der Stadt stapeln.
Wäre es nicht praktischer, wenn die Tram bis ins Escher Zentrum fahren würde?
Wenn man sich die Haltestellen der Tram in Esch anschaut, sieht man, dass sie komplementär zur Eisenbahn sind. Da muss man sich in die Situation von morgen versetzen: Das Viertel Nonnewisen, das Südspital, das neue Viertel Esch-Schifflingen und ein kompletteres Belval werden in den nächsten Jahren entwickelt. Es geht auch darum, die nördlichen Viertel Eschs in den Griff zu bekommen – diese haben nur ein, zwei mickrige Buslinien nach Luxemburg-Stadt oder in den Süden.
Es ergibt keinen Sinn, sie [die Tramstrecke; Anm. d. Red.] bis nach Echternach oder Remich zu verlängernPräsident des Verwaltungsrates von Luxtram
Wird es auch eine Tram im Norden, Osten oder für Grenzgänger geben?
Die Tram ist ein urbanes Verkehrsmittel. Es ergibt keinen Sinn, sie bis nach Echternach oder Remich zu verlängern. Die Tram kostet 20 Millionen Euro pro Kilometer, die Investition wäre also nicht gerechtfertigt – vor allem dort, wo wir die Menschen gut mit Bussen transportieren können. Wir versuchen, den Menschen vorsichtig zu sagen: „Es gibt zwei urbane Räume, in denen die Tram Sinn ergibt: Esch und Luxemburg-Stadt.“ Die schnelle Verbindung zwischen beiden ist wirklich eine einmalige Ausnahme, damit wir nicht zwei Netze haben, die separat voneinander funktionieren.
Der Wunsch nach einer Tram scheint in anderen Städten da zu sein …
Ich finde es schön, dass mein Minister und die Bürgermeisterin von Luxemburg-Stadt von so vielen Menschen kontaktiert werden, die noch unbedingt eine Tram haben wollen. Das ist Balsam für die Seele – vor allem, wenn man weiß, welche Argumente man noch vor zehn, 15 Jahren benutzen musste. Aber die Tram ist kein Allzweckmittel. Sie kommt dorthin, wo wir die Kapazitäten mit Bussen nicht mehr schaffen.
Luxtram wurde 2017 wegen schlechter Gehälter und zu vieler Überstunden bei den Fahrern stark kritisiert. Wie sieht die Situation momentan aus?
Wir haben einen Kollektivvertrag unterschrieben und den Tramfahrern wesentlich mehr Gehalt und auch mehr Flexibilität gegeben. Wir haben jetzt so weit einen sozialen Frieden. Der Job des Tramfahrers ist sehr attraktiv, weil wir Menschen nehmen, die kein Diplom haben, und sie selbst ausbilden. Wenn wir 20 Stellen ausschreiben, dann meldet sich das Zehnfache an Menschen.
Und wie sieht es mit den Arbeitszeiten aus?
Die Tramfahrer arbeiten normalerweise nicht mehr als acht Stunden. Das Problem ist das Ausmaß. Die Tram fährt von vier Uhr morgens bis Mitternacht. Wir können nicht jede Person acht Stunden arbeiten lassen, weil das nicht aufgeht. So oder so ist ein Tramfahrer in der Regel nie länger als elf Stunden am Arbeiten. Das Kapitel haben wir jetzt definitiv auch geschlossen.
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Wahrscheinlich hat der oberste Chef gesagt, es darf keine Tram nach Remich und Echternach fahren, und es darf auch keine Tram nach Audun-le-Tiche und Villerupt fahren. So müssen sich die betroffenen Bürger mit einem Transportmittel zweiter Wahl begnügen, oder aber sie fahren mit dem Auto.
Der Tram ist genial, man fährt entweder zum Hauptbahnhof und fährt in die Oberstadt oder man fährt ins Pafendall und nimmt die Seilbahn zum Tram .
Claude Oswald
“ und es darf auch keine Tram nach Audun-le-Tiche “
Wieso denn? Die haben doch eine Zugverbindung alle 30 Minuten.
Für das Kaff genügt’s.
Genau wie Volmerange-les-Mines.
In Kiew fahren überall Busse mit Oberleitung, warum eigentlich?
@Grober: In Kiew fährt auch eine Trambahn, ganz malerisch durch einen Wald, ohne grosse Abholzaktion à la Findel. Suchen im Search Engine: Kiev tramway forest
Wir brauchen uns nicht über unseren ÖT zu beklagen. Es ist Gratis bis zur nächsten Steuer Reform. Und ich nehme trotzdem mein Auto um diese Virus Schleudern um vermeiden . Danke für gar nichts.