Interview / Intime Renaissance: Joep Beving spielt das erste „Atelier“-Konzert seit März 2020
Am Sonntag ist es endlich so weit: Nach mehr als 18 Monaten Schließung eröffnet „den Atelier“ wieder seine Türen in der rue de Hollerich. „Wir sind die ersten, die schließen müssen, und werden die Letzten sein, die wieder öffnen dürfen“: Michel Welters damalige Worte waren leider prophetisch. Das erste Konzert darf der erfolgreiche neoklassische Komponist Joep Beving in einem intimen Setting alleine auf der Bühne spielen. Das Tageblatt hat sich mit dem Musiker unterhalten.
Tageblatt: Sie werden der erste Künstler sein, der im „Atelier“ spielt, seit dieses im März 2020 schließen musste. Wie fühlt es sich an, diese Wiedergeburt der Livemusik einzuleiten? Glauben Sie, dass wir endlich zu einer „neuen Normalität“ gefunden haben – oder befürchten Sie, dass es im Herbst und Winter zu einer dritten Schließung der Kulturhäuser kommen wird?
Joep Beving: Natürlich freue ich mich darauf, wieder live zu spielen, und fühle mich geehrt, als Erster auf die Bühne des „Atelier“ eingeladen worden zu sein. Aber ich muss mich auch erst wieder an den Gedanken gewöhnen, dass ich vor dem Lockdown ein Livemusiker war. Mein letztes Livekonzert fühlt sich an, als hätte es in einem anderen Leben stattgefunden. Was die „neue Normalität“ anbelangt, so werden wir wohl einfach sehen müssen, was kommt. Da ich mir nichts erwarte, werde ich die Konzerte, die dann auch stattfinden, zu schätzen wissen. Es ist jedoch ziemlich schmerzhaft zu sehen, dass die Kultur relativ hart vom Lockdown und den politischen Entscheidungen betroffen ist. Denn ich finde, dass sie in Zeiten existenzieller Krisen notwendiger denn je ist.
Es gab nicht viele Gelegenheiten, Ihr drittes Album „Henosis“ auf der Bühne vorzustellen. Wie frustrierend war das?
Das war schon etwas frustrierend, ja. Wir haben ziemlich viel Zeit, Energie und Geld darin investiert, um die Live-Version des Albums auf die Bühne zu bringen. Ich hatte gehofft, dass die Show irgendwann erfolgreich genug sein würde, um sie auch außerhalb von Europa zu spielen. Aber die Dinge sind, wie sie sind, und ich bin froh, dass wir es zumindest beim Lowlands-Festival und im Concertgebouw vorstellen konnten. Aber wir haben ja noch die Videos.
Wird der Auftritt am Sonntag die Gelegenheit sein, das Album endlich live zu spielen?
Wir hatten geplant, die „Henosis“-Show am Wochenende vom 25./26. September in den Niederlanden zu spielen. Aber aufgrund der Nachwehen der Covid-Verordnungen mussten wir diese Shows absagen. Daher habe ich beschlossen, mich in absehbarer Zeit auf Solo-Piano-Auftritte zu beschränken. Meine Auftritte im Oktober werden sich auf das Klavier und mich beschränken. Natürlich werde ich Stücke aus „Henosis“ spielen – aber dann ohne Elektronik, Streicher, Chor und Visuals.
Ihre Musik ist äußerst intim – da Sie fürs Soloklavier komponieren, können Sie während des Schaffensprozesses auf andere Mitmusiker verzichten. Während der Pandemie haben Sie einen Song namens „Solitude“ veröffentlicht. War der Lockdown eine kreativ fruchtbare Zeit? Oder war die Einsamkeit eher hemmend?
Ein plötzlicher Wandel in einer kollektiv erlebten Realität ist natürlich in irgendeiner Form inspirierend. Ich bin von meiner Tournee in Australien direkt in den Lockdown geflogen. Zum Glück konnte ich noch in mein Studio gehen, und mein Stück „Solitude“ war das erste, was ich als Reaktion auf diese neue Realität schrieb. Während des Schreibprozesses wurde ich von Supreed angesprochen, einer jungen Filmemacherin aus Mumbai, die sich mit denselben Gedanken und Emotionen auseinandersetzte und diese in einem Kurzfilm umsetzte. Im Lockdown begann sie, die Schönheit um sich herum, in ihrem eigenen Haus, zu sehen, etwas, das sie übersehen hätte, wenn sie nicht eingesperrt gewesen wäre. Und natürlich konnte nun die ganze Welt eine solche Erfahrung nachvollziehen. Dass sie in Indien und ich in den Niederlanden lebte, machte keinen großen Unterschied mehr. Aber nach diesem ersten Inspirationsschub hat mich die Leere der Isolation und die fehlende Interaktion mit meinen Mitmenschen dazu verleitet, meine Arbeit und meine Gedanken zu hinterfragen.
Ihr erstes Album hieß „Solipsism“ – damit haben Sie auf eine philosophische Strömung Bezug genommen, die im Grunde besagt, dass wir nicht sicher sein können, dass die Gefühle oder der Schmerz anderer Menschen wirklich existieren. Sehen Sie in der Musik eine Art Heilmittel gegen den Solipsismus – den der Schriftsteller David Foster Wallace und der Philosoph Ludwig Wittgenstein als philosophischen Albtraum bezeichneten?
Ja, ich glaube, das tue ich. Ich bin mir nicht sicher, ob „Heilmittel“ der richtige Begriff ist, aber ja, ich habe den Titel „Solipsismus“ gewählt, da meine Musik ein Experiment war, ein Versuch, mir selbst zu beweisen, dass das Gegenteil einer solipsistischen Realität näher an der Wahrheit liegt. Musik hat die Kraft, Menschen zu vereinen, sie auf dieselbe Frequenz zu bringen und der Idee Raum zu geben, dass wir tief im Inneren alle gleich sind.
Mit „Trilogy“ haben Sie gerade eine lange Retrospektive über Ihre frühe Karriere veröffentlicht. Was kommt nun?
Diese Frage stelle ich mir auch seit einiger Zeit. Ich bin meinem Label DG sehr dankbar, dass sie beschlossen haben, meine drei Alben in der „Trilogy“-Veröffentlichung zu bündeln. Und ich muss zugeben, dass ich die Leere, auf die ich mich nach dem Abschluss dieser Trilogie eingestellt hatte, durchaus auch empfunden habe. Aber zum Glück haben sich seitdem neue Ideen entwickelt. Während des Lockdowns habe ich an einem Filmmusikprojekt gearbeitet und bin dabei, die Musik für „Taste“, ein ambitioniertes Theaterprojekt in Amsterdam, fertigzustellen. Diese Musik wird als Album veröffentlicht werden, und ich habe es geschafft, weitere Musik zu schreiben, die in absehbarer Zeit das Licht der Welt erblicken wird. Einige dieser Kompositionen möchte ich während meiner Show am Sonntag ausprobieren.
Sie haben sich selbst einmal als Komponist „zugänglicher Musik für komplexe Emotionen“ beschrieben. Trifft diese Definition immer noch zu?
Ja, diese Beschreibung ist immer noch einigermaßen zutreffend. Ich schrecke nicht davor zurück, Musik zu schaffen, die auf ihren Kern reduziert ist und als schön empfunden werden kann. In diesem Sinne ist sie zugänglich. Und wenn man all das betrachtet, was sich zurzeit abspielt, glaube ich nicht, dass die komplexen Emotionen, die wir empfinden, in absehbarer Zeit verschwinden werden. Aber ich erlaube mir von Zeit zu Zeit, Musik mit einem höheren Grad an Komplexität zu schreiben.
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