Wahlen / Irland wartet auf das Beben: Varadkar ist in Bedrängnis und Sinn Féin auf Umfragehoch
Am Samstag wählen die Iren. Leo Varadkar wird wohl seinen Premierposten verlieren. Im Ausland ist der Konservative beliebt, doch daheim wenden sich die Menschen von ihm ab. Zu viel Sparerei, zu viel Wohnungsnot. Jetzt könnte es zum politischen Erdbeben kommen. Die Sinn Féin, ehemals politischer Arm der IRA, liegt dank linker Politik in den Umfragen vorne. Doch ein viele Jahre zurückliegender Mord könnte alles wieder auf den Kopf stellen.
Wenn das Leben und besonders das Wohnen zu teuer wird, helfen sogar die schönsten internationalen Meriten nichts mehr. Dann kann es einen Premierminister, der vor nicht allzu langer Zeit auch daheim noch begeistert empfangen wurde, schnell wieder aus dem Amt werfen. Dieses Schicksal droht nun Leo Varadkar bei den Wahlen am Samstag in der Republik Irland.
Varadkar, 1979 geboren, löste 2017 den unbeliebt gewordenen Enda Kenny an der Spitze der konservativen Partei Fine Gael ab und wurde so selbst zum Premier. Zu einem Premier, wie ihn die Republik davor noch nicht hatte. Der erste nicht weiße – Varadkars Vater ist Inder– und zugleich der erste offen homosexuelle Regierungschef. Varadkar wurde schnell zum Aushängeschild eines neuen, modernen Irlands.
Und es lief zunächst gut für den Mann, der bei seiner Amtsübernahme noch keine vierzig Jahre alt war. Varadkar joggte mit Kanadas Premier Justin Trudeau und zum Besuch bei Mike Pence nahm er seinen Ehemann mit, um bei der Pressekonferenz mit dem erzkonservativen US-Vizepräsidenten „wir sind doch alle Gottes Kinder“ in die Mikrofone der Weltpresse zu sagen. Bereits zwei Jahre vor seiner Amtsübernahme kämpfte Varadkar als Abgeordneter an vorderster Front für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. In seiner Amtszeit fand das erfolgreiche Referendum für das Recht auf Abtreibung statt.
International beliebt, daheim den Kredit verspielt
Der Brexit verhalf dem Dubliner zu weiterer Popularität. Alle anderen 26 EU-Mitgliedstaaten standen zu Irland und seiner Forderung, um jeden Preis eine harte Grenze zu Nordirland zu verhindern. Unter Varadkar gab bei den Brexit-Verhandlungen plötzlich Irland den Ton an – gegenüber dem übermächtigen Nachbarn Großbritannien, dem sich die Grüne Insel in ihrer Geschichte so oft unterordnen musste. Die Verhältnisse waren auf den Kopf gestellt.
Jetzt, vor der Wahl am Samstag, rangiert Varadkars Fine Gael nur noch an dritter Stelle, mit letzten Vorhersagen zufolge 20 Prozent der Stimmen. Vor ihm liegen mit 23 Prozent die ebenfalls konservative Mitte-Partei Fianna Fáil sowie – und das ist die große Überraschung – die republikanische Sinn Féin. Programmatische Unterschiede zwischen den beiden großen konservativen Parteien muss man mittlerweile mit der Lupe suchen, beide haben sich die vergangenen Jahrzehnte die Regierungsmacht in der Republik aufgeteilt. Einmal regierten die einen, einmal die anderen. Dass Fine Gael jetzt seit neun Jahren den Premier stellt, gilt als Ausnahmeerscheinung.
Die Sinn Féin galt im Süden vielen lange Zeit als unwählbar. Zu eng waren die Verstrickungen zur IRA, als deren politischer Arm sie einst gegründet worden war, zu frisch waren die Wunden aus dem Nordirlandkonflikt, bei dem mehr als 3.500 Menschen ihr Leben ließen. Die Sinn Féin war eine Partei mit dem Makel, „Blut an den Händen“ zu haben. Doch vor zwei Jahren kam es zum Generationswechsel an der Parteispitze. Der ebenso ewige wie umstrittene Parteichef Gerry Adams trat zurück. Seitdem gibt ein Team junger Politiker rund um Mary Lou McDonald den Ton an bei den Republikanern.
Nicht dass die Sinn Féin ihr Ziel eines vereinigten Irlands aus den Augen verloren hätte. McDonald will binnen der kommenden fünf Jahre ein Referendum abhalten. Der Schwerpunkt im Wahlkampf lag aber auf sozialen Punkten, Sinn Féin betonte ihre linke Politik – und traf die beiden konservativen Konkurrenten so auf ihrer offenen Flanke.
Der Musterschüler sparte die Menschen in die Armut
Nach 2011 galt Irland als Musterschüler. Ohne Meckern wurden die Sparmaßnahmen umgesetzt, die dem Land in der Immobilienkrise von seinen Troika-Kreditgebern aufgelegt worden waren. Die Wirtschaft erholte sich, doch die Menschen litten unter der Sparerei. Jetzt herrscht seit Jahren Wohnungsnot, die Mieten sind für Normalverdiener oft unbezahlbar, seit 2013 sind die Hauspreise um über 80 Prozent gestiegen, mehr als 10.000 Menschen sind obdachlos, die Kinderarmut am Steigen, das Gesundheitswesen eine Zumutung für Kranke.
Die Ankündigungen der Sinn Féin wie die Einführung einer Reichensteuer und der Bau 100.000 neuer Wohnungen trafen den Nerv der Wähler, die den Versprechungen der anderen Parteien überdrüssig geworden sind. Von links droht Sinn Féin dabei kaum Gefahr. Labour hat die Sparpolitik jahrelang mitgetragen und hängt den Umfragen zufolge irgendwo bei vier Prozent fest.
Dass der jetzige Popularitätsschub selbst die Sinn Féin überrascht, zeigt bereits, wie die Partei in die Wahlen gezogen ist. Für ein Parlament mit 160 Sitzen wurden nur 42 Kandidaten ins Rennen geschickt, was eine Mehrheit von vorneherein unmöglich machte. Auch kam es in der Vergangenheit schon mal vor, dass die Wahlergebnisse von Sinn Féin weit unter den Vorhersagen lagen. Und jetzt wird auch die neue Garde von der Vergangenheit eingeholt. Der dreizehn Jahre zurückliegende Mord beherrscht wieder die Medien und die politische Diskussion.
Beschimpft als Veganer und ein alter Mord
2007 wurde der 21-jährige Paul Quinn in einer Scheune in einem Ort nahe der nordirischen Grenze mit Stahlrohren und mit Nägeln beschlagenen Knüppeln zu Tode geprügelt. Jeder Knochen im Körper ihres Sohnes sei gebrochen gewesen, sagte Quinns Mutter, die die Provisional IRA dafür verantwortlich machte. Sinn Féin streitet die Mitschuld der IRA am Mord ab. Auch eine unabhängige Kommission beschied die Unschuld der IRA in dem Fall. Trotzdem wurde dieses Kapitel jetzt wieder aufgeschlagen, und die Geister der Vergangenheit bedeuten für Parteichefin McDonald mögliche Stimmverluste.
Leo Varadkar hat indes mit anderen Problemen zu kämpfen. Vor kurzem verkündete der Premier, aus gesundheitlichen und Umweltgründen künftig weniger Fleisch zu essen. Als Varadkar während seiner Wahlkampftour in Cork bei Landwirten haltmachte, die unter niedrigen Fleischpreisen leiden, brüllten diese ihrem Premier „where’s the beef, ye vegan“ entgegen – wo ist das Rindfleisch, du Veganer. Fortan kehrte Varadkar bei fast all seinen Ortsbesuchen auch bei einem Metzger ein und ließ sich beim Fleischkauf filmen und fotografieren. Den Umfragewerten zufolge ohne Erfolg.
Sollte Sinn Féin es erstmals in eine Regierung schaffen (Beobachter halten eine Koalition mit der Fianna Fáil für eine denkbare Variante), wäre das ihre erste Regierungsbeteiligung. Für Irland würde dies einem politischen Erdbeben gleichkommen, in einer Zeit, in der wegen des Brexit sowohl im Norden wie im Süden der Insel wieder offen über eine Wiedervereinigung debattiert wird.
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Anfang nächstes Jahr fliegen wieder die Bomben bis zur Vereinigung von ganz Irland.
“ Wenn das Leben und besonders das Wohnen zu teuer wird,..“
den Fehler haben auch die Demokraten in Amerika gemacht. Zusehen wie das Volk verarmt,während die Superreichen immer superreicher werden.Dazu noch keine soziale Absicherung ( Obamacare war ein erster Versuch der dann vom Wunderkind mit deutschem Migrationshintergrund wieder auf Eis gelegt wurde) das bringt dann den “ White Trash“ dazu einen Trump zu wählen und so gehen auch die Iren den radikalen Weg. Was nützt sparen wenn man dabei verhungert?