Forum / Ist eine arbeitnehmerfreundliche Republikanische Partei möglich?
Nach einer Rede des Präsidenten der amerikanischen Teamsters-Gewerkschaft, Sean O’Brien, auf dem Parteitag der Republikaner im vergangenen Monat wurde in einer Analyse der „New York Times“ die Frage gestellt, ob die Partei wirklich eine populistische Agenda zur Unterstützung der Arbeitnehmer umsetzen kann.
Donald Trump hat zwar nie großes Interesse an Arbeitnehmerrechten gezeigt, sehr wohl jedoch viele seiner Gefolgsleute. Die republikanischen Senatoren Josh Hawley, Roger Marshall, Marco Rubio und J.D. Vance (der Vizepräsidentschaftskandidat der Partei) haben sich in politischen Debatten über gewerkschaftliche Organisation, Mindestlohn und Arbeitnehmerschutz auf die Seite der Beschäftigten gestellt.
Hawley beispielsweise erklärte: „Es ist an der Zeit, dass die Republikaner die Gewerkschaften unterstützen … ich habe an der Seite der Teamsters gestreikt. Ich habe dafür gestimmt, ihnen bei der gewerkschaftlichen Organisation bei Amazon zu helfen. Ich habe den Eisenbahnerstreik und den Streik der Arbeiter in der Automobilindustrie unterstützt. Und ich bin stolz darauf.“
Hawley verband sein Loblied auf die Arbeiter mit einem Hohelied auf den christlichen Nationalismus, was vielen Arbeitnehmervertretern, bei denen es sich tendenziell um Liberale handelt, schwer im Magen liegen dürfte. Er knüpfte an die lange Tradition der Republikaner an, arbeitende Menschen durch Appelle an ihre moralischen und religiösen Überzeugungen zu gewinnen. Allerdings stellt seine Unterstützung für gewerkschaftliche Organisation und andere Arbeitnehmerschutzbestimmungen – darunter Mindestlohn und die verstärkte Durchsetzung des Kartellrechts – eine fundamentale Abkehr von der Republikanischen Partei des letzten Jahrhunderts dar.
Diese Strategie scheint ein leeres Feld in der Matrix der amerikanischen Politik zu füllen. Die Wähler lassen sich entlang zweier Dimensionen kategorisieren: sozialkonservativ versus liberal/progressiv; und marktfreundlich versus marktskeptisch. Während es marktfreundliche Liberale (wie viele Silicon-Valley-Unternehmer) und marktfeindliche Liberale (wie die New-Deal-Demokraten) gibt, befinden sich die Sozialkonservativen seit langem in einer republikanischen Koalition mit den Anhängern des freien Marktes, die die Anhäufung von Reichtum und manchmal sogar Hedonismus und Gier propagieren. Derartige Werte stehen jedoch nicht im Einklang mit dem Christentum, das seine Anhänger lehrt, Eitelkeit und materialistische Werte abzulehnen. (Außerdem hat der Katholizismus eine lange Tradition der Verherrlichung der Armen und des Misstrauens gegenüber dem Kommerz).
Christlicher Nationalismus
Mit seinem Engagement für einen christlichen Nationalismus versucht Hawley eine Verbindung zwischen Sozialkonservatismus und Marktskepsis herzustellen. Man kann die politische Logik erkennen. Vor den 1990er Jahren war die Demokratische Partei in sozialen Fragen liberal und stand den Märkten skeptisch gegenüber. Doch spätestens seit der Regierung unter Präsident Bill Clinton hat sie ihren Frieden mit Big Business gemacht. Clinton arrangierte sich mit der marktfreundlichen Philosophie, die von Ronald Reagan salonfähig gemacht worden war, und Barack Obama tat es ihm gleich. Die meisten Personen, die von den beiden in wirtschaftspolitische Positionen berufen wurden, standen der Regulierung skeptisch gegenüber.
Diese parteiübergreifende Befürwortung freier Märkte wurde zum bestimmenden Merkmal einer Ära, in der die Löhne stagnierten, aber die Konzernmagnaten immer reicher wurden. Während einige Libertäre zur Demokratischen Partei abwanderten (jetzt, da diese sich die freien Märkte auf die Fahnen geheftet hatte), erkannten Republikaner wie Hawley, dass sie Stimmen aus der Arbeiterschicht abziehen konnten, indem sie sich von den Wohlhabenden, die zur anderen Seite übergelaufen waren, distanzierten und das Geld der Wenigen gegen die Stimmen der Vielen tauschten.
Wenn Hawley „woke Konzerne“ anprangert, macht er sich die wachsende Abneigung der republikanischen Basis gegen Geldeliten zunutze. Viele republikanische Politiker beklagen, dass die Unternehmen gegen ihr implizites Quid pro Quo verstoßen haben: dass nämlich Firmen so lange Geld machen dürften, wie sie sich in moralischen und religiösen Fragen dem religiösen Flügel der Partei beugen. Doch diese unnatürliche Allianz könnte nicht ewig bestehen, weil viele Unternehmen zum Zwecke der Gewinnmaximierung ihren Kunden und Investoren gefolgt sind, während sich die Kultur allgemein nach links entwickelt hat.
Eine Aussöhnung zwischen Republikanismus und Arbeitnehmerinteressen ist auch aus philosophischen Gründen denkbar. Während der Reagan-Ära gingen Ökonomen davon aus, die Arbeitsmärkte seien von Haus aus kompetitiv, woraus folgt, dass Gewerkschaften Kartelle sein müssten, die die Löhne über das wettbewerbsfähige Niveau hinaus in die Höhe treiben. Dadurch würden letztlich die Produktion verringert und die Verbraucher geschädigt werden. Aus demselben Grund würden Gesetze über Mindestlöhne zwangsläufig zu einer höheren Arbeitslosigkeit führen. Als sich die Ökonomen für die Deregulierung der Arbeitsmärkte starkmachten, wurde diese These von den Unternehmen zur Orthodoxie erklärt, und die Republikaner (und schließlich auch die Demokraten) buhlten um die Unterstützung der Unternehmen mit dem Versprechen, diese neue Lehre in Politik umzusetzen.
Anstieg der Ungleichheit
In der Praxis jedoch profitierten die Großunternehmen von der Deregulierung – und anderen Kräften wie der Globalisierung und technologischen Fortschritten, die Skaleneffekte begünstigten. Schon bald beherrschten einige wenige Unternehmen ein breites Spektrum an Märkten und das hatte zweierlei wesentliche Folgen. Erstens waren die Konzerne weniger innovativ und produktiv, als sie es auf kompetitiven Märkten gewesen wären. Zweitens flossen die durch die Wirtschaftsaktivitäten erzielten Überschüsse verstärkt den Anlegern zu und weniger den Verbrauchern und Arbeitnehmern. Mit der Abschwächung des Wirtschaftswachstums kam es zu einem Anstieg der Ungleichheit, die sich in der massiven Ausweitung des Unterschieds zwischen den Gehältern von Arbeitnehmern und Führungskräften ausdrückt.
Eine Vielzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahre hat jedoch gezeigt, dass Arbeitsmärkte doch nicht so kompetitiv sind. Arbeitnehmer können nicht nahtlos von einem Arbeitsplatz zum anderen wechseln, weil sie vor einer Reihe von Hindernissen stehen, wie etwa hohen Kosten für die Stellensuche und fehlenden Konkurrenzunternehmen, die neue Mitarbeiter einstellen. Und weil Arbeitnehmer nicht ohne weiteres den Arbeitsplatz wechseln können, profitieren die Arbeitgeber durch Unterbezahlung und Unterbesetzung der Stellen. In dieser Welt bewirken Gewerkschaften nicht zwangsläufig einen Produktivitätsrückgang (die Belege für eine derartige Wirkung waren im Übrigen immer überaus dünn). Gesetze zu Mindestlöhnen können für einen Anstieg der Löhne sorgen, ohne dass die Beschäftigung zurückgeht (wie viele Studien zeigen) und die Durchsetzung des Kartellrechts kann den Wettbewerb auf den Arbeitsmärkten wiederherstellen, was zu höheren Löhnen und höherer Produktivität führt.
Hawley will die traditionell marktwirtschaftlich orientierten Republikaner vor die Wahl stellen. Entweder sie erkennen an, dass die freie Marktwirtschaft gescheitert ist und befürworten staatliche Eingriffe zur Unterstützung von Arbeitnehmern, oder sie geben sich als Handlanger der Konzerne zu erkennen, die den Interessen der Unternehmen Vorrang vor denen der Arbeitnehmer einräumen, um Parteispenden aus den Reihen der Kapitaleigner zu erhalten. Hawleys Vision einer christlichen Gesellschaft mit gesetzlichen Beschränkungen für die Auswüchse des Kapitalismus könnte sich wohl nicht stärker vom Trumpschen Kapitalismus unterscheiden, der eher zügellos als kontrolliert daherkommt.
In dieser Hinsicht ist Trump ein Republikaner im klassischen Sinne. Seine Personalentscheidungen in der US-Arbeitsbehörde National Labor Relations Board, im Arbeitsministerium und im Obersten Gerichtshofs waren in allen wichtigen Fragen auf die Seite der Unternehmen ausgerichtet, und seine wichtigste politische Errungenschaft als Präsident bestand in einer Steuersenkung für Unternehmen. Die sich um ihn scharenden Milliardäre aus dem Silicon Valley und der Wall Street setzen darauf, dass er sie und nicht die Arbeitnehmer unterstützen wird. Im Gegensatz zu den MAGA-Ideologen ist Trump ein Nationalist und ein Plutokrat, kein Populist, geschweige denn religiöser Konservativer. Ob und auf welche Weise Hawley in einem säkularisierten, geldgierigen Land Unterstützung für seine Vision finden wird, ist die Frage des Tages.
Übersetzung: Helga Klinger-Groier
Copyright: Project Syndicate, 2024. www.project-syndicate.org.
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