Luxemburg / Jagd auf B.1.1.7 – Wie das LNS nach der neuen Virenvariante fahndet
Die neue Virenspielart B.1.1.7 sorgt für Schlagzeilen. Aber welche Variante tatsächlich kursiert, lässt sich nur mit aufwändigen Tests herausfinden. Das Nationale Gesundheitslabor (LNS) rüstet deshalb auf – und will mit einer neuen Methode schneller Resultate liefern.
36 nachgewiesene Fälle einer Infektion mit der erstmals in Großbritannien aufgetauchten Coronavirus-Variante B.1.1.7 gibt es, Stand Donnerstag, in Luxemburg. Das Problem mit B.1.1.7: Die Virenspielart ist ansteckender als jene Varianten, die bisher kursierten. Forscher schätzen, dass B.1.1.7 eine um 40 bis 70 Prozent höhere Infektiösität haben könnte.
Was das für die Entwicklung des Pandemiegeschehens in Luxemburg bedeuten könnte, legen Projektionen von Research Luxembourg dar: Sollte sich B.1.1.7 in Luxemburg etablieren und ohne von Restriktionen behindert ausbreiten, könnte im April eine Welle mit einem Peak von mehr als 1.200 Neuinfektionen hereinbrechen.
Der erste Schritt zur Behebung eines Problems ist seine Erkennung. Aber es gibt ein Hindernis: Denn die physischen Unterschiede, die B.1.1.7 gegenüber den bereits in Luxemburg kursierenden Virenvarianten hat, sind sehr, sehr klein. Sie liegen auf der Ebene der RNA, dem Erbgut des Virus. Dort können sie eigentlich nur mit einer Gensequenzierung ausfindig gemacht werden. Dieser Test ist nicht nur aufwändig, er braucht auch Zeit. „Derzeit liegt unser Durchschnitt bei sieben Tagen“, sagt Tamir Abdelrahman, Chef der Abteilung für Mikrobiologie im Nationalen Gesundheitslabor (LNS). Zehn Prozent der Corona-Tests, die die Luxemburger machen, durchlaufen die Sequenzierungsprozedur in den Düdelinger Labors. 400 Proben werden jede Woche auf den Prüfstand gestellt. Das Ergebnis: Insgesamt zwölf Varianten von Sars-CoV-2 hat das LNS bis jetzt in Luxemburg entdeckt. „B.1.160 und B.1.177 sind in Luxemburg noch immer die meistverbreiteten Varianten“, sagt Abdelrahman. „Aber wir haben einen Newcomer – B.1.1.7“
Keine großen absoluten Werte
15,4 Prozent der sequenzierten Tests, die in der Kalenderwoche 2 gemacht wurden, enthielten die britische Variante. Heißt das, dass 15,4 Prozent der Infizierten in Luxemburg die neue, ansteckendere Variante in sich tragen? Abdelrahman warnt: „Man muss bedenken, wie viel 15,4 Prozent sind – das sind keine großen absoluten Zahlen.“ Laut LNS wurde B.1.1.7 in 14 Tests entdeckt, die in der zweiten Kalenderwoche des Jahres vorgenommen wurden. Abdelrahman ist deshalb „kein großer Fan davon“, die relativen Werte auf das gesamte Pandemiegeschehen in Luxemburg zu projizieren. „Das würde voraussetzen, dass die Verteilung homogen ist und das Virus frei zirkuliert“, sagt der Mikrobiologe. In den ersten drei Wochen des Jahres seien Infektionen mit der britischen Variante fast immer mit Personen verknüpft gewesen, die zuvor gereist sind. Für Abdelrahman ist noch nicht klar, ob die neue Virenart tatsächlich bereits in die lokale Population gewechselt ist.
Um das herauszufinden, verfolgen Abdelrahman und seine Kollegen eine heiße Spur. Die wissenschaftliche Methode an ihrem Ende sollte es ermöglichen, dass die neue Virenspielart direkt mit dem schnöden PCR-Test festgestellt werden kann, mit dem mittlerweile so gut wie jeder Luxemburger Bekanntschaft gemacht haben dürfte. „Wir arbeiten daran, dass man einen PCR-Test hat, der einem von Anfang an sagt, ob es sich um eine normale Variante oder eine andere handelt“, sagt Abdelrahman.
In Kooperation mit einem Privatunternehmen habe das LNS damit begonnen, die PCR-Protokolle so weiterzuentwickeln, dass sie die „Deletion 69-70“ detektieren – eine Mutation der britischen Variante. Aber es gibt ein Problem: Das Merkmal ist nicht nur in B.1.1.7 zu finden, sondern auch in einer anderen Variante, die die LNS-Forscher erst vor kurzem zum ersten Mal gesehen haben. „Es ist nicht exakt das, worauf wir gehofft haben“, sagt Abdelrahman. „Aber es ist weniger Aufwand als zuvor.“ Anstatt sämtliche Proben sequenzieren zu müssen, um herauszufinden, ob B.1.1.7 in ihnen steckt, müsse das jetzt nur mit denen gemacht werden, in denen die „Deletion“ festgestellt wurde.
Blick in die Vergangenheit
Das LNS hat aber auch in Sachen Sequenzierungen aufgerüstet. Seit dem 6. Januar, als die Einrichtung zum „nationalen Referenzlabor“ gekürt wurde, feilen die Forscher an einer „Echtzeit-Epidemiologie“. Seit dieser Woche läuft das Projekt, das die Prozesse rund um die Sequenzierungen beschleunigen soll. „Die Idee ist, dass man in Echtzeit weiß, was in der Region zirkuliert“, erklärt Abdelrahman. „Wenn wir Echtzeit in der Epidemiologie sagen, heißt das, dass man eine Vorstellung davon hat, was in der vergangenen Woche passiert ist.“ Das heißt: Anstatt die Verteilung der Virenvarianten im Land vor mehreren Wochen zu kennen, können die Forscher jetzt schon Aussagen über die Situation vor sieben Tagen machen. „Das sei mehr als genug, wenn es um Epidemiologie geht“, sagt Abdelrahman. Derzeit sei die „jüngere“ Probengröße noch klein. „Aber sie ist sehr informativ.“
Der Mikrobiologe und seine Kollegen werfen mit ihren Sequenziergeräten auch einen Blick in die Vergangenheit. „Unser Ziel ist es, zehn Prozent aller positiven Proben in jeder beliebigen Woche zu sequenzieren“, sagt Abdelrahman. Bis Oktober wollen die Forscher „zurückgehen“, derzeit sei man bei Mitte Dezember angelangt. So haben sie auch den bisher ältesten Luxemburger Coronatest entdeckt, der die B.1.1.7-Variante enthielt. Er wurde am 19. Dezember abgegeben.
Aus epidemiologischer Sicht sei B.1.1.7 zwar ansteckender, sagt Abdelrahman. „Aber wenn wir in andere Länder schauen – Dänemark zum Beispiel – dann sehen wir, dass die Variante dort auf einem gewissen Niveau bleibt.“ Noch gebe es in Luxemburg keine gestiegene Zahl von Infektionen, die mit der hohen Infektiosität korrelieren würde. Im Vereinigten Königreich habe es ein epidemiologisches Signal gegeben, sagt Abdelrahman. „Aber dieses Signal gab es bis jetzt nicht in Dänemark – und auch nicht in Luxemburg.“
Ähnlich verhalte es sich mit der südafrikanischen Variante, die das LNS inzwischen in drei Luxemburger Coronatests aufspüren konnte. „Das ist etwas, was wir sporadische Fälle nennen“, sagt der Mikrobiologe. Es gebe immer wieder Varianten, die kommen – und auch wieder gehen würden. „Ich bin Virologe“, sagt Abdelrahman. „Und als Virologe weiß ich, dass man das Verhalten eines Virus nie vorhersagen kann.“
- Tornado oder nicht? Jetzt reagiert Meteolux - 2. November 2024.
- Deutschland weist 32 Menschen zurück – aber nur zwei kommen in Luxemburg an - 31. Oktober 2024.
- So bereitet die Polizei Luxemburger Schulen auf den Amok-Notfall vor - 26. Oktober 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos