Dopingbekämpfung / Je mehr scharfe Schwerter, desto besser: Dagmar Freitag über Sinn und Zweck von Anti-Doping-Gesetzen
Ein neues Gesetz in den USA hat im Weltsport die Diskussion über strafrechtliche Grundlagen im Anti-Doping-Kampf entfacht. Deutschland ist eines der wenigen Länder, die eine solche Grundlage haben. Die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestags, Dagmar Freitag (SPD), über den Sinn und Zweck von Anti-Doping-Gesetzen.
Mit dem Rodtschenkow-Gesetz wollen die USA weltweit strafrechtlich gegen Doping vorgehen. Als Grundlage reicht, dass ein US-Athlet am Wettkampf teilgenommen hat, eine US-Firma als Sponsor tätig ist oder ein US-Sender Fernsehrechte für die internationale Sportveranstaltung erworben hat. Das Gesetz zielt vor allem auf die Hintermänner bei Dopingvergehen ab. Der ehemalige Präsident des Luxemburgischen Olympischen Komitees, Marc Theisen, und die frühere Triathletin Liz May haben sich im Tageblatt für eine strafrechtliche Grundlage in der Dopingbekämpfung ausgesprochen. May kann sich ein solches Gesetz auch für Luxemburg vorstellen. Deutschland hat seit nunmehr fünf Jahren ein Anti-Doping-Gesetz. Die SPD-Politikerin Dagmar Freitag ist seit 2009 Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestags. Im Tageblatt-Interview spricht sie über den Sinn und Zweck von Anti-Doping-Gesetzen.
Tageblatt: Braucht die Dopingbekämpfung Ihrer Meinung nach eine strafrechtliche Grundlage?
Dagmar Freitag: Ganz offensichtlich. Doping und Manipulation zerstören die Chancengleichheit im Sport. Athletinnen und Athleten müssen sich darauf verlassen können, dass alles getan wird, um gleiche Bedingungen für den Wettkampf sicherzustellen. Jedes einzelne Dopingvergehen missachtet die Grundwerte des Sports wie Fair-Play und Respekt und ist Betrug am sauberen Athleten. Der Sport hat jahrzehntelang unter Beweis gestellt, dass er allein nicht in der Lage – und gelegentlich auch nicht gewillt – ist, das Problem auch nur einigermaßen erfolgversprechend in den Griff zu bekommen. Der Sport ist mit seinen eigenen Instrumenten und Möglichkeiten der Dopingbekämpfung limitiert. Er kann zwar Dopingtests durchführen lassen und überführte Aktive sperren. Allerdings hat zuletzt Russland auf erschreckende Weise bewiesen, wie ein solches System mit hoher krimineller Energie hintergangen werden kann. Staatliche Ermittler dagegen können Hausdurchsuchungen vornehmen, Telefone überwachen oder Daten austauschen und so in Bereiche zur Aufklärung vordringen, die dem Sport versperrt sind. Für ein Anti-Doping-Gesetz gibt es also eine Vielzahl von Gründen. Und eigentlich keine dagegen, wenn man an der Seite der sauberen Sportler steht.
Müssten sich Politik und staatliche Behörden noch stärker in die Anti-Doping-Bewegung einbringen?
Deutschland ist mit seinem Anti-Doping-Gesetz Vorreiter gewesen. Das Gesetz hat international für Aufsehen gesorgt, ich habe dessen Kernpunkte zum Beispiel Parlamentariern in den USA, in Indien oder Südafrika vorgestellt. Klar ist aber auch, dass der Kampf gegen Doping international geführt werden muss und auch nur so gewonnen werden kann. Je mehr Staaten eigene Anti-Doping-Gesetze verabschieden, desto mehr scharfe Schwerter sind über den Globus verteilt. Wichtig sind dann aber auch die internationale Zusammenarbeit und der Austausch von Informationen. Den Kampf gegen Betrüger im Sport können wir nicht national gewinnen. Und was den Sport angeht: Das Taktieren und Lavieren internationaler Sportverbände bei der Sanktionierung von Doping und Manipulation, siehe zum Beispiel das IOC in der Causa Russland, muss endlich ein Ende haben.
Jede gesetzliche Regelung, die der Bekämpfung des Dopings dient, ist zunächst einmal zu begrüßenMitglied des Deutschen Bundestags
Wie beurteilen Sie den „Rodtchenkov Act“?
Jede gesetzliche Regelung, die der Bekämpfung des Dopings dient, ist zunächst einmal zu begrüßen – so auch der kürzlich verabschiedete „Rodtchenkov Act“. Ich war im Juli 2018 in Washington zu einem Hearing der Helsinki Commission (einer unabhängigen Kommission der US-Regierung) zu einer Anhörung zum Gesetzentwurf als Sachverständige eingeladen und habe deutlich gemacht, wie wichtig gesetzliche Regelungen für die Bekämpfung des Dopings sind.
Wie bewerten Sie die Kritik am „Rodtchenkov Act“, die vor allem aus dem organisierten Sport kommt?
Das ist nichts Neues: Wann immer ein Gesetzgeber sich zur Wahrung der Integrität des sportlichen Wettbewerbs einmischt, ist der Aufschrei in der Szene groß. Das war in Deutschland nicht anders. Aus meiner Sicht ist das Gesetz ein weiterer wichtiger Schritt, vor allem wenn es gelingt, die internationale Zusammenarbeit noch zu formalisieren. Wir sind daher gut beraten, den Wirkungsgrad des „Rodtchenkov Act“ jetzt erst einmal zu beobachten. Sollten sich in der Anwendung vielleicht notwendige Feinjustierungen als notwendig herausstellen, sollte man sich diesen nicht verwehren.
Wie schwer war die Einführung eines Anti-Doping-Gesetzes in Deutschland?
Wir reden an dieser Stelle über jahrzehntelange Diskussionen und Auseinandersetzungen mit dem größten Teil der Spitzensportverbände. Die Widerstände waren enorm. Insbesondere der Deutsche Sportbund, die Vorläuferorganisation des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), der im Übrigen auch das Nationale Olympische Komitee für Deutschland ist, hat lange Zeit gegen ein eigenständiges Anti-Doping-Gesetz argumentiert. Hauptargument war, dass staatliches Eingreifen das System der Sportgerichtsbarkeit schwächen oder sogar konterkarieren würde. Das war zwar Unsinn, hat aber natürlich auch viele Sportler und Sportlerinnen verunsichert. Dennoch gab es eine erstaunliche Anzahl von Spitzensportlern und auch einige – wenn auch wenige – Spitzenverbände, die sich klar für ein Anti-Doping-Gesetz aussprachen. Allerdings macht es für dopende Aktive schon einen bedeutsamen Unterschied, ob „nur“ eine Sperre oder aber eine Verurteilung durch ein ordentliches Gericht droht. Mindestens so wichtig: Auch für die Hintermänner ist es deutlich ungemütlicher geworden.
Inwiefern hat sich die Dopingbekämpfung in Deutschland durch das Anti-Doping-Gesetz verändert?
Das Anti-Doping-Gesetz wurde Ende 2015 verabschiedet. Seitdem stehen u.a. Selbstdoping und Erwerb und Besitz von geringen Mengen an Dopingmitteln unter Strafe, die Ermittlungsmöglichkeiten der Justiz wurden verbessert und die Zusammenarbeit mit der Nationalen Anti-Doping-Agentur wurde ebenfalls gesetzlich geregelt. Bereits 2007 hatten wir als Kompromiss versucht, über das Arzneimittelgesetz mehr Druck auszuüben, aber das führte erkennbar nicht zu den gewünschten Ergebnissen. Die Aufdeckung des Dopingskandals um den Mediziner Marc S., der Blutdoping seit 2012 vor allem bei Winter- und Radsportlern eingeräumt hat und dessen Fall aktuell vor dem Landgericht München II verhandelt wird, geht auch auf die Ermittlungsinstrumente des Anti-Doping-Gesetzes und die länderübergreifende gute Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden zurück (Prozess in Folge der Operation Aderlass, Ermittlungen, an denen auch Österreich beteiligt war, das ebenfalls ein Gesetz gegen Sportbetrug hat, d.Red.).
Doping gefährdet die Bedeutung des Sports für die GesellschaftVorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages
Hat das Gesetz die Erwartungen erfüllt?
Wir befinden uns gerade im Prozess der Evaluierung des Gesetzes. Mir persönlich war schon bei der Verabschiedung 2015 klar, dass eine bereichsspezifische Kronzeugenregelung analog zu einer entsprechenden Regelung im Betäubungsmittelgesetz hilfreich gewesen wäre. Das war aber damals leider nicht durchsetzbar. Die von der Bundesregierung mit der Evaluierung beauftragten Sachverständigen schlagen nun in ihrem Bericht als Ergänzung unter anderem genau eine solche Kronzeugenregelung vor.
Wo müsste beim deutschen Anti-Doping-Gesetz noch nachgebessert werden?
Einführung einer bereichsspezifischen Kronzeugenregelung wird die Kernforderung sein. Auch den Schutz von Whistleblowern dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren. Wir kennen aus anderen Bereichen deren Bedeutung, manche Aufklärung eines Wirtschaftsskandals hat ihren Ursprung in einer vertraulichen und geschützten Aussage eines Informanten. Auch im Sport wäre der Dopingskandal in Russland ohne das Ehepaar Witali und Julia Stepanow und den ehemaligen Rusada-Chef Grigorij Rodtschenkow vermutlich nicht ans Licht gekommen. Andere Forderungen liegen im Kompetenzbereich der Bundesländer. Ich unterstütze ausdrücklich die Aufforderung der Sachverständigen an die Länder, endlich mehr Anti-Doping-Schwerpunktstaatsanwaltschaften einzurichten. Bislang gibt es die leider nur in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Selbst Nordrhein-Westfalen als größtes Bundesland hat das bis heute nicht für nötig gehalten. Das ist aus meiner Sicht einfach peinlich.
Was würden Sie einer Regierung, die über ein Anti-Doping-Gesetz nachdenkt, mit auf den Weg geben?
Man muss ein Anti-Doping-Gesetz von zwei Enden her denken. An dem einen Ende steht die gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports in seiner kompletten Vielfalt und Bandbreite. Auf den Sportplätzen, in Sporthallen, Schwimmbädern usw. werden so viele Werte und Verhaltensweisen vorgelebt, da findet soziales Lernen statt und für viele Bürgerinnen und Bürger ist der Sportverein vor Ort wie eine Familie. Wettkampf bedeutet zwar immer auch Gegeneinander – aber ohne Miteinander funktioniert es eben auch überhaupt nicht. Außerdem sind Sport und Bewegung wichtige Faktoren eines gesunden Lebensstils. Am anderen Ende stehen die Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, die für diese Gesellschaft Vorbilder sein können. Sie sind häufig von Kindesbeinen an mit hoher Motivation und großem Einsatz dabei und stellen Berufsausbildung, Studienpläne, Familienplanung und vieles mehr hintenan, um ihr Talent zu nutzen und in der (Welt-)Spitze – auch für ihr Heimatland – Erfolge zu feiern. Beide Enden verdienen nicht nur Wertschätzung, sondern auch den Schutz, den der organisierte Sport nicht bieten kann. Kurz und knapp: Doping gefährdet die Bedeutung des Sports für die Gesellschaft und zerstört Lebensträume von Spitzenathletinnen und -athleten.
* Die Fragen des Tageblatt wurden schriftlich beantwortet.
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