„Olympia ist immer politisch“ / Jean Asselborn über China und die Frage, welche Rolle der Sport in der Diplomatie einnimmt
Am Freitag werden die Olympischen Winterspiele in Peking eröffnet. Diese stehen aufgrund der Menschenrechtslage in China stark in der Kritik. Der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn erklärt, wieso er einen Boykott für falsch hält und wieso der Sport doch politischer ist, als es manche wahrhaben wollen.
Als die EU-Außenminister vergangene Woche über die angespannte Lage zwischen Russland und Ukraine beraten haben, sprach Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn den Olympischen Frieden an. Bereits in der Antike wurde drei Monate vor den Olympischen Spielen eine Waffenruhe ausgerufen, um den Athleten eine sichere Anreise zu den Spielen zu gewährleisten. Eine Tradition, die heute von den Vereinten Nationen fortgeführt wird. Es ist ein symbolischer Akt und der Olympische Frieden wurde bereits mehr als einmal gebrochen. „Auch wenn es bloß ein Symbol ist, kann man mit der Einhaltung der Waffenruhe ein Zeichen setzen“, so Asselborn, der sich nicht nur im Ukraine-Konflikt für diplomatische Lösungen starkmacht.
Abgesehen vom Olympischen Frieden, welchen Einfluss hat der Sport auf die Diplomatie und die Politik? Eine Frage, die im Vorfeld der Olympischen Winterspiele, die am Freitag in Peking eröffnet werden, viel diskutiert wurde. Während Sportfunktionäre gerne betonen, dass der Sport nichts mit Politik zu tun hat, steht für den dienstältesten EU-Außenminister, Jean Asselborn, fest: „Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften sind immer politisch. Sie sind einfach zu groß, um nicht politisch zu sein.“
Im aktuellen Kontext geht es vor allem um die Frage, ob in einem Land wie China, in dem Menschenrechte mit Füßen getreten und Minderheiten in Umerziehungslager gesteckt werden, Olympische Spiele ausgetragen werden sollen. Im Dezember rangen Asselborn und seine Amtskollegen aus der Europäischen Union um eine gemeinsame Position, ob sie Regierungsvertreter nach Peking schicken sollen oder nicht. Wie so oft bei außenpolitischen Fragen gab es keine gemeinsame Linie. Die Niederlande, Dänemark, aber auch die USA, Kanada und Großbritannien haben sich zum Beispiel für einen politischen Boykott entschieden. Luxemburg wird zwar keinen Regierungsvertreter nach China entsenden, allerdings wird Großherzog Henri sowohl als IOC-Mitglied wie auch als Staatsoberhaupt an den Spielen teilnehmen.
„Dahinfahren und darüber reden“
Asselborn sprach sich von Beginn an gegen einen diplomatischen Boykott aus. „Ein Boykott ist immer die einfachste Lösung“, so der Luxemburger, aber sinnvoller sei für ihn, dass man sich den Diskussionen um Menschenrechte stellt. „Dahinfahren und darüber reden“, sagt Asselborn. Ob Organisationen wie das Internationale Olympische Komitee oder der Fußball-Weltverband mit der Vergabe von Großereignissen nach China oder Katar ihrer politischen Verantwortung gerecht werden, sei dabei wieder eine andere Frage.
Für Peking sind es bereits die zweiten Olympischen Spiele, nachdem 2008 die Sommerspiele in Chinas Hauptstadt ausgetragen wurden. Damals gab es ebenfalls Diskussionen um die Menschenrechte im Riesenreich. Die Sommerspiele sollten zeigen, wie weltoffen China sei und dazu beitragen, dass sich die Menschenrechtslage weiter verbessere. „In Tibet sah die Wahrheit aber schon 2008 anders aus“, sagt Asselborn.
Zum Abschluss der Spiele 2008 hatte der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge behauptet, dass das IOC und die Olympischen Spiele souveräne Staaten nicht ändern und nicht alle Krankheiten der Welt heilen könnten, aber man könne zu positiven Veränderungen beitragen. Mit Blick auf die Situation der Menschenrechte war diese Aussage schlicht falsch. Heute ist es nicht mehr ausschließlich die Lage in Tibet, die im Fokus der Diskussionen steht, sondern die Situation der Uiguren. Die muslimische Minderheit wird von der chinesischen Regierung in Umerziehungslager gesteckt, gefoltert und getötet. „Aus dem Grund hat die EU ja auch Sanktionen gegen China verhängt“, erinnert Asselborn. „Es ist aber nicht nur die Situation der Uiguren, die uns beunruhigt, auch die Lage in Hongkong bereitet uns Sorgen.“
Wichtiger Handelspartner
Seit den Olympischen Spielen 2008 hat sich nicht nur die Lage der Menschenrechte verschlechtert, auch Chinas Position als Wirtschaftsmacht ist eine andere. „Seit 2010 ist China die zweitgrößte Volkswirtschaft und könnte die USA schon 2028 hinter sich lassen. Damit hat sich das Machtverhältnis sehr verändert.“ China ist auch für Luxemburg ein wichtiger Partner. Ob chinesische Banken, die Frachtfluggesellschaft Cargolux oder die CFL, die es mit chinesischen Partnern möglich macht, Waren von Bettemburg per Zug direkt nach China zu transportieren, die Volksrepublik spielt eine immer wichtigere Rolle in Luxemburgs Wirtschaft.
Die Winterspiele sollen China, so wie es für Olympische Spiele üblich ist, der Selbstinszenierung dienen. Sport ist halt ein beliebtes Werbemittel für Staaten. Da muss man nicht erst nach China blicken, auch Luxemburg versucht, sich mithilfe des Nation-Brandings im Sport ein positives Image zu geben. Die „Let’s make it happen“- Kampagne ist vom Umfang her zwar nicht mit einer Olympia-Bewerbung zu vergleichen, der Zweck dahinter aber schon. „Wer wie China Milliarden in Olympische Spiele investiert, der möchte natürlich einen Ertrag sehen.“ Innenpolitisch wird Xi Jinping die Spiele für sich zu nutzen wissen. Ob es mit der PR-Show nach außen klappt, ist allerdings aufgrund der Diskussionen über Menschenrechte, Pandemie und Klimaschutz fraglich.
Dass es Diskussionen über diese Themen gibt, zeigt, dass der Sport durchaus etwas bewegen kann. Als zu Beginn der Pandemie die halbe Welt – darunter auch Luxemburg – Masken und medizinisches Material aus China bekommen wollte, waren Menschenrechte kein großes Thema.
Pingpong-Diplomatie und Fußballkrieg
Wer an die diplomatische Wirkung des Sports denkt, denkt schnell an die ideologischen Duelle zwischen den USA und der Sowjetunion und die Olympischen Boykott-Spiele von 1980 in Moskau und ’84 in Los Angeles. Ein rezentes Beispiel dafür, wie sich der Sport diplomatisch einbringen kann, ist für Asselborn das Flüchtlingsteam bei den Olympischen Spielen in Rio und Tokio. „Es hat nicht nur diesen Athleten erlaubt, ihren Traum zu leben, sondern auch den Fokus auf die Herausforderung der Migrationspolitik gelegt. Das war in meinen Augen ein ganz starkes Zeichen, das vom Sport ausging.“
Aber auch das aus süd- und nordkoreanischen Spielerinnen bestehende Eishockeyteam war für Asselborn ein positives Zeichen. „Der Sport kann diplomatische Öffnungen schaffen, die Politiker nicht hinbekommen.“ Eines der bekanntesten Beispiele ist das der sogenannten Pingpong-Diplomatie in den 1970er-Jahren zwischen China und den USA, die unter anderem im Film „Forrest Gump“ thematisiert wurde. Die Tischtennisspieler Glenn Cowan und Zhuang Zedong hatten sich bei der Weltmeisterschaft 1971 angefreundet und Cowan wurde vom chinesischen Tischtennisverband nach China eingeladen. Es folgten Treffen von Politikern, die die Beziehungen zwischen den beiden Ländern entspannten.
Es gibt allerdings auch negative Auswirkungen des Sports auf die Politik. So löste ein Fußballspiel zwischen El Salvador und Honduras im Jahr 1969 einen militärischen Konflikt zwischen beiden Ländern aus und ging als „Fußballkrieg“ oder „100-Stunden-Krieg“ in die Geschichte ein.
Es gibt weitere Beispiele, die zeigen, dass der Sport nicht komplett losgelöst von der Politik betrachtet werden kann. Für Asselborn steht allerdings fest, dass die Verantwortung nicht zu sehr an den Athleten hängen darf. „Sie bereiten sich teilweise ein Leben lang auf so ein Event vor und erfüllen sich damit einen Lebenstraum.“ Für Luxemburgs Außenminister stehen vielmehr Funktionäre und Verbände in der Pflicht, und die treffen noch lange nicht immer die richtigen Entscheidungen. Asselborn gibt die Fußball-Europameisterschaft aus dem vergangenen Jahr als Beispiel. Die Stadt München wollte die „Allianz Arena“ beim Spiel Deutschland gegen Ungarn in Regenbogenfarben leuchten lassen und so ein Zeichen gegen ein homosexuellenfeindliches Gesetz in Ungarn setzen. Der Europäische Fußball-Verband UEFA legte daraufhin ein Veto ein und untersagte der Stadt München das Vorhaben. „Damit lag die UEFA daneben“, so Asselborn. Nicht wenige finden, dass auch das Internationale Olympische Komitee mit der Ausrichtung der Spiele in China danebenliegt. Der Sport ist doch politischer, als es manchen Funktionär arrangieren mag.
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