/ „Ein Rechtsstaat tut so etwas nicht“: Jean Asselborn über den Putsch und seine Folgen in der Türkei
Zwei Tage verbrachte Jean Asselborn in der Türkei. Was hängen bleibt, ist die Pressekonferenz mit seinem Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Bei dieser trat deutlich zutage, wie sehr sich die Ansichten der beiden Außenminister unterscheiden, wenn es darum geht, wie die Türkei seit dem Putschversuch Mitte 2016 mit potenziellen Gegnern verfährt.
Tageblatt: Was kritisieren Sie vor allem am Vorgehen Ankaras?
Jean Asselborn: Natürlich sind nach einem Putschversuch Maßnahmen zu treffen. Jeder versteht, dass ein Staat sich in einer solchen Situation wehren muss. Nicht mehr normal ist, wenn Tausende in Untersuchungshaft landen. Wenn die Unschuldsvermutung nicht akzeptiert wird. Wenn viele nicht einmal wissen, weshalb sie weggesperrt wurden. Weil jemand sie angeschwärzt hat? Weil sie in irgendeiner Verbindung zu dem Prediger Gülen stehen, den Ankara für den Putschversuch verantwortlich sieht? Vielleicht auch nur zu einer von dessen Schulen? Kurzum, sie wissen es nicht. Und hier drückt der Schuh: Das ist mit einem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren.
Gibt es Anzeichen, dass die Türkei sich wieder mäßigt?
Es gibt einen Hoffnungsschimmer. Der Außenminister hat es angedeutet, und auch vom Botschafter der EU in Ankara, Christian Berger, waren entsprechende Signale zu vernehmen. Demnach wolle die Türkei in Fragen der Rechtsstaatlichkeit wieder mit dem Europarat und somit auch mit der Venedig-Kommission zusammenarbeiten (Anm. d. Red.: Die Venedig-Kommission ist eine Einrichtung des Europarates, die Staaten verfassungsrechtlich berät und sich für Demokratie einsetzt). Die Schwierigkeit bleibt aber, dass es nicht reicht, über Reformen im Justizwesen zu reden, sondern Resultate gebraucht werden. Prominente wurden aus dem Gefängnis entlassen. Von denen wissen auch heute einige noch immer nicht, wieso sie einsaßen.
Sehr viele sitzen weiter in Haft …
Es sind vor allem Tausende Menschen – auch Journalisten und Menschenrechtler –, die keine öffentliche Aufmerksamkeit bekommen und die weiterhin in Untersuchungshaft sind. Und das ist es, was einen Rechtsstaat kennzeichnet – dass er so etwas eben nicht tut. Auch nicht nach dem Versuch eines Staatsstreiches. Es gibt also einen kleinen Hoffnungsschimmer. Wir müssen aber schauen, ob das Gesagte Folgen hat.
Seit dem EU-Türkei-Deal im Jahr 2016 unterstützen die EU und die Mitgliedstaaten die Türkei in ihren Bemühungen bei der Flüchtlingsbetreuung. Hierfür sind bereits Milliarden geflossen. Ergibt das Sinn? Oder ist das ein Freifahrtschein für Erdogan?
Kein Land auf der Welt hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als die Türkei. Insgesamt sind es 4 Millionen, 3,6 Millionen davon sind Syrer, der Rest vor allem Iraker. Pro Jahr kommen in der Türkei 60.000 syrische Kinder zur Welt. Das ist eine Zahl, die eigentlich alles aussagen sollte. Deswegen ist es so wichtig, dass die EU der Türkei finanziell hilft.
Diese Gelder fließen ja nicht ins Staatsbudget. Das sind Gelder, die werden verwendet für die Flüchtlinge. Damit wird ein Gesundheitswesen aufgebaut, damit werden Schulen unterhalten – und das ist das Allerwichtigste, um diesen Menschen eine Lebensperspektive bieten zu können. Und jetzt stellen wir uns einmal vor, was wäre, wenn diese Menschen nicht in der Türkei untergekommen wären. Was das für Europa bedeutet hätte. Auch deswegen muss Europa der Türkei helfen.
Sie waren zwei Tage in der Türkei. Am ersten drohte Donald Trump den Türken die wirtschaftliche Zerstörung an. Am zweiten versprach der US-Präsident eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit und dazu noch einen 30 Kilometer breiten Sicherheitskorridor im Norden Syriens. Wie sehen Sie die Rolle der Türkei im Syrien-Konflikt? Die Besatzung der Region Afrin zu Beginn des vergangenen Jahres und die Vertreibung der Kurden haben Sie noch stark kritisiert.
Die Türkei spielte eine positive Rolle in der Region Idlib, wo sie versucht hat, eine Eskalation zu unterbinden. Auch der Astana-Prozess, bei dem neben der Türkei noch Russland und der Iran beteiligt sind und der parallel zu den UN-Friedensgesprächen in Genf läuft, ist eher positiv zu bewerten. Ich sagte ihnen aber, ohne jetzt Kurden, PKK oder YPG zu nennen, dass es an der Zeit wäre einzusehen, dass es genug Waffengänge in Syrien gegeben hat – und eine weitere Militäraktion vielleicht die eine zu viel wäre. Die Antwort der Türkei ist immer dieselbe: Dass ihre Aktionen sich nicht gegen Kurden richten, sondern gegen Terroristenorganisationen. Klar ist aber, dass das nicht alles Terroristen sind in Syrien. Und im Moment wird ja auch noch gezögert.
Und was ist mit dem 30-Kilometer-Korridor, den Trump jetzt scheinbar mit Erdogan vereinbart hat? Auf syrischem Terrain wohlgemerkt …
Trump sagt an einem Tag dies, am anderen Tag das. Es hat keinen Sinn, darüber zu diskutieren.
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