Migration in Zahlen / Jean Asselborn zieht Bilanz: „3.700 Ukrainer werden in Luxemburg bleiben“
Außenminister Jean Asselborn hat am Dienstagmorgen die Migrationszahlen für das Jahr 2022 vorgestellt. Eine hohe Immigration und der Ukraine-Krieg haben das Jahr für das Außenministerium und das „Office national de l’accueil“ (ONA) bestimmt. Doch auch die Krise im Iran hat der Luxemburger Chefdiplomat kurz thematisiert.
Ukraine
Außenminister Jean Asselborn (LSAP) hat kurz vor dem einjährigen Andauern des Krieges am 24. Februar in der Ukraine die kompletten Flüchtlingszahlen für das Jahr 2022 vorgestellt. 5.039 Ukrainer – davon 1.715 Minderjährige – haben im vergangenen Jahr in Luxemburg einen Antrag auf temporären Schutz gestellt. In 5.004 Fällen wurde vom „Office national de l’accueil“ (ONA) eine Entscheidung gefällt, die bei 4.915 Anträgen positiv ausfiel. Bei den 35 verbleibenden Personen handelt es sich um Antragsteller, die im Laufe der Prozedur ihren Antrag zurückgezogen bzw. erst im Januar dieses Jahres eine Antwort erhalten haben. 89 Flüchtlingen aus der Ukraine wurde der Schutzstatus in Luxemburg nicht gewährt. „Das liegt daran, dass diese Personen zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr in der Ukraine wohnten oder aber bereits eine Aufenthaltsgenehmigung in einem anderen Land hatten“, erklärt ein Sprecher des Außenministeriums die abgelehnten Anträge auf Tageblatt-Nachfrage. 62 Prozent der nach Luxemburg geflüchteten Ukrainer waren Frauen. 34 Prozent der Geflüchteten waren minderjährig.
Laut Asselborn haben 4.678 Personen aus der Ukraine derzeit eine noch gültige Aufenthaltsgenehmigung. 3.508 von ihnen sei bereits eine Verlängerung gewährt worden, rund 150 Prozeduren seien momentan noch in Arbeit. „Wir gehen deshalb davon aus, dass nach dem 4. März noch rund 3.700 Ukrainer in Luxemburg sein werden“, meint Asselborn. Genaue Zahlen könne er jedoch erst nach Ablauf der Frist vorstellen. Von diesen 2.700 Personen sind derzeit 1.280 in offiziellen Aufnahmeeinrichtungen untergebracht – was wiederum bedeutet, dass noch immer rund 2.400 Ukrainer bei Privatleuten untergekommen sind. Menschen, die den temporären Schutzstatus haben und eine Arbeit gefunden haben, können zudem eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung beantragen.
Migration auf Vorkrisenniveau
2.269 Personen haben im Jahr 2022 Asyl beantragt. „Die Migration stabilisiert sich wieder auf einem sehr hohen Vor-Pandemie-Niveau“, sagt Asselborn. Die Zahlen würden sich wieder in ähnlichen Sphären bewegen wie in der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016. Fast die Hälfte der Asylanträge (1.008) in Luxemburg aus dem Jahr 2022 wird den Zahlen des Außenministeriums zufolge von Syrern gestellt. Die zweitmeisten Anträge, 355 an der Zahl, wurden von Flüchtlingen mit eritreischer Nationalität gestellt, gefolgt von Personen aus Afghanistan (174). „Auffällig ist, dass Irak als Herkunftsland nicht mehr in den Top 10 liegt“, sagt Asselborn. „Auch findet sich keines der Balkanländer unter den Herkunftsländern wieder, aus denen viele Personen nach Luxemburg flüchten.“
2022 wurden 1.914 Anfragen im ONA behandelt. Insgesamt wurden 1.123 Schutzanträge angenommen. In 222 Fällen zogen die Antragsteller ihre Anfrage wieder zurück. In 231 Fällen entschieden die Luxemburger Behörden, dass der Schutzantrag nicht gewährt werden könne. Luxemburg habe im vergangenen Jahr 189 Abschiebungen vorgenommen, so Asselborn. 121 seien auf freiwilliger Basis geschehen, bei 68 Abschiebungen habe es sich um „retours non volontaires“ gehandelt.
Arbeitsmigration
Ein Großteil der Migrationsbewegungen machten auch im Jahr 2022 Personen aus, die für eine vergütete Arbeit nach Luxemburg kamen. 17.759 Personen fanden durch einen Job den Weg nach Luxemburg, was dem gleichen Niveau der Vorjahre – mit Ausnahme der Corona-Pandemie – entspricht. Rund ein Viertel der aus der EU Zugezogenen kam aus Portugal (4.626) nach Luxemburg. Franzosen (3.721) und Italiener (2.388) folgen an zweiter und dritter Stelle vor den Spaniern (1.327) und Belgiern (1.084). Bei den Drittländern liegen Brasilien (292), die Kapverden (121) und Russland (67) auf den Plätzen eins bis drei der Länder, aus denen die meisten Arbeitenden nach Luxemburg kamen.
Iran
Der Iraner Amir Labaf sorgte vergangene Woche mit seinem Hungerstreik vor der Chamber für Aufsehen. Er forderte, dass die Iranische Revolutionsgarde (IRGC) als terroristische Organisation eingestuft und nicht weiter mit ihr verhandelt werden soll. „Das ist aber nicht ohne Weiteres möglich“, erklärt Asselborn auf der Pressekonferenz. Die EU-Außenminister hatten sich am Montag in Brüssel getroffen, um über weitere Hilfen für die Ukraine zu diskutieren. Dabei seien laut Asselborn auch die Proteste im Iran und eine mögliche Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation besprochen worden. Einer Einstufung als terroristische Organisation würde demnach die gesetzliche Basis fehlen. „Wir haben aber zahlreiche Politiker, Abgeordnete, Richter und sonstige Handlanger einzeln sanktioniert – darunter auch einige Mitglieder der Revolutionsgarde“, so Asselborn. Mit Amir Labaf würde man sich aber noch im Anschluss an die Pressekonferenz unterhalten und mit ihm das Resultat der EU-Unterredungen besprechen.
Auf Tageblatt-Nachfrage bestätigt Asselborn zudem zahlreiche Medienberichte, nach denen der Iran hochangereichertes Uran horten würde – und der Bau einer Atombombe somit immer realistischer werde. „84 Prozent des Urans sind mittlerweile angereichert“, so Asselborn. „Trump hat einfach den kolossalen Fehler begangen, das Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen.“ Man habe keine Druckmittel mehr, um auf den Iran einwirken zu können und den Bau der Atombombe zu verhindern. „Wir wollen nicht, dass der Iran eine Atombombe baut“, so Asselborn. Derzeit könne man aber nur wenig gegen die fast uneingeschränkte Macht der Ayatollahs unternehmen.
Trotz der landesweiten Proteste im Iran und der Repressionsbemühungen des iranischen Regimes sei es weder in Luxemburg noch in der EU zu einem nennenswerten Anstieg der Flüchtlingszahlen aus dem Iran gekommen.
Unbegleitete Minderjährige
Außenminister Jean Asselborn ist auf der Pressekonferenz am Dienstagmorgen auf die steigenden Zahlen von minderjährigen Flüchtlingen eingegangen. „Davon ist nicht nur Luxemburg, sondern auch Belgien und die Niederlande stark betroffen“, so Asselborn. Tatsächlich fanden im vergangenen Jahr mit 110 unbegleiteten Minderjährigen fast doppelt so viele den Weg nach Luxemburg als im Jahr zuvor (56). Das Phänomen erklärt sich Luxemburgs Chefdiplomat mit innenpolitischen Überlegungen der türkischen Regierung. Die Türkei habe während der Flüchtlingskrise die Hauptlast getragen und Millionen an Syrern aufgenommen. Mittlerweile würde es ganze Städte geben, in denen mehr Syrer als Türken lebten. „Demnächst stehen jedoch Wahlen an“, sagt Asselborn. Weshalb man versuchen würde, eine Million Syrer außer Land zu bringen. Familien würden sich deshalb oft entscheiden, ihre Kinder in die Hände von Schleppern zu geben, um später über den geregelten Familiennachzug Einzug in ein sicheres Land zu erhalten. „Viele Menschen haben alles in Syrien verloren und wollen nicht mehr dorthin zurückkehren“, so Asselborn.
Das ONA führte im Jahr 2022 49 medizinische Untersuchungen zur Feststellung des Alters bei Geflüchteten durch. Derzeit verweilen 164 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Luxemburg. Die überwiegende Mehrheit stammt aus Afghanistan, Eritrea und Syrien.
- Von Dynamik und Statik: Xavier Bettels Europa- und Außenpolitik braucht neue Akzente - 19. November 2024.
- CSV und DP blicken auf ereignisreiches Jahr zurück - 18. November 2024.
- „déi Lénk“ sieht von „Interessenkonflikten durchsetzte“ Institution - 13. November 2024.
„17.759 Personen fanden durch einen Job den Weg nach Luxemburg, “ Schön verpackt. Sollte es nicht heißen „..kamen nach Luxemburg um einen Job zu finden“? Die jungen Afrikaner oder Afghanen kommen doch nicht mit einem Arbeitsvertrag in der Tasche nach Europa. Die Welle wird nicht abreißen solange in diesen Ländern keine Aussichten auf gute Lebensbedingungen sind.PS. Die im Artikel gezählten 197 Obdachlosen sind keine Migranten.Das sollte man sich vor Augen halten. Asselborn ist nicht zu beneiden.