Geschäfte mit Russland / Jean-Louis Zeien fordert mehr Transparenz: „Europa braucht ein Lieferkettengesetz zur Wahrung der Menschenrechte“
Der Stahlriese ArcelorMittal nimmt seine Geschäfte mit Russland wieder auf – ganz im Einklang mit den gegenwärtigen Sanktionen, versichert das Unternehmen. Doch wie kann der Konzern garantieren und veranschaulichen, dass Russland die gelieferte Ware nicht für militärische Zwecke missbraucht? Dafür fehle nämlich das nötige (Lieferketten-)Gesetz, so der Wirtschaftsethiker Jean-Louis Zeien im Gespräch mit dem Tageblatt.
ArcelorMittal nimmt den Stahlverkauf an Russland wieder auf – und das nach eigenen Angaben in „voller Beachtung der Sanktionen“. Diese Entscheidung sei jedoch nicht von der Muttergesellschaft selbst, sondern von ihrem Ableger in Kasachstan getroffen worden, teilt das Unternehmen auf Tageblatt-Nachfrage hin mit. „Nach sorgfältiger Abwägung der Situation wurde der Verkauf von Grunderzeugnissen von AMT [gemeint ist der Ableger ArcelorMittal Temirtau in Kasachstan; Anm. der Redaktion] nach Russland als einzige Alternative wieder aufgenommen, um die Lebensfähigkeit des Werks und den Lebensunterhalt seiner 35.000 Beschäftigten zu sichern“, hieß es weiter. Ganz so einfach ist die Lage allerdings doch nicht – zumindest nicht aus wirtschaftsethischer Perspektive betrachtet. Das weist der Aktivist und Präsident von Fairtrade Luxemburg, Jean-Louis Zeien, im Gespräch mit dem Tageblatt auf.
Die Wiederaufnahme der Geschäfte mit Russland werfe einige grundlegende Fragen auf – allem voran, ob die bestehenden Sanktionen gegen Russland auch wirklich respektiert werden, oder nicht. Eine weitere wichtige Frage betrifft die Nutzung des von ArcelorMittal verkauften Materials: Kann es für militärische Zwecke benutzt werden? „Wenn das der Fall wäre, wäre das ein absolutes No-Go“, sagt Zeien.
Ein dritter Punkt betrifft die Frage der Verantwortung. Wenn eine Tochtergesellschaft eine Entscheidung trifft, könne sich die Muttergesellschaft nicht einfach jeglicher Verantwortung entziehen und behaupten, sie hätte nichts damit zu tun. „Das ist eine Anschauung, wie es sie in den vergangenen Jahrzehnten [allgemein gesprochen und nicht nur auf ArcelorMittal bezogen; Anm. der Redaktion] viel zu oft gegeben hat“, meint Zeien. Diese Art und Weise, sich von Entscheidungen und Handlungen von Tochtergesellschaften zu „de-responsabilisieren“, obwohl diese den Muttergesellschaften gehören und unter ihrer Kontrolle stehen, „das ist in keinster Hinsicht zu rechtfertigen“, meint Zeien. Besonders gravierend sei das bei Fällen (allgemein gesprochen und nicht explizit auf ArcelorMittal bezogen), in denen auch noch Menschenrechtsverletzungen ins Spiel kommen würden.
Ein Lieferkettengesetz muss her
In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage schrieb Luxemburgs Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP): „Jedes Unternehmen ist dafür verantwortlich, im Rahmen seiner Aktivitäten die finanziellen und wirtschaftlichen Sanktionen zu respektieren.“ Dazu äußerte sich der Stahlkonzern gegenüber dem Tageblatt wie folgt: „ArcelorMittal und AMT halten sich in vollem Umfang an die geltenden Sanktionen und die damit verbundenen Exportkontrollen.“
Der Minister habe zudem gegenüber ArcelorMittal betont, dass die nötigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden müssten, damit die Lieferungen nicht für militärische Zwecke genutzt werden. Doch weder der Minister noch ArcelorMittal haben erklärt, wie genau das gewährleistet und kontrolliert werden soll. Daher fordert Zeien, der auch Co-Koordinator der „Initiative pour un devoir de vigilance“ ist, sowohl für Luxemburg als auch für Europa ein effektives Lieferkettengesetz.
Vorschlag der Europäischen Kommission
Die Europäische Kommission hat im Februar 2022 eine Vorlage für Unternehmensregeln zur Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in globalen Wertschöpfungsketten unterbreitet. Der Vorschlag soll laut eigenen Angaben „ein nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Verhalten in allen globalen Wertschöpfungsketten fördern“. Die neuen Regeln sollen Unternehmen dazu verpflichten, „negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte, wie Kinderarbeit und Ausbeutung von Arbeitnehmern, sowie auf die Umwelt – beispielsweise Umweltverschmutzung und Verlust an biologischer Vielfalt – zu ermitteln und erforderlichenfalls zu verhindern, abzustellen oder zu vermindern“.
Demnach müssten Firmen einerseits garantieren, dass es innerhalb ihrer Lieferketten nicht zu Menschenrechtsverletzungen kommt, und andererseits wären sie auch dazu verpflichtet, zu berichten, wie genau sie das sicherstellen. Über Jahrzehnte hinweg hätte sich gezeigt, dass die aktuellen Maßnahmen „fast nichts gebracht haben“. „Jetzt muss endlich etwas mit Substanz gemacht werden“, meint Zeien. Der im Februar 2022 von der Europäischen Union unterbreitete Vorschlag sei ein positiver erster Schritt, allerdings gebe es immer noch sehr viele Lücken zu füllen.
„Nach besten Kräften bemühen“
Zu Zeiens Bedauern habe sich ArcelorMittal seiner Ansicht nach nicht vollumfänglich für den Vorschlag der Europäischen Kommission ausgesprochen. Der Stahlriese reagierte in einem Schreiben auf den Vorschlag der Kommission: Das Unternehmen wolle sich „nach besten Kräften bemühen, die gesamte Wertschöpfungskette in seine Due-Diligence-Prüfung einzubeziehen“. „Es gilt nicht nur, ‚sich nach besten Kräften zu bemühen‘, wenn diese Pflicht kommt, müssen sie es ganz einfach tun“, kommentiert Zeien.
ArcelorMittal schreibt zudem: „Es sollte jedoch anerkannt werden, dass die Due-Diligence-Prüfung der nachgelagerten Lieferkette [ihre Kunden; Anm. der Redaktion] im Vergleich zur vorgelagerten Lieferkette [ihre Lieferanten; Anm. der Redaktion] Schwierigkeiten bereiten kann. Große Unternehmen wie ArcelorMittal stehen vor einer größeren Herausforderung, da wir zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, um Daten von unseren Kunden zu sammeln.“ Des Weiteren schlägt der Stahlkonzern die Einführung eines „sicheren Hafens“ oder/und einer Einführungsphase für die nachgelagerte Lieferkette vor, „die es ermöglichen würde, sich zunächst an die Sorgfaltspflicht für die vorgelagerte Lieferkette anzupassen und nach ihrer Konsolidierung zur Einbeziehung der gesamten Wertschöpfungskette in ihre Sorgfaltspflicht überzugehen“.
Damit würde sich ArcelorMittal die Sache allerdings ein wenig zu einfach machen, meint Zeien. Das käme in einer ersten Phase einer Abschwächung des vorliegenden Vorschlags gleich, in der Kunden nicht preisgeben müssten, wofür sie die gekaufte Ware nutzen oder im schlimmsten Fall sogar missbrauchen würden. Aber: „In dieser Situation ist es absolut legitim, dass man verhindern will, dass gelieferte Materialien zu militärischen Zwecken gegen einen genutzt werden“, sagt Zeien.
Zeien glaubt aber nicht, dass es zweckdienlich sei, jegliche wirtschaftliche Aktivitäten mit einem Land wie Russland zu verwerfen. Es müsse aber gewährleistet werden, dass die Sanktionen einerseits auch die richtigen Akteure treffen, und andererseits, dass es keine Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Lieferkette gibt. Bedeutende Unternehmen hätten oft einen großen Einfluss: So verfüge auch ArcelorMittal, einer der weltführenden Stahlkonzerne, über eine gewisse wirtschaftliche Macht – sowohl auf die vorgelagerte als auch die nachgelagerte Lieferkette.
Luxemburg braucht eine ethische Richtlinie
Das wirft die grundlegende Frage auf, ob Geschäfte mit Ländern, die für Menschenrechtsverletzungen bekannt sind, überhaupt ethisch vertretbar sind. In diesem Zusammenhang nennt Zeien Luxemburgs Geschäfte mit Ruanda. Noch vergangenen Monat reiste eine luxemburgische Delegation in das westafrikanische Land, mit dem Ziel, ihre Kooperation zu festigen und auszubauen. Die Hintergründe dieser wirtschaftlichen Beziehungen seien ausschlaggebend: Zielen sie nur darauf ab, Geschäfte zu machen, oder wird auch die menschenrechtliche Dimension berücksichtigt?
Luxemburg könnte Ruanda Unterstützung anbieten – unter der Bedingung, dass Ruanda die Menschenrechte respektiert und sie einhält. So könnte Luxemburg, ein Mitglied des UN-Menschenrechtsrats, die Menschenrechte in dem Land aktiv fördern. Dafür bräuchte es jedoch eine kohärente Außen- und Wirtschaftspolitik.
Zeien habe erst neulich die öffentlich zugängliche Chamber-Sitzung besucht, bei der die Ruanda-Reise thematisiert wurde – und feststellen müssen, „dass es heute zu diesem Zeitpunkt kein Konzept gibt“. Um den Vorwurf der Doppelmoral zu entkräften, brauche das Großherzogtum aber unbedingt eine ethische Richtlinie, die zumindest auf den Grundprinzipien der Vereinten Nationen basiert.
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Was soll denn heute noch transparent sein,
gar nix mehr,Menschenrechte werden schons lange
nicht mehr respektiert,egal wieviel Gesetze bestimmt werden,
wenns ums korrupte Geld geht dann kennt niemand mehr
seine Grenzen.
“ Ein Manko ist freilich die Weigerung der Vereinigten Staaten von Amerika und einiger anderer einflussreicher Staaten, sämtlichen Verträgen und ihren Zusatzabkommen beizutreten. “ Man merke: ..und einiger anderer einflussreicher Staaten..!
Es geht hier um die Menschenrechtskonvention!
Dass da der Vatikan auch dabei ist wird tunlichst verschwiegen.Und da ist man Anhänger dieses Vereins? Na sammal.