Editorial / Jeder hat ein Recht auf Sex – auch Menschen mit einer Behinderung
Ob man nun knattert, nagelt, vögelt oder Matratzensport betreibt: Hauptsache, Sex macht alle Beteiligten glücklich. Nicht von ungefähr nennt man es die schönste Nebensache der Welt. Der Körper belohnt die Intimität mit einer Ausschüttung von Oxytocin und Endorphinen. Man fühlt sich seinem Partner näher, die Hormone fördern die Zuneigung und bauen sogar Stress ab.
Für die meisten Menschen gehört Sex, ob alleine oder mit einem oder mehreren Partnern, zur Normalität. Völlig anders ist die Situation allerdings für viele Menschen mit einer Behinderung. Dabei haben sie genauso ein Anrecht auf ein gesundes Sexleben wie jeder andere. Das fängt schon mit der Aufklärung an: Informationen zu Fragen wie „Was ist Sex?“, „Wie verhüte ich?“ oder „Was sind Sexualkrankheiten?“ sind, wenn überhaupt, dann nur äußerst selten in leichter Sprache verfügbar. Im Nationalen Aktionsplan zur Förderung sexueller und affektiver Gesundheit, der beispielsweise genau die Aufklärung über Sex vorantreiben soll, kommt das Wort „Behinderung“ genau dreimal vor. Wie sollen etwa Menschen mit einer geistigen Behinderung ein gesundes, selbstbestimmtes Sexualleben führen, wenn ihnen grundlegende Informationen nicht zur Verfügung stehen?
Aber auch der Sex selbst muss Menschen mit einer Behinderung möglich sein. Das heißt, es braucht zum einen Wohnformen, die es Menschen mit einer Behinderung auch erlauben, als Paar zusammenzuleben, wenn sie das möchten. Das sieht der neue Aktionsplan zum Behindertenrecht auch vor. Es ist allerdings das einzige Mal, dass die sexuelle Intimität auch nur ansatzweise im Aktionsplan berührt wird. Damit hinkt Luxemburg weiter anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Deutschland, der Schweiz oder Frankreich meilenweit hinterher. Wie viel mutiger wäre es gewesen, wenn im Aktionsplan zum Beispiel die Einführung von Sexualbegleitung vorgesehen worden wäre?
Nur weil zwei Partner beispielsweise eine körperliche Behinderung haben, die es ihnen erschwert oder es schier verhindert, in die passende Körperlage zum Sex zu kommen, heißt es nicht, dass sie auf Intimität verzichten möchten oder sollten. Von den traditionellen Pflegern kann eine Begleitung beim Sex nicht verlangt werden: Es ist nicht in ihrem Aufgabenbereich vorgesehen. Ein speziell ausgebildeter Sexualbegleiter könnte hier dem Paar weiterhelfen und den Betroffenen trotz einer Behinderung ein Sexleben ermöglichen. In Deutschland und der Schweiz gibt es auch die aktive Sexualbegleitung. Das „Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter“ beispielsweise bildet speziell geschulte Sexualbegleiter aus, die gegen Bezahlung Menschen mit einer Behinderung Sexualität als erotische Erfahrung erleben lassen. Das mag für einige zur Prostitution zählen, geht aber laut dem Institut weit darüber hinaus und kann Menschen mit einer Behinderung helfen, selbstbestimmter zu leben.
Sex darf kein Tabuthema sein, wenn über die Gleichberechtigung von Menschen mit einer Behinderung gesprochen wird. Es ist ermutigend, dass es auch in Luxemburg erste Konferenzen und Diskussionsrunden zum Thema Sexualbegleitung gibt. Doch leider ist in zu vielen Köpfen ein Mensch mit Behinderung automatisch ein asexuelles Opfer, dem man helfen muss. Und nicht ein Mensch, der in allen Aspekten des Lebens selbstbestimmt leben können muss.
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Der Ausdruck ‚Jeder hat das Recht Sex zu haben‘ kann missverstanden werden. Es gibt kein Recht Sex zu haben, ob als Mensch mit oder ohne Behinderung. Sex kann nicht erzwungen werden.
Félicitations à Jessica Oe pour cet article….
Le Luxembourg en piètre position malgré notre gouvernement
ne devant pas être si conservateur pour ne pas aborder ce sujet
très humain
Bei Demenz im Altersheim gilt das ebenfalls. Assistenzhunde zum Umgang mit geistiger Behinderung dürfen nicht die einzige Option bleiben, nur weil Ehepartner ihre Wohnung räumen mussten, nachdem ihnen nach und nach Führerschein, Haushalt und Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen wurden.
Vielen Dank für diesen wichtigen und sehr gut recherchierten Artikel.
Natürlich geht es beim „Recht auf Sexualität“ nicht darum, dass jeder Mensch einen geegneten Sexualpartner „zugeteilt“ bekommt. Da hat Herr von Horstein ganz recht. Es gehören immer zwei Seiten dazu.
Wichtig ist aber, dass man auch Menschen mit Beeinträchtigung Möglichkeiten eröffnet, ihre Sexualität auszuleben – sei es durch eine gezielte Aufklärung, durch Hilfsmittel, durch eine Partnerschaftsbörse, die die Belange von Menschen mit Beeinträchtigung mit einbezieht, oder eben durch professionelle Sexualassistenz.
Hier ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Und die rechtliche Situation muss geklärt werden.