/ Jetzt geht es ums Ganze: Auf dem EU-Gipfel wird es nicht nur um den Brexit gehen
Der EU-Gipfel berät nicht nur über den Brexit, sondern auch über die USA, China und den Klimaschutz. Zwei Monate vor der Europawahl tun sich die Staats- und Regierungschefs mit Entscheidungen schwer.
Von unserem Korrespondenten Eric Bonse
Über alles reden, aber nichts entscheiden: Diese Linie hat EU-Ratspräsident Donald Tusk für den EU-Gipfel am heutigen Donnerstag und am Freitag in Brüssel vorgegeben. Nicht einmal zum Brexit, dem schicksalhaften Angstthema der (noch) 28 EU-Staaten, sollen Entscheidungen fallen. Beschlüsse werde man wohl vertagen, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Dennoch könnte es einer der wichtigsten Gipfel der letzten Jahre werden.
Zwei Monate vor der Europawahl geht es nämlich ums Ganze: den Handelsstreit mit den USA, der jederzeit in einen offenen Handelskrieg umschlagen könnte, aber auch um die Beziehungen zu China, das in Brüssel neuerdings als „systemischer Rivale“ bezeichnet wird. Auch über den Klimaschutz wollen die EU-Chefs diskutieren – ein Thema, das den Bürgern laut Umfragen besonders am Herzen liegt.
Beim Handelsstreit mit den USA macht Tusk Druck: Die EU-Staats- und Regierungschefs sollen den Weg für Verhandlungen über die Senkung von Industriezöllen frei machen. Doch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron bremst. Er will unbedingt den Eindruck vermeiden, auf die Drohungen von US-Präsident Donald Trump zu reagieren – und spielt auf Zeit.
Weg frei machen für Verhandlungen
Trump hatte wiederholt mit der Verhängung von Strafzöllen auf Autos gedroht, was vor allem deutsche Premiummarken treffen würde. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat daher großes Interesse daran, den Streit durch Verhandlungen zügig zu entschärfen. Man dürfe nicht mit „vorgehaltener Pistole“ verhandeln, hält Macron ihr entgegen. Er will eine Entscheidung auf die Zeit nach der Europawahl vertagen.
Deutlich früher, nämlich bis zum 9. April, muss die EU ihre Politik zu China festlegen. Dann findet nämlich ein EU-China-Gipfel statt – und der könnte frostig werden. Die Europäer haben ihre Haltung gegenüber den Chinesen – auch auf amerikanischen Druck – deutlich verhärtet. Wo sie bisher vor allem fantastische Zukunftsmärkte sahen, erkennen sie nun plötzlich lauter Tücken und Fallen.
Unfaire Marktbarrieren, versteckte Industriebeihilfen, dreister Technologie-Klau und Missbrauch geistigen Eigentums – all das soll beim China-Gipfel zur Sprache kommen. Gleichzeitig will die EU aber auch um Zusammenarbeit werben, etwa bei der Reform der Welthandelsorganisation WTO. Wie das zusammenpasst, wollen die Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend diskutieren.
Das könnte munter werden – denn einige EU-Staaten haben sich längst auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Reich der Mitte eingelassen. An der chinesischen Seidenstraßen-Initiative ist bereits halb Südeuropa beteiligt. Italien will die Zusammenarbeit mit China nun noch weiter ausbauen, Deutschland hat jedoch Bedenken.
Der Umgang mit China
Von der viel beschworenen Einheit ist also nicht viel zu sehen. Eher schon deutet sich ein Machtkampf um das lukrative China-Geschäft an. Dass dabei ausgerechnet Berlin auf der Bremse steht, das die größten Deals mit Peking macht, dürfte manch einem sauer aufstoßen. Immerhin weiß sich Merkel mit Macron einig: Beide wollen ihre Industrie vor einem Ausverkauf schützen.
Der deutsch-französische Plan, künftig auch „europäische Champions“ zu fördern, die gegen die USA und China auf dem Weltmarkt bestehen können, steht dagegen nicht auf der Tagesordnung des Gipfels. Er habe bisher nur „wenig Freunde“ gefunden, sagte ein EU-Diplomat in Brüssel. Ausgerechnet da, wo sich Macron und Merkel einmal einig sind, dürfte es deshalb kaum Fortschritte geben.
Das gilt auch für den Klimaschutz, über den die Chefs am Freitag diskutieren wollen. „Da wird niemand zufrieden sein“, prophezeit der Diplomat. Denn unter den EU-Staaten gehen die Meinungen weit auseinander. Die einen fordern mehr Ehrgeiz, um die europäische Wirtschaft schon bis 2050 „klimaneutral“ zu machen. Andere pochen auf Wettbewerbsfähigkeit und warnen vor allzu ehrgeizigen Zielen.
Möglicherweise keine Entscheidung zu Brexit
Und was wird nun aus dem Brexit? Das konnte wenige Stunden vor dem EU-Treffen nicht einmal Gipfelchef Tusk sagen. Ein Tusk-Sprecher bestätigte am gestrigen Mittwoch zwar den Eingang des lang erwarteten Briefs, in dem Premierministerin Theresa May eine Verzögerung des EU-Austritts bis Ende Juni erbittet. Doch dass sich der Gipfel darauf einlassen wird, ist alles andere als sicher.
Die deutsche Regierung begrüßte Mays Antrag. Wesentlich reservierter reagierte Frankreich. Die Regierung in Paris fordert „Garantien“ aus London und lässt durchblicken, dass der Brexit nicht die Europawahl gefährden dürfe. Die Verzögerung müsse so kurz wie möglich ausfallen und deutlich vor der Wahl Ende Mai enden, sagte ein Diplomat.
Für eine Entscheidung ist Einstimmigkeit nötig – ein Nein genügt, und der Antrag aus London wird abgelehnt. In Brüssel fürchten viele, dass dieses Nein aus Italien kommen könnte, und wollen die Entscheidung deshalb lieber noch einmal vertagen. Aber auch das wäre eine wichtige Weichenstellung: Es würde den Druck auf die Briten weiter erhöhen.
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