/ John Rossi, der Escher mit den Büchern vor der Haustür: „Lese immer ein paar gleichzeitig“
Bei John Rossi in der Escher rue Pasteur Nummer 10 steht bei gutem Wetter stets ein grünes Regal mit Büchern vor der Haustür. Wir waren neugierig und haben uns mit dem 59-Jährigen getroffen. Ein Gespräch über das Lesen, luxemburgische Literatur und Politik, kurz über die Welt, in der wir leben.
Fotos: Isabella Finzi
John wuchs in Luxemburg-Stadt auf, genauer „op der Gare“. Seine Mutter war Luxemburgerin. Sein Vater kam 1958 aus Umbrien. 1960 kam er zur Welt. Sein Vater war Lkw-Fahrer, seine Mutter ging putzen. Einfache Verhältnisse eben. Als Jugendlicher kickte er mit Roby Langers und Jemp Girres bei der Union Luxembourg auf Verlorenkost. „Das war eine tolle Zeit damals“, erinnert sich John Rossi. Heute heißt der Klub RFCUL und hat weder Identifikationsfiguren noch Zuschauer.
Nach der Primärschule ging er ins „Jongelycée“ auf Limpertsberg. Eigentlich hatte er sich für ein Sprachen-Abitur auf der A-Sektion entschieden, änderte aber seine Meinung und wechselte auf eine D-Sektion (Wirtschaft und Mathematik). „Wegen der Klassenkameraden. Ich habe diese Entscheidung allerdings nie bereut.“ Trotz seiner Liebe zu den Büchern.
Und dann? Die Banken rekrutierten Ende der 70er massiv Abiturienten. Ihn aber zog es „op d’Eisenbunn“. „Spaßeshalber sage ich immer: Wenn ich noch einmal anfangen müsste, würde ich genau die gleiche Schiene einschlagen.“ Im Jahr 1984 lernte er seine Ehefrau Josiane, eine Escherin, kennen. Durch die Jugendsektion der Kommunistischen Partei. „In der Stadt gab es die Inti’en, die Intellektuellen, und in Esch die Prolo’en, die Proleten.“ So war das damals.
Politisches Engagement
Aber warum die Kommunisten? „Das ist eine gute Frage“, sagt John, der streng katholisch erzogen wurde und sonntags immer zur Messe gehen musste. „Irgendwann mit 17 oder 18 wurde mir klar, dass in der Welt damals nicht alles im Lot war.“
Politik spielte in den ersten Lyzeumsjahren keine große Rolle. Arbeiter. Ausländer. Immigration. Integration. Polen und Lech Walesa. Und immer Diskussionen darüber, dass die Welt gerechter sein könnte. Dann folgte der Eintritt in die KPL, später in die Partei „Nei Lénk“, aus der schließlich „déi Lénk“ hervorging. Zwischen 18 und 54 Jahren hat John Rossi für diese drei Parteien bei sämtlichen kommunalen und nationalen Wahlen kandidiert.
Warum ist die Luft denn ein wenig raus bei „déi Lénk“? „Wir stellen die richtigen Fragen und haben das richtige Programm, aber die Welt ist grün“, so seine Erklärung. „Ökologische Themen, dazu noch ein Hund und eine Katze auf dem Wahlplakat, dann ist man auf der richtigen Seite.“ Hinzu komme, dass das linke Spektrum nie einen Konsens gefunden habe, um zusammenzuarbeiten. „Und daran ist in erster Linie die LSAP schuld.“ Zack! Das sitzt. Die Sache mit dem 80-20 beim Referendum im Jahr 2015 war ein Schock für ihn, sagt er und fügt hinzu: „Ich habe lange gebraucht, um mich davon zu erholen.“
37 Jahre Schichtdienst bei der CFL
Genug Politik. Wie war es bei der CFL? Insgesamt 37 Jahre lang hat er dort auf drei Schichten gearbeitet. Anfangs war er einer der Beamten „mat der wäisser Kap um Quai“, die die Züge überwachen und oft mit dem „Chef de gare“ verwechselt werden. Dann wechselte er ins Stellwerk. Zu Beginn wurden die Weichen manuell umgestellt, später ging alles elektronisch und per Computer.
Gegen Ende seiner Karriere überwachte er das gesamte Schienennetz. Bis in die Grenzregion. „Es war ein toller Job. Stets eine Menge Abwechslung. Toll war auch, dass ich diese ganze Entwicklung mitmachen konnte.“ Dankbarkeit liegt in diesen Worten. Auch, weil es unter seiner Regie nie zu einem Zwischenfall kam.
Und wie kam das mit dem Lesen? „Bereits als Kind verschlang ich regelrecht Bücher.“ „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ von Michael Ende aus dem Jahr 1960 war das erste, das er las. Dann „Fünf Freunde“ von Enid Blyton. Es folgten Hunderte oder besser Tausende andere.
In der Primärschule kam ein Lehrer auf die Idee, eine Bibliothek im Klassenzimmer einzurichten. Die Schüler waren angehalten, ein oder zwei Bücher pro Woche mitzubringen. Im Laufe der Jahre entwickelte sich daraus eine echte Leidenschaft.
Die Menschen bedanken sich
„Die Idee mit dem Bücherschrank hatte ich vor sechs oder sieben Jahren.“ Die Leute blieben stehen, nahmen die Bücher in die Hand und bedienten sich. Oft kommt es zu angeregten Diskussionen, wenn John gerade zur Haustür herauskommt. Wie kürzlich mit einem 84-jährige Mann aus Ulflingen, der jetzt in die Escher Kanalstraße gezogen ist, weil im hohen Norden nichts los ist.
„Einmal schenkte mir eine Frau ‚Knippercher‘, um sich zu bedanken. Und einmal erhielt ich einen Sixpack Mineralwasser.“ Oft liegen kleine Kärtchen im Briefkasten mit ein paar Dankesworten. Die Menschen bedanken sich bei ihm für das Geschenk, das er ihnen macht. Und auch dafür, dass er sie zum Lesen gebracht hat.
„Ich vermeide es, Bücher mit religiösem Inhalt vor die Haustür zu stellen“, sagt John. Ansonsten komme von A bis Z alles vor. Er kauft Bestände auf oder bringt sie mit vom „Syndicat intercommunal STEP“, wie vor ein paar Tagen, als er Kartons ablud und gerade einer mit Tüten voller Bücher ankam. John rettete sie.
Luxemburgensia und Schallplatten
Sammeln tut er in erster Linie Luxemburgensia. „Dat ass mäin Dada.“ Stolz ist er auch auf seine Sammlung mit Büchern luxemburgischer Autoren über den Zweiten Weltkrieg. Mehr als 250 Exemplare hat er bislang. „Das Problem ist das Haus, der Platz und meine Ehefrau, die manchmal versucht, mich ein bisschen auszubremsen. Aber schreiben Sie das bloß nicht. Ich habe schon einen schweren Stand zu Hause“, sagt er und lacht dabei augenzwinkernd.
Was er denn so zurzeit lese, wollten wir wissen. „Ich lese immer ein paar Bücher gleichzeitig“, sagt er. Auch vieles von luxemburgischen Autoren. Und zwar jeden Tag, immer vorm Einschlafen, mal zwei Minuten, mal eine Stunde. Sein letztes Buch: „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier. Seine Töchter Marina und Mara hat er mit dem Lese-Virus angesteckt, Sohn Dario ist etwas weniger davon begeistert.
LPs sammelt er auch. John hat eine umfangreiche Sammlung von Schallplatten aus Luxemburg: 600 Stück sind es mittlerweile. 1.000 Exemplare gibt es. Hinter den fehlenden ist er her.
Dann ist da noch seine Idee für „Esch 2022“: kein „Speaker’s Corner“ auf dem Brillplatz, sondern ein „Reader’s Corner“ mitsamt Bücherbörse. Denn das schwebt John Rossi vor: ein Ort, an dem Menschen anderen Menschen im größten Multikulti-Stadtviertel Luxemburgs in verschiedenen Sprachen vorlesen.
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