Lorentzweiler / Jos Roller, der dienstälteste Bürgermeister Luxemburgs, hört auf
Jos Roller (74) bittet mit einer schwungvollen Handbewegung in den Sitzungssaal des Schöffenrates im Rathaus. Hinter ihm hängt ein großes Gemälde von der Pfarrkirche St. Laurent in Lorentzweiler an der Wand. Es stammt aus dem Jahr 1977. Die Kirche gibt es immer noch, aber um sie herum ist heute vieles anders. Viele der Veränderungen hat er als Bürgermeister verantwortet und begleitet. Jetzt aber will der dienstälteste Bürgermeister im Land sich nach 34 Jahren zurückziehen.
Sein Alter merkt man dem schlanken, dynamischen Rathauschef nicht an. Wache blaue Augen fixieren das Gegenüber durch dezent umrahmte Brillengläser. Jos Roller spricht und denkt schnell. Daten und Beträge sind in seinem Gedächtnis jederzeit abrufbereit. An den Tag seiner Vereidigung kann er sich noch genau erinnern. Es war der 22. Dezember 1987. Die Urkunde erhielt der Sozialist vom damaligen CSV-Innenminister Jean Spautz.
Da sitzt er schon seit 12 Jahren im Gemeinderat, erst als Rat, später als Schöffe. Lorentzweiler ist „seine“ Gemeinde. Der Grundschullehrer lebte schon immer dort, in der Pfarrkirche ist er getauft worden, zur Kommunion gegangen und hat dort geheiratet. Seit 2008 ist er in Rente. Die Pfarrkirche ist eine von zwei der insgesamt vier Kirchen in der Gemeinde mit den sechs Ortsteilen, die nicht an den Kirchenfonds gehen soll.
Früher wäre das undenkbar gewesen, aber 2018 kommt die Trennung von Staat und Kirche. Das schöne alte Haus neben der Kirche, das auf dem großformatigen Bild verewigt ist, gibt es nicht mehr. Es ist einem Parkplatz gewichen. „Heute würde man das so wahrscheinlich nicht mehr machen“, sagt Roller. Für ihn ist das Gemälde des Künstlers Mars Schmit „eine romantische Erinnerung“.
Eine Erinnerung an die Zeit, als Denkmalschutz noch nach dem „Pi-mal-Daumen“-Prinzip betrieben wurde. Seit kurzem steht das „Patrimoine“ im Land auf gesetzlichen Beinen. Auch Roller geht mit der Zeit. Von Parteipolitik auf kommunaler Ebene ab dem 3001. Einwohner hat er noch nie etwas gehalten und hält selbst 2011, als Lorentzweiler etwas über 3.500 hat, nichts davon. Er gründet die Liste „Är Leit“ kurz vor den damals anstehenden Kommunalwahlen.
„Proporz macht für mich erst Sinn ab 5.000, 6.000 Einwohnern“, sagt er geraderaus. Bei „Är Leit“ sind Kandidaten ohne und mit Parteikarte auf der elfköpfigen Liste. Hauptsache dabei ist: Sie wollen sich engagieren. Das Konzept hat Erfolg und bewährt sich 2017 erneut. Von den elf Kandidaten kommen zehn auf die Plätze derjenigen mit den meisten Stimmen, aber nur sechs davon in den Gemeinderat. „Das Wahlsystem“, kommentiert der Rathauschef achselzuckend.
Mittlerweile ist Lorentzweiler auf rund 4.500 Einwohner aus 78 Nationen angewachsen und ist, wie Roller ehrlich sagt, eine Wohngemeinde. Der „verlängerte Arm“ der Hauptstadt, legt er noch nach. Kirchberg ist von der Autobahnauffahrt Lorentzweiler in zehn Minuten zu erreichen. Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht. „Unsere Gemeinde kann, was den Platz angeht, locker in den nächsten Jahren auf 7.000 – 8.000 Einwohner kommen“, sagt er.
Potenzial für Wachstum – kaum Arbeitsplätze
Im aktuellen Bebauungsplan (PAG) sind weitere rund 40 Hektar Bauland ausgewiesen. Bei einem Preis von 180.000 Euro pro Ar kostet das allerdings. „Das setzt voraus, dass dichter gebaut wird“, sagt Roller. „Ein Häuschen mit Garten bleibt zukünftig ein Traum.“ Früher war Lorentzweiler dafür berüchtigt, dass ein Fußgänger beim Überqueren der Hauptstraße mit dem Rot der Ampel und dem Stillstand des Verkehrs den Norden vom Süden des Landes abschneiden konnte.
Das ändert sich mit der „Nordstrooss“, die 2015 in Betrieb genommen wird – auch wenn Lorentzweiler für die Westvariante war. Zwar ist damit der Schwerverkehr aus der Ortschaft verbannt, aber durch den Einwohnerzuwachs generiert die Gemeinde, die durch die N7 in zwei Hälften geteilt ist, einen nicht unwichtigen, eigenen Zuwachs an Pkws. Der Blick aus dem Fenster des Rathauses auf die davor liegende Hauptstraße sagt alles.
„Wenn man hier irgendwohin will, muss man die N7 nehmen“, sagt Roller. „Da führt kein Weg dran vorbei.“ Die Gemeinde ist mit Bus und Bahn zwar gut angebunden, aber die Arbeitsplätze sind woanders. Für eine eigene Gewerbezone ist kein Platz. Dafür geeignete Flächen liegen im Hochwassergebiet der Alzette. An der interkommunalen Zone (Zamid, zusammen mit Lintgen und Mersch) doktert die Gemeinde seit acht Jahren herum.
In den Kampf um die Erweiterung des „Mierscher Bierg“ sind seit 2014 rund eine Million Euro für Studien geflossen. Es ist ein Ärgernis. Die Genehmigungsverfahren dauern in den Augen des Bürgermeisters einfach zu lang. „Wir reglementieren uns hier zu Tode“, sagt er. „Alle reden von Vereinfachung, ich sehe immer nur Bremser in der Bürokratie.“ Der Noch-Bürgermeister von Lorentzweiler ist bekannt für seine „klare Kante“, gerade da, wo andere lieber zwischen den Zeilen Missfallen andeuten.
Die Gewerbezone ist ein Projekt, das sein Nachfolger erbt. Genauso wie das Schicksal des ehemaligen Pfarrhauses in Bofferdingen. Es steht seit 22 Jahren leer und gehört nicht der Gemeinde, weshalb ihr die Hände bezüglich einer neuen Nutzung gebunden sind. Anderes, was er mit seinem Team umgesetzt hat, kann sich sehen lassen. In die Zentralschule, die 1973 eingeweiht wurde und die die Dorfschulen in den sechs Ortsteilen ablöste, ist schon der Erbgroßherzog gegangen.
„Das war damals eine Sensation“, erinnert sich Roller. Sein Vorgänger hat das initiiert. Es ist später an ihm, sie zu erweitern. 2005 kommt die „Spillschoul“ hinzu, 2011 die „Maison Relais“ und 2017 eine neue Sporthalle, die Zentralschule wird zum Komplex. Gerade wird die Schule selbst vergrößert – von rund 350 Kindern auf knapp 600. Außerdem entsteht eine neue Kindertagesstätte. Die Betreuung von Kindern von 0 bis 13 Jahren am gleichen Platz ist gewährleistet, wenn der Umbau 2023/2024 bis fertig ist.
Das Bändchen wird er dieses Mal nicht mehr durchschneiden. Zum 31. März ist für ihn Schluss. Schon zur Wahl 2017 hat er als Bedingung für seine Kandidatur gemacht, dass er nicht mehr die ganze Mandatsperiode bleibt … vorausgesetzt, seine Nachfolge ist geregelt. Das ist sie. Die erste Schöffin, Marguy Kirsch-Hirtt („Är Leit“), ist Favoritin für das Amt des Gemeindechefs. „Dann hat Lorentzweiler zum ersten Mal eine Frau an der Spitze“, sagt Roller. Das musste raus. Schließlich ist der Weltfrauentag ja noch nicht allzu lange her.
Zur Person
Jos Roller: 38 Jahre lang arbeitete er als Grundschullehrer. Vor der Kommunalpolitik engagierte er sich bei der Lehrergewerkschaft. Joggen und Fotografieren sind seine Hobbys.
„Bofferschoul“
Sie wird gerade erweitert, um Musikschule (mit Probesaal für die Fanfare), Jugendhaus und Kulturarchiv in dem Gebäude zu integrieren. Das Projekt kostet sechs Millionen Euro.
- Näherinnen hauchen Werbeplanen von Amnesty International Luxembourg neues Leben ein - 10. November 2024.
- Verlust oder Chance? Wenn jeder Tag ein Sonntag ist, helfen Pensionscoaches - 2. November 2024.
- „Habe eine Welt kennengelernt, die ich so nicht kannte“ – Porträt einer Betroffenen - 29. Oktober 2024.
Endlich!
Das Complexe scolaire heisst nicht “ Jean Wohlfahrt“ sondern ist nach seinem Gründer und Ehrenbürgermeister Jos Wohlfart benannt. Ehre wem Ehre gebührt!