Tourismus / Jugendherbergen: „Wir müssen lernen, mit Situationen wie diesen umzugehen“
Wie alle touristischen Einrichtungen müssen die neun Jugendherbergen in Luxemburg dieses Jahr herbe Verluste hinnehmen. Und einen Bedeutungswechsel. Während die städtischen Betriebe bislang alljährlich die größten Auslastungszahlen verzeichneten, sind es dieses Jahr die Jugendherbergen im ländlichen Raum. Direktor Peter Hengel ist zuversichtlich, dass der Geist der Jugendherbergen Corona überlebt.
„Es ist ein prägendes und sehr Kräfte zehrendes Jahr“, zieht Peter Hengel eine vorläufige Bilanz. Der 39-Jährige ist noch ein neues Gesicht in der Szene der „Auberges de jeunesse luxembourgeoises“. Die Asbl. verwaltet die neun Jugendherbergen in Luxemburg und Hengel hat im September 2019 erst den Posten als Direktor angetreten. Die historische Zäsur in 2020 war zu dem Zeitpunkt nicht vorauszusehen.
„Zum ersten Mal in der Geschichte der Jugendherbergen mussten wir alle Häuser schließen“, sagt Hengel. Die Jugendherbergen in Luxemburg nehmen mit der ersten, die 1933 in einer unbewohnten Villa der Steinforter Eisenhütte untergebracht wird, ihren Anfang. Das war vor fast 90 Jahren. Selbst der Gedanke, wenigstens das Haus in der Hauptstadt offen zu lassen, wird angesichts der Brisanz von Covid-19 nach zwei Tagen verworfen.
Der Lockdown kommt in umsatzstarken Monaten für die Jugendherbergen. Nach der Lockerung ziehen die Übernachtungszahlen langsam an, bevor der zweite Schlag das touristische Geschäft trifft. Luxemburg wird zum Risikogebiet erklärt. Es hagelt Stornierungen. 17.560 Übernachtungen verbuchen die Jugendherbergen im Juni 2019 insgesamt. 2020 sind es gerade einmal 3.346 in allen Häusern im Land, das heißt etwa ein Sechstel. Im Juli steigen die Zahlen immerhin auf 8.700.
Herbergen im ländlichen Raum sind die Gewinner
„Es ist ein defizitäres Jahr“, sagt Hengel. „Trotzdem freut es mich, dass wir zwischen Juni und Juli mehr als 100 Prozent Steigerung bei den Übernachtungen hatten.“ Er selbst reist im Urlaub mitsamt Familie in die Jugendherberge nach Befort. „Natur, Bowlingbahn, Indoorspielplatz und Spaziergänge, das ist einfach toll mit zwei kleinen Kindern“, sagt er und folgt damit dem Trend, in diesem Jahr die Entwicklungen der letzten Jahre umzukehren.
Traditionell sind die beiden städtischen Betriebe in der Hauptstadt und in Esch/Alzette die Spitzenreiterinnen bei der Belegung. Dieses Jahr sind es die Häuser im ländlichen Umfeld. Dabei ist Lultzhausen im Norden trotz der Einschränkungen im Badebetrieb am Stausee die absolute Nummer eins. „Die Herberge hat dieses Jahr so etwas wie ein Revival erlebt“, bestätigt Hengel. „Wir hatten sehr viele Familien mit Kindern dort.“ Normalerweise sind es eher Schulklassen, Taucher oder Sprachcamps, die am See absteigen.
Das ist der Aktion „Vakanz doheem“ und den Gutscheinen des Tourismusministeriums, von denen allein im August knapp 600 in allen Jugendherbergen im Land eingelöst werden, geschuldet. Befort, Echternach und Remerschen belegen mit ihren Übernachtungszahlen die Plätze dahinter. „In den städtischen Jugendherbergen haben wir eher internationales Publikum“, sagt Hengel. „Das blieb dieses Jahr weg.“
Zusammen mit fremden Leuten in einem Zimmer, im Kontakt mit den neuen Bekanntschaften im Restaurant oder auf der Terrasse, Sprachenvielfalt und unterschiedliche Kulturen, die aufeinanderprallen und neugierig aufeinander sind: Der Geist der Jugendherbergen ist das Gegenteil von „Social Distancing“. Wird er Corona überleben? „Ich glaube fest daran“, sagt Hengel. „Wir müssen lernen mit Situationen wie diesen umzugehen.“
Zur Person: Peter Hengel
Peter Hengel managt seit September 2019 die Asbl. „Auberges de jeunesse luxembourgeoises“, den Dachverband der Jugendherbergen in Luxemburg. Hengel ist gebürtiger Deutscher aus der Nähe von Trier, spricht Luxemburgisch, Deutsch, Französisch und Englisch. Als Jugendlicher lernt er über Reisen mit Freunden Jugendherbergen kennen. Danach folgt eine Lehre als Restaurantfachmann in Luxemburg und er absolviert an der Hotelfachschule in Heidelberg (D) den Betriebswirt. Nach Stationen in Luxushotellerie und -gastronomie beginnt er 2014 als Leiter der Herberge in der Hauptstadt seine Karriere beim Jugendherbergsverband. 2019 wird er dessen Direktor. „Die Arbeit hier ist eine Superverbindung aller Bereiche im Tourismus, die ich bisher gesehen habe“, sagt er. „Und es ist hier nicht so streng wie in einem Fünf-Sterne-Hotel.“
Auberges de jeunesse luxembourgeoises Asbl.
Die Zentrale der Jugendherbergen vereint neun Häuser unter ihrem Dach. Die meisten Betten haben Luxemburg-Stadt und Esch/Alzette. Als Asbl. darf der Verband keine Gewinne erwirtschaften und verfügt deshalb über keine Rücklagen. Die Mehrheit der rund 140 Mitarbeiter in allen Häusern waren während des Lockdowns in Kurzarbeit. Außerdem profitiert die Asbl. von Hilfen des Tourismusministeriums in Form von Lohnzuschüssen in Höhe von 1.250 Euro pro Monat pro Beschäftigten, die für die Monate von Juni bis einschließlich November 2020 beantragt werden können. Bei Asbl. mit mehr als 50 Mitarbeitern darf der Zuschuss pro Monat 100.000 Euro nicht überschreiten. Die meisten Gäste kommen nach eigenen Angaben aus der Großregion und den Niederlanden. Bei den Gästen aus Übersee stellen US-Amerikaner die größte Gruppe. Das jährliche Budget der Jugendherbergen beträgt rund zehn Millionen Euro.
Jugendherberge Vianden
Das alte Kloster im Dorfkern wird zu einer Jugendherberge umgebaut. Die Fertigstellung ist für 2023 geplant. Sie wird größer als die bisherige. Ob das Problem der fehlenden Besucher im Winter kompensiert werden kann, steht in den Sternen. Der „Veiner Nëssmoort“ im Oktober ist traditionell der Abschluss der touristischen Saison in Vianden. Im Sommer ist die Herberge gut besucht.
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